Vielleicht begab es sich aber .... Eckart zur Nieden

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Vielleicht begab es sich aber ... - Eckart zur Nieden

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meinetwegen will ich dort hin, sondern deinetwegen.« »Meinetwegen? Aber ich will gar nicht nach Ägypten!«

      »Du sollst dir dort eine Frau nehmen.«

      »Es gibt hier bei den Wüstenstämmen auch geeignete Frauen.«

      »Kennst du eine?«

      »Nein. Nein, aber ich werde sicher eine finden.«

      Hagar antwortete nicht. Sie spannte das Schaffell, das sie behandelt hatte, zwischen die Pflöcke, die dafür in passendem Abstand in den Boden getrieben waren. Ismael half ihr, die Schnüre zu spannen, ohne dabei aufzustehen, er wälzte sich nur etwas hinüber.

      Schließlich sagte seine Mutter: »Ägypten ist ein besseres Land als diese trockene, menschenleere Gegend, Ismael. Da gibt es viele Häuser und Tempel, sogar die gewaltigen Pyramiden, die Grabstätten der alten Könige. Es gibt Händler, die von weit her ihre Waren bringen und ihre Berichte von allem, was in der Welt vorgeht. Es gibt Schiffe, die der Wind treibt, und Streitwagen, die von schnellen Pferden gezogen werden. Es gibt Gelehrte, die erzählen können, was früher war, und die die Kunst beherrschen, das alles in Zeichen festzuhalten, die wieder andere lesen und in Worte zurückverwandeln können. Es gibt Meister des Bauens, Meister des Malens von schönen Bildern, Meister der Musik, Meister der Steinmetz- und der Goldschmiedekunst. Es gibt Heilkundige und Sterndeuter und Strategen und … ach, es gibt alles, was du dir vorstellen kannst. Und was gibt es hier? Sand und ein paar Sträucher, Bäche, die drei Viertel des Jahres keinen Tropfen Wasser führen, Springmäuse und Schlangen und ab und zu einen Wüstenfuchs oder einen Springbock. Und Fliegen.«

      »Na und?«, erwiderte ihr Sohn und setzte sich auf. »Mir reicht es. Ich bin ein Jäger, wie du selbst gesagt hast. Was soll ich in Ägypten jagen? Heilkundige und Goldschmiede und Baumeister? Oder die Rinder, die immer jemandem gehören, der mich dann ins Gefängnis werfen lässt, wenn ich auf sie schieße? Ich bin ein Sohn dieses Landes, Mutter, ein Sohn der Wüste und der Steppe. Mein Vater musste immer da hinziehen, wo noch kein anderer Besitzansprüche geltend machte. Wenn ich in einem Haus leben müsste und links und rechts daneben wohnten hundert andere Leute, wenn ich zum Horizont sehen wollte und könnte ihn nicht finden, weil lauter Häuser davorstehen, wenn ich in die Weite gehen wollte und müsste dabei immer auf festgelegten Linien bleiben, den Straßen, weil ich niemandes Acker zertrampeln darf – dann würde ich verzweifeln.«

      Er ist kein Kind mehr, dachte Hagar. Ich kann ihn nicht zu etwas drängen, das er nicht will. »Lass uns ein anderes Mal darüber reden«, sagte sie und hoffte, dass bei anderer Gelegenheit die Stimmung besser sein würde.

      »Außerdem«– Ismael wollte sich nicht so leicht von seinen Gedanken abbringen lassen –, »außerdem sagst du doch, Gott habe dir versprochen, meine Nachkommen sollten ein großes Volk werden. Wo soll das Volk denn wohnen? In Ägypten ist kein Platz mehr.«

      Als Hagar nichts sagte, bohrte Ismael nach einer Weile nach: »Weißt du keine Antwort?«

      »Nein, mein Sohn, ich weiß nicht, wo dieses Volk leben wird.«

      »Vielleicht stimmt es gar nicht, dass ich der Vater von zwölf Fürsten werde, die auch wieder viele Kinder haben. Wer kann schon wissen, was in der Zukunft liegt.«

      »Gott weiß es.«

      Hagar ging in die Hütte und legte ein paar trockene Äste auf das Feuer. Dann schürte sie es und hängte einen Bronzetopf mit Wasser an das dreibeinige Gestell darüber.

      Ismael folgte ihr und sagte: »Weißt du, was ich nicht verstehe, Mutter?«

      »Sag es mir!«

      »Dass du so fest mit dem Gott Abrahams rechnest.«

      Sie sah ihn erstaunt an. »Wie meinst du das?«

      »Du hast in deiner Kindheit andere Götter gehabt. Vom Gott meines Vaters hattest du keine Ahnung. Auch bei den Völkern um uns her werden ganz andere Götter angebetet. Warum vertraust du darauf, dass der Gott Abrahams der einzige wahre Gott ist?«

      Hagar holte Luft, um zu antworten, aber Ismael sprach schnell weiter: »Ich kann mir denken, was du sagen willst. Du hast es eben in Abrahams Zelt so gelernt. Die meisten glauben ja so, wie man es sie gelehrt hat. Aber man lernt weniger durch Worte als durch Vorbilder. Sara, mit der du meistens zu tun hattest, aber auch Abraham waren dir kein gutes Vorbild. Sie haben dich enttäuscht, dich vor den Kopf gestoßen, dich vertrieben. Wie kommt es, dass du trotzdem an dem festhältst, was du bei ihnen gelernt hast? Wenn du all das Böse, das du in ihrem Zelt erlebt hast, am liebsten aus deinem Gedächtnis verbannen möchtest – warum verwirfst du nicht auch ihren Glauben?«

      »Aber Ismael!« Sie sah ihren Sohn mit ihren großen dunklen Augen an, als wunderte sie sich, dass er diese Frage stellte. »Ich glaube doch an den einzigen, unsichtbaren Gott nicht darum, weil mir Abraham und Sara das so beigebracht haben!«

      »Sondern?«

      »Weil er selbst mir begegnet ist! Du kennst doch die Geschichte, wie ich fliehen wollte, und Gott mich sah und zu mir sprach, ich solle zurückgehen. Ich habe dir oft davon erzählt. Und wie wir nachher, als Abraham uns fortschickte, fast verdurstet wären und wie Gott uns half, das hast du selbst erlebt.«

      Ismael schob eins der Hölzer mit dem Fuß weiter ins Feuer. Es war eine Geste der Verlegenheit. »Ja, das stimmt.«

      »Und darum bin ich auch absolut sicher, dass er sein Versprechen erfüllt, aus dir ein großes Volk zu machen. Und …«, lächelte sie, »wenn du der Vater eines großen Volkes wirst, werde ich seine Großmutter.«

      Jetzt lächelte Ismael auch. »Ein steiler Aufstieg vom Sklavenmädchen zur Großmutter eines Volkes.«

      »Ja, und das habe nicht ich erreicht, das hat Gott gemacht. Er hat nicht nur mit mir geredet, sondern auch gehandelt. Durch viel Not, durch Lehm und Fliegen und Verachtung und Beleidigungen zu einem guten Ziel. Sollte ich diesem Gott absagen? Nein, Ismael, das kann ich nicht. Das will ich auch nicht. Dem Lebendigen, der mich sieht und über mir wacht, will ich treu bleiben.«

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