Das Geheimnis der goldenen Brücke. Michael Kunz
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Peter ging daraufhin auf den Baum zu, legte seine beiden Arme großzügig um ihn und spürte mit jedem weiteren Augenblick, wie gut dem Baum diese Umarmung tat. Je länger er ihn umarmte, desto stärker spürte er, wie gern der Baum sein Freund wäre. „Ich hab’ dich lieb, Baum. Ich verspreche dir, ich komme auch bald wieder.“ Etwas Trauriges lag in diesen Worten, die Peter aus sehr tiefer Zuneigung gesprochen hatte.
Nun bückte sich Erik, schaufelte in seine beiden Hände Erde und formte sie zu einem Kelch. „Hast du gewusst, dass sich in meinen Händen etwa eine Milliarde Lebewesen befinden?“
„Ist eine Milliarde viel?“
Mama kauft doch immer die kleinen Dosen mit Erbsen, wo du uns doch mal gefragt hast, was 400 ml bedeutet.“
„Ich weiß, welche du meinst! Hab’ aber vergessen, was ihr damals gesagt hattet. Ich weiß nur noch, dass du die Erbsen dann gezählt hast“, lachte Peter, er fand es nämlich schon damals wahnsinnig amüsant.
„Da siehst du es: Andere Papis genießen am Wochenende die Sonne im Schaukelstuhl oder basteln an ihrem Motorrad oder treffen sich mit Kumpels zum Kegeln, während dein Papa zu Hause sitzt und brav die Erbsen für seinen Sohnemann zählt. Es waren immerhin über tausend Erbsen in der Dose. Wenn ich jetzt jeden Tag tausend Dosen zählen würde, dann würde ich tausend Tage benötigen. Da hättest du inzwischen dreimal Geburtstag gehabt.“
„Und dann?“
„Dann könnte ich zu dir sagen: Peter, das sind eine Milliarde Erbsen. Und die Dosen werden dann wahrscheinlich alle in meinem Arbeitszimmer landen“, lachte Erik, der sich gerade Annas verärgertes Gesicht und die kleine Speisekammer, bis zum Rand mit Erbsendosen gefüllt, vorstellte.
*
„Dummes Kind! Was nützen dir eine Milliarde Erbsen, wenn du doch keinen einzigen Gedanken daran verschwendest, mich zu suchen?“ ES stampfte mit dem Fuß auf und rief voller Zorn: „Aaaah!“
*
„Was war das, Paps?“
„Was meinst du? Ich habe nichts gehört!“
„Es klang wie ein A.“
„Eine Krähe vielleicht“, stellte Erik kurzerhand fest, wippte dann leicht mit der Erde in den Händen, um das Objekt, auf das er nun verweisen wollte, auch optisch hervorzuheben: „Jetzt schau dir mal die Erde an.“
Peter begutachtete die Erde wie ein angehender Wissenschaftler, stocherte vorsichtig mit dem Zeigefinger darin herum und wurde in der Tat fündig: „Ein Regenwurm... Noch ein Regenwurm. Und so ein komisches Käferdings.“
„Das ist eine Assel. Und schau mal da hin: Das ist ein Tausendfüßler.“ Erik deutete mit der Nase auf einen Wurm mit zahllosen Füßchen, der ängstlich im Erdreich Schutz suchte.
„Igitt!“
„Das ist alles Natur.“
„Ja, aber das sind doch keine Milliarde Lebewesen.“
„Da gibt es ja auch noch Bakterien, Milben, Springschwänze, Wimperntierchen und anderes. Und vergiss nicht die Pilze! Das ist aber alles so klein, dass du sie nicht mehr zählen kannst. Weil du sie nämlich gar nicht mehr siehst. Dafür gibt es dann spezielle Apparate, mit denen sich diese kleinen Lebewesen gigantisch vergrößern lassen. Bloß weil du diese Lebewesen nicht sehen kannst, bedeutet das also nicht, dass sie nicht da sind.“
„Hhm.“
Erik schüttete die Erde schwungvoll auf den Boden, klatschte mehrmals in die Hände und rieb dann die Hände an den Hosenbeinen ab, um sich von der restlichen Erde loszusagen.
„Da wird Mama schimpfen, ich sehe ja jetzt schlimmer aus als du“, sagte er kopfschüttelnd, während er die großflächigen Schmutzflecke auf der Jeans begutachtete.
„Sag mal Peter, zertreten deine Schulfreunde eigentlich auch die Ameisen?“
„Schon“, antwortete Peter zögerlich.
„Du solltest besser deinen eigenen Weg gehen, nicht immer nehmen die anderen den richtigen Weg. Und wenn sie etwas Dummes machen, dann lass sie es ohne dich machen. Es ist nicht immer einfach, gegen den Strom zu schwimmen. Aber gerade diese Kraft macht dich zu einem ganz besonderen Menschen.“
Nun blieben sie stehen und Erik ging in die Hocke, um seinem Jungen in die goldbraunen Augen sehen zu können: „Aber egal wie viel Kraft du hast, setze sie niemals ein, um anderen Leid zuzuführen. Komm, lass uns jetzt nach Hause gehen. Mama hat das Mittagessen bestimmt bald fertig. Und auf dem Rückweg erzähle ich dir noch eine Geschichte über die Entstehung unserer Erde, wenn du möchtest.“
„Klar möchte ich!“
„Vor sehr langer Zeit lebte ein kleiner Gedanke und war sehr traurig über sein langweiliges Leben. Und somit beschloss er eines Tages, ein Kunstwerk zu schaffen. ‚Irgendwann, wenn ich längst vergessen bin, wird man es bestaunen. Ich bin mir ganz sicher, eines Tages wird man sich meines Kunstwerkes bewusst. Und staunen wird man, ganz fest staunen. Jawohl!’ Und so formte der Gedanke aus einer Idee eine Kugel, die er Sonne nannte. Er rieb sie zwischen den Händen, deswegen wurde sie immer heißer und heißer, bis sie schließlich 300-mal so heiß war wie der heutige Tag. ‚Das ist genau richtig’, überlegte sich der kleine Gedanke, ‚meine Sonne darf nicht heißer und nicht kälter sein. Und sie darf nicht größer und nicht kleiner sein.’ So ließ er die Sonne vorsichtig los und freute sich, als er sie schweben sah. ‚Nun will ich warten, was passiert’, dachte sich der kleine Gedanke, machte es sich gemütlich und schaute seiner Sonne zu.
Alles, was in die Nähe der Sonne kam, hielt sie mit ihren unsichtbaren Händen fest und aus diesem Grund kreisten einige Zeit später viele Kugeln um die Sonne herum. Diese Kugeln nannte der kleine Gedanke Planeten. Manche waren ihr sehr nah und deswegen fürchterlich heiß. Aber die meisten waren sehr weit weg, deswegen war es bitter kalt auf ihrer Oberfläche. Ein Planet, unsere Erde, fiel dem kleinen Gedanken auf, denn sie unterschied sich von all den anderen: Er war weder zu nah, noch zu weit weg von der Sonne. ‚Schade, dass die Erde so klein ist. Wenn sie eines Tages von Luft umgeben wird, dann ist meine Erde viel zu schwach, die Luft mit ihren kleinen, schwachen Armen festzuhalten. Oh ja, ich befürchte, die Luft wird in den Weltraum entschwinden!’ Deswegen formte der kleine Gedanke einen zweiten Planeten und nannte ihn Theia. Er schubste ihn an und so kam es, dass Theia und die Erde zusammentrafen. Das gab einen riesigen Knall! In alle Richtungen flogen die Trümmer. Aber die beiden Planeten waren noch sehr weich und geschmeidig, sie konnten verschmelzen und die Erde wurde größer. Und das, was von Theia übrig blieb, nannte der kleine Gedanke den Mond. ‚Er soll von nun an ein Begleiter sein und meine stürmische Erde umkreisen. Wie Mann und Frau sollen sie zusammenbleiben, und einer braucht den anderen. Ich bin mir sicher, meine Erde wird sich bald beruhigen.’ Und so geschah es tatsächlich. Aber der kleine Gedanke begutachtete die Erde skeptisch, denn etwas fehlte noch: ‚Der Weltraum ist groß und gefährlich’, dachte er, ‚der Mond kann meine Erde nicht beschützen.’ Er betrachtete die anderen Planeten und als er den größten unter ihnen sah, strahlte er: ‚Dich nenne ich Jupiter und du passt auf die Erde auf. Wie ein Staubsauger sollst du alles Geröll, das auf die Erde zufliegt, aus dem Weg räumen!’
Alles war also perfekt eingerichtet, um Leben entstehen zu lassen: Die Erde hatte