Speisenmanagement in der Sozialverpflegung. Wilfried von Eiff
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Eine Studie des Instituts für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene der Universität Freiburg befragte 1.500 Patienten sowie 25 Krankenhausverwaltungen über die Qualität der Krankenhausverpflegung.1 Sie ergab, dass das Essen in der Summe als zerkocht, fade und zu salzig bezeichnet, insgesamt jedoch überwiegend als gut beurteilt wurde. Dieses für die Autoren überraschende Ergebnis führte zu der Vermutung, dass sich gerade solche Häuser beteiligt hätten, die eine besonders gute Speisenversorgung anbieten. Das ist möglich. Es kann jedoch ebenso sein, dass viele Befragte in der Tat einigermaßen zufrieden sind. Wenn man die Ergebnisse näher betrachtet, fanden sich viele Widersprüche wie „zu viel“ und „zu wenig“, „zu heiß“ und „nur lauwarm“, „zu wenig Fleisch“ und „zu selten vegetarisch“ oder „zu sehr verkocht“ und „zu wenig durchgekocht“. Das gleiche Essen in verschiedenen Häusern serviert, wurde außerdem ganz unterschiedlich beurteilt. Einen Grund dafür konnte die Studie nicht nennen. Vermutet werden kann jedoch wiederum: Das was hängt mit dem wann, wo, wie und mit wem zusammen.
Hohe Erwartungen und divergierende Ziele
Alle an einer sozialen Einrichtung beteiligten Personengruppen haben ganz spezielle Erwartungen an das Essen. Die Bewohner von Alten- oder Pflegeheimen ebenso wie die Patienten in Krankenhäusern legen beispielsweise Wert auf Geschmack, Auswahlmöglichkeiten, auf Selbstbestimmung der Mengen und auf freundlichen Service. Für Pflegekräfte und Stationsbetreuer sind ein reibungsloser Ablauf, ein überschaubarer Aufwand und die mögliche Rationalisierung ihrer Aufgaben zentral. Ärzte wiederum sehen Therapie, Prävention und die Umsetzung von Standards für wichtig an. Die Verwaltung schließlich muss auf die Kosten und die innerhäusliche Ablauforganisation ebenso wie auf das Ansehen des Hauses in der Öffentlichkeit achten.2
Heilungserfolg, Prävention, Gesundheitserziehung, Vorbildfunktion – man könnte das Essen in sozialen Einrichtungen mit vielen Zielen belegen. Manchem erscheint dies übertrieben, besonders dann, wenn die Aufenthaltsdauer nur kurz ist. Gerade für Präventionsanstrengungen gilt, dass sie nur langfristig erfolgreich sind. Anders sieht das bei kontinuierlicher Versorgung von Menschen durch eine zentrale Küche aus. Hier ist es gebotene Pflicht auf eine hohe Qualität der Verpflegung zu setzen, denn hier gilt der Umkehrschluss: Eine ungesunde Ernährung ist in jedem Fall kontraproduktiv.
Dass die Qualität des Essens den Behandlungserfolg unterstützt, wird heute allgemein angenommen. Welche Rolle die Essensqualität für die Steigerung der Attraktivität und die Beurteilung einer Einrichtung durch Patienten und Bewohner spielt, ist allerdings noch nicht abschließend
geklärt. So kam eine große Studie gesetzlicher Krankenkassen Ende 2012 zu dem Ergebnis, dass das Essen weniger wichtig sei und nicht bestimmend für die Wahl des Krankenhauses.3 Etwas anders sieht das die Mehrzahl der in der zitierten Freiburger Studie befragten Verwaltungen, für die die Qualität des Essens durchaus auch ein Marketingfaktor sein kann. Die Herausgeber dieses Buches zeigen außerdem, dass die Zufriedenheit mit dem Essen eng mit der Zufriedenheit mit dem Aufenthalt verbunden ist.4
Im Mittelpunkt steht der Mensch
Weitere Forschung zu diesen Fragen könnte hier mehr Klarheit schaffen. Doch ungeachtet dessen bleibt eines unbestreitbar: im Mittelpunkt allen Bestrebens steht der Mensch. Der Mensch in der Gemeinschaftsverpflegung ist abhängig von dem Angebot, das sich ihm bietet, meist sogar von einer Küche mit Monopol. Das Essen ist für ihn ein wiederkehrender fixer Punkt im Tagesablauf. Es strukturiert den Tag und hilft der zeitlichen Wahrnehmung – wenn es Mittagessen gibt, muss es offensichtlich schon Mittag sein. Essen ist für viele ein Ereignis, eines das teilweise sehnsüchtig erwartet wird. Je höher die Erwartungen, je größer die Vorfreude, desto größer die Enttäuschung und das Gefühl von Abhängigkeit, wenn es dann nicht schmeckt. Dies betrifft nicht nur die vielen medizinischen Indikationen, die eine besondere Diät erfordern; nicht die Mangelernährung, nicht die gastro-enterologischen Fälle, sondern auch die Menschen, die Erkrankungen ohne unmittelbaren Bezug zum Essen haben – ein gebrochenes Bein, eine Herz-Operation, ein Hautleiden. Ob es schmeckt, kann jeder Mensch beurteilen – viel besser als die Therapie, die Behandlung und den Ablauf der Prozesse. Das Essen ist vielfach (nahezu) das einzige, was jedermann beurteilen kann.
Der Aufenthalt besonders in Krankenhäusern und Reha-Kliniken ist kulinarisch gesehen eine Ausnahmesituation, in der keine Selbstbestimmung wie zu Hause möglich und das Ambiente „ganz anders“ ist – eine Ausnahmesituation, die im Fall des Senioren- oder Pflegeheimes zu einem Dauerzustand werden kann. Für die mit der Speisenverpflegung betrauten Beschäftigten von sozialen Einrichtungen ist es deshalb nicht leicht, es den Bewohnern recht zu machen. Zudem hat jeder Mensch andere Erwartungen, die aus seinen Gewohnheiten, seiner Kultur oder auch seinen persönlichen Erlebnissen entstanden sind. Der Grad seiner Sonderwünsche, persönliche Vorlieben und Abneigungen bestimmen mit, ob er sich mit dem angebotenen Essen arrangieren kann. Hier kollidiert die Individualität des Menschen mit einer Einrichtung, die nicht über individuelle, sondern über generalisierte Maßnahmen und Abläufe funktioniert. Viele Erwartungen können nicht und werden nicht erfüllt, denn jeder Bewohner, jeder Patient hat andere.
Zwischen diesen beiden Polen – das Essen kann und wird jeder beurteilen und dennoch wird man es nicht jedem recht machen können – bewegt sich unsere Forderung: Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung und insbesondere die, die im Gesundheitswesen tätig sind, sollten sich der Zufriedenheit mit dem Essen stellen. Sie sollten sich zunächst fragen, ob sie Möglichkeiten sehen, die Zufriedenheit ihrer Bewohner und Gäste zu berücksichtigen. Sie könnten beispielweise die Kommunikation rund um die Prozessabläufe verbessern. Sie könnten ein System aufbauen,
das vereinzelt auf individuelle Wünsche einzugehen vermag. Sie könnten immer wieder nachfragen, ob eine einmal getroffene Wahl auch noch nach Tagen gilt. Dies kann bereits helfen, die vielen einigermaßen Zufriedenen zufriedener zu machen und den Unzufriedenen das Gefühl zu vermitteln, dass man sich um sie bemüht.
Denn der dafür notwendige Sachverstand ist in den meisten Häusern vorhanden. Die Küchen sind gut ausgestattet und das Personal in der Regel gut geschult. Vielfach gibt es ernährungsbeauftragte Ärzte, teilweise auch Ernährungsteams. Und dennoch sind manche Küchen noch immer das Kellerkind des Hauses. Beispielsweise dann, wenn der Prozessablauf rund um die Speisenversorgung schon lange nicht mehr intern revidiert wurde oder wenn die Patienten respektive die Bewohner selbst wenig Einfluss auf die Prozesse nehmen können. Probleme bestehen auch dann, wenn zwischen den beteiligten Berufsgruppen (z. B. Küche – Station) nur ein Minimum an Dialog herrscht oder das Management des Hauses in die Prozesse der Speisenversorgung kaum eingebunden ist.
Das Speisemanagement in der Gemeinschaftsverpflegung ist keine einfache Aufgabe, es ist nicht mit geringem Budget und auch nicht ohne klare Zielvorgaben zu bewältigen – das zeigt dieses Buch. Möge es den Beschäftigten und Verantwortlichen vieler sozialer Einrichtungen in der Ausübung ihrer Aufgaben eine Hilfe sein, möge es bewährte Maßnahmen und Prozessabläufe aufzeigen und schrittweise Verbesserungen anstoßen.
Wir wünschen diesem Buch eine breite Rezeption und einen guten Absatz – zum Wohl und für eine steigende Zufriedenheit all derer, die gemeinschaftlich verpflegt werden.
Heidelberg, Januar 2013
Dr. Gesa Schönberger
(Dr. Rainer Wild-Stiftung, Stiftung für gesunde Ernährung, Heidelberg)