Vielleicht begab es sich aber .... Eckart zur Nieden

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Vielleicht begab es sich aber ... - Eckart zur Nieden страница 4

Vielleicht begab es sich aber ... - Eckart zur Nieden

Скачать книгу

der Ton.

      Er lauschte dem Klang nach, als wäre es die Stimme eines geliebten Menschen. Als könnte er ihn sehen, den Klang, wie er über die Weite schwebte, mal langsam und traurig, dann wieder fröhlich auf und nieder hüpfend. Zwei seiner Ziegen, die das Flötenspiel ihres Hirten schon kannten und liebten, ließen sich davon anlocken und kamen heran. Sie stapften um ihn herum und stießen ihn sogar an. Die anderen zweiundzwanzig schienen den Ton gar nicht zu hören.

      Der Alte beachtete seine Tiere nicht. Er folgte dem Flötenton auf seinem Flug in die Weite. Und da war er wieder in einer anderen Zeit. Sah Dinge, die andere nicht sahen, weil sie ihm direkt in den Kopf eindrangen, ohne den Umweg über die Augen zu nehmen.

      So hatte er seinem Neffen wieder etwas vorzusagen, als der ihn besuchte. »Schreibe wörtlich auf, was ich dir sage, Tuka! Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art. Und es geschah so. Und Gott sah, dass es gut war.

      Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht.

      Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und er schuf sie als Mann und Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan. Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag.«

      Zwei Tage dauerte es, bis Tuka wieder in der Hütte erschien.

      »Ich grüße dich, Onkel! Gestern war der Tag der Ruhe und des Feierns. Darum musste ich mit dem königlichen Hof im Tempel sein und konnte nicht kommen. Aber vielleicht hast du mir sowieso nichts mehr zu diktieren, weil die Menschen ja nun nach deinem Bericht auf der Erde sind und anfangen, sie zu beleben. Oder kannst du mir etwas von dem ersten König erzählen?«

      »Nein, Tuka. Die Schöpfung ist vollendet. Du kannst aber dem Bericht noch etwas hinzufügen. Denn etwas hat Gott noch geschaffen.«

      »Was?«

      »Den siebten Tag. Den Ruhetag. Den Tag, an dem die Menschen nicht nur neue Kraft für die Arbeit sammeln, sondern auch ihre Gedanken auf ihren Schöpfer richten sollen.«

      »Du meinst, der Ruhetag ist auch von Gott? Nicht per Gesetz vom König eingerichtet?«

      »Nein. Du siehst, dass selbst bei denen, die sich andere Götter gemacht haben, noch eine Spur der Ordnung des einen wahren Gottes zu erkennen ist.«

      »Gut, ich schreibe. Sprich!«

      »So wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer. Und so vollendete Gott am siebten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebten Tage von allen seinen Werken. Und Gott segnete den siebten Tag und heiligte ihn. So sind Himmel und Erde geworden, als sie geschaffen wurden.«

       Zu 1. Mose 12,10 - 20; 16; 21,8 - 21

      Manchmal hatte sie das Gefühl, das ganze Leben bestünde nur aus Lehm und Fliegen. Der Lehm an den nackten Füßen und allmählich auch an Beinen und Armen und überall diese Fliegen! Und dann war über allem noch die Sonne, die unbarmherzig vom Himmel brannte und ihr alle Kräfte aus den Gliedern saugte.

      Weiter treten! Immer weiter!

      Aber natürlich war da noch mehr als Lehm und Fliegen. Die Großmutter neben ihr, die auch mit ihren nackten Füßen den Lehm trat, um ihn mit dem Stroh zu durchmengen. Ihre Mutter, die in der Nähe den Lehm aus einer anderen Grube in die hölzernen Ziegelformen stampfte, die dann umkippte und den geformten Lehm zum Trocknen in die Sonne legte. Und ab und zu kam ihr Vater mit zwei Eimern Wasser vom Fluss herauf, die er an einem Joch auf der Schulter trug. Das Wasser kippte er in die Lehmgrube, nicht ohne seine Tochter mit rauer Stimme zu ermahnen: »Weiter, Kind! Schlaf nicht ein!«

      Wenn er wieder gegangen war, stampfte ihre Großmutter manchmal näher an sie heran und strich ihr wortlos über die langen schwarzen Haare. Das tat ihr gut, weil es ihr klarmachte, dass eben doch nicht das ganze Leben nur Arbeit war und Erschöpfung und Schweiß, nur Lehm und Fliegen. Da gab es noch Menschen, die ihr zwar die Qual nicht ersparen, aber mit Trost und Nähe etwas mildern konnten.

      Die Sonne war auf ihrer Barke gerade über den höchsten Punkt geglitten, da schreckte Hagar auf, weil ihre Mutter sie ansprach: »Komm, Hagar, schnell!«

      Sie stapfte zum Rand der Lehmgrube. Ihre Mutter fasste mit der Linken ihren Hinterkopf, fuhr mit der Rechten in den Lehm und schmierte ihr geschickt den dicken Brei ins Gesicht. »Mach die augen zu!«

      Hagar wusste nicht, was das für einen Sinn haben sollte, aber sie war zu erschöpft, um darüber nachzudenken. Als sie merkte, dass nicht mehr in ihrem Gesicht herumgewischt wurde, schlug sie die Augen auf. Ihre Mutter war gerade dabei, auch ihr eigenes Gesicht zu verunstalten.

      »Was machst du da?«, fragte Hagars Großmutter.

      »Siehst du ihn nicht? Den Mann des Königs? Jedes Jahr kommt er und sucht nach schönen Frauen und Mädchen für den Palast.« Dabei zeigte sie zur Straße, die in einiger Entfernung vorbeiführte, die große Fernstraße in Richtung Sonnenaufgang, über die man in ferne Länder kommen konnte, wie erzählt wurde.

      Hagar wendete ihren Blick in die Richtung, in die ihre Mutter zeigte. Da kam eine merkwürdige Gruppe heran. Sie bestand aus einem Reiter auf einem Esel und drei Mann zu Fuß. Einer der Fußgänger lief dicht neben dem Esel und hielt eine Stange über den Reiter, an dem oben ein ausgespanntes Tuch befestigt war. Offenbar hatte er die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Reiter immer Schatten hatte.

      »Du weißt nicht, was gut und was schlecht ist für das Kind!«, sagte die Großmutter. »Das Leben im Palast ist bestimmt besser für Hagar, egal, was sie dort erwartet. Es kann nicht schlimmer sein als diese Schufterei beim Ziegelmachen.« Und sie nahm Wasser aus dem Krug, der zum Trinken bereitstand, und wusch ihrer Enkelin das Gesicht wieder sauber.

      Ihre Tochter widersprach nicht. Sie setzte sich – nein, besser: Sie ließ sich fallen, vergrub das Gesicht in den Händen und weinte. Zur Erschöpfung kam die Verzweiflung, und beides zusammen war zu viel.

      Hagar verstand das alles nicht. Sie traute sich auch nicht, die weinende Mutter oder die zornige Großmutter zu fragen. So blickte sie nur den Männern entgegen, die auf sie zukamen.

      Der Reiter schien ein vornehmer Herr zu sein, auch wenn sein Reittier nicht sehr groß war. Seine Füße erreichten fast den Boden, obwohl er nur mittelgroß und sehr dick war. Außer dem Lendentuch trug er einen leichten Umhang, mit allerlei Mustern bestickt, in verschiedenen Farben, sodass es sehr bunt wirkte. So etwas hatte Hagar noch nie gesehen. Die Kanten des Kleidungsstückes waren mit etwas verziert, das metallisch glänzte, und große Knöpfe aus Knochen oder etwas Ähnlichem waren daraufgenäht. Aber der Umhang war nicht geschlossen, er stand offen, sodass man seine behaarte Brust und darunter den dicken Bauch sehen konnte.

      Vor der Lehmkuhle hielt der Mann seinen Esel an. Die beiden Männer, die dahintergegangen waren, stellten sich breitbeinig hin und pflanzten ihre Spieße vor sich auf.

      »Komm heraus!«, rief der Dicke mit seltsam hoher Stimme Hagar an. Hagar kletterte heraus, ihre Großmutter half ihr dabei.

      »Von dir will ich nichts!«, schimpfte der

Скачать книгу