Mami, ich habe eine Anguckallergie. Inez Maus
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Nach dieser Auflistung waren wir der Meinung, dass unser Baby sich gut entwickelt hatte und es keinen ernsten Anlass zur Sorge gab. Dass Benjamin zwar Dinge aufhob, sie aber nicht zu mir brachte, beunruhigte mich damals genauso wenig wie die Tatsache, dass er sich weigerte, alleine mit einem Löffel zu essen oder einen Buntstift zu benutzen. Kekse und Brotstückchen oder auch gekochte Nudeln steckte er sich mit den Fingern alleine in den Mund, das fand ich für sein Alter ausreichend. Seine Babybücher schaute er sich allerdings stets alleine an und es gelang mir nicht, ihn dazu zu bewegen, mich daran teilhaben zu lassen oder mir etwas zu zeigen, wonach ich ihn fragte. Gemeinsames Bücherlesen wurde somit neben dem schon erwähnten Buddeln im Sandkasten eines meiner Hauptziele für sein neues Lebensjahr. Im Nachhinein bin ich mir auch nicht mehr sicher, ob Benjamin nur aus Zuneigung sein Gesicht und seinen Körper an mich drückte, es war wohl öfter eine pure Angstreaktion und eher selten eine reine Schmuseangelegenheit.
Schnipselsuppe
Im Spiel verraten wir, wes Geistes Kind wir sind. Publius Ovidius Naso (Ovid)
Wenige Tage nach seinem ersten Geburtstag konnte Benjamin selbständig laufen und von da an war er unentwegt in der Wohnung unterwegs. Entweder lief er herum, kletterte auf alle erreichbaren Möbel oder schob Autos und seine heiß geliebte, große Lokomotive durch die Zimmer. Ich konnte ihn keinen Augenblick aus den Augen lassen. Seit seinem Geburtstag sagte er „Danke!“, und zwar jedes Mal, wenn wir ihm etwas in die Hand gaben. Das fand ich schon faszinierend, und es tröstete mich darüber hinweg, dass er immer noch nicht „Mama“ sagte. Schon vor Monaten war mir aufgefallen, dass Benjamin nicht versuchte, alles Mögliche in den Mund zu stecken, so wie es gleichaltrige Babys aus dem natürlichen Drang zur Erkundung ihrer Umwelt in diesem Alter tun. Er ließ nur Essen, damit verbunden seinen Lieblingslöffel, seinen Nuckel und Eisbeißringe, wenn er Zähnchen bekam, an seinen Mund. Jetzt hatte sich die Situation schlagartig geändert. Sobald er laufen konnte, hatte er zwei neue Lieblingsbeschäftigungen: Er lief zum Spiegel und leckte sein Gegenüber ab und er war ganz wild darauf, Schuhsohlen abzulecken. Ersteres konnte ich mit ruhigem Gewissen zulassen, aber um die Schuhe entstand ein erbitterter Kampf. Besonders schwierig war die Situation dann, wenn wir hinausgehen wollten. Conrad brauchte mit seinen vier Jahren hier und da noch Hilfe beim Anziehen, hauptsächlich bei schwierigen Verschlüssen, und in diesen Situationen hätte ich noch zwei weitere Arme benötigt, um Benjamin von den Schuhen fernzuhalten. Eine im Flur aufgehängte Maus mit vielen Spielaktivitäten wie Quietschen und Rasseln zum Erzeugen verschiedenster Töne brachte nur bedingt Abhilfe. Wieder war ich hin und her gerissen: Sollte ich mich nun freuen, dass Benjamin seine Umwelt auch mit dem Mund erkundete, oder sollte ich mir Sorgen machen, wegen der Art und Weise, wie er es tat?
Bedingt durch Benjamins andauernde Einschlafprobleme änderte sich unser Leben langsam und zu Beginn auch eher unbemerkt. Ich vermied es immer häufiger, mit beiden Kindern einkaufen zu gehen. Diese ständigen Angstattacken konnten nicht gut sein für unseren Sohn, außerdem hegte ich immer die Hoffnung, dass sich mit der Zeit alles bessern würde. Der Wochenendeinkauf wurde komplett von meinem Mann erledigt, Kinderkleidung bestellten wir fortan hauptsächlich über den Versandhandel und ich ging nur noch einkaufen, wenn Benjamin in dieser Zeit von Leon betreut werden konnte, wobei Conrad mich fast immer begleitete. Meine Außenaufenthalte beschränkten sich darauf, mit den Kindern spazieren oder auf den Spielplatz zu gehen. Manchmal gelang es uns auch in kleineren Läden, wie einem Bäcker, kurz einzukaufen. Auf dem Spielplatz saß Benjamin im Kinderwagen, beobachtete die Kinder, zumindest glaubte ich das, und war nicht bereit, den Spielplatz zu betreten. Nun gut, da wir uns dem Winter näherten und das Wetter häufig nass und regnerisch war, vertagte ich die Aufgabe, Benjamin das Spielen auf dem Spielplatz beizubringen, auf den Frühling. Bis dahin konnte sich ja noch vieles ändern. Mit dem schlechter werdenden Wetter trafen wir uns mit Conrads Freund Jonathan, dessen Bruder und seiner Mutter immer häufiger drinnen. Das löste für Benjamin eine neue Lawine von Problemen aus. Bis jetzt hatte er bei derartigen Besuchen in seiner Tragetasche gelegen oder wurde von mir ständig herumgetragen. Nun, da er laufen konnte, war er als Spielgefährte für Jonathan und dessen Bruder Kilian, der ein halbes Jahr älter als Benjamin war, äußerst attraktiv. Die beiden versuchten auf jede erdenkliche Weise, ihn in ihr Spiel zu integrieren. All diese Versuche wurden von Benjamin energisch abgewehrt. Da er aber ansonsten mit Conrad, nein eigentlich neben Conrad, gut spielen konnte, waren es wohl die lebhaften Jungs meiner Freundin, die ihn einschüchterten. Fortan versuchte ich Treffen zu arrangieren, wo Benjamin nicht anwesend war. Auch Verwandtschaftsbesuche wurden immer häufiger nur von mir und Conrad wahrgenommen, während mein Mann Leon mit Benjamin im Park spazieren ging. So gelang es uns, etwas Ruhe in unser Familienleben zu bringen, denn aufregende Tage für Benjamin gab es nach wie vor genug, nämlich Arztbesuche und familiäre Pflichtbesuche zu Geburts- und Feiertagen.
Mein Tagebuch berichtet in dieser Zeit häufig über Beobachtungen, die ich stolz damit beschrieb, dass Benjamin den Tauschhandel entdeckt habe. Dahinter verbirgt sich die Tatsache, dass unser Sohn nach den Mahlzeiten die Brotkrümel vom Küchenteppich aufpickte und mir brachte. Irrtümlicherweise glaubte ich, er wolle mir damit sagen, dass er etwas zu essen haben möchte. Zur Belohnung gab ich ihm dann immer ein kleines Stückchen Brot oder Brötchen. Ich fand es schon sehr verwunderlich, dass ein so kleines Kind Krümel überhaupt beachtete, Conrad dagegen schien sie immer noch nicht als störend zu empfinden. Entwickeln sich Geschwister wirklich so unterschiedlich? Dass das Sammeln kleiner Gegenstände in diesem Alter eine Handlung mit Zwangscharakter darstellt, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, und ich traf auch niemanden, der darin etwas wirklich Besorgniserregendes gesehen hätte. Benjamins Vorliebe für kleine Dinge beschränkte sich jedoch nicht nur auf Brotkrümel. Zu seinem zweiten Weihnachtsfest war er damit beschäftigt, vom Weihnachtsbaum heruntergefallene Nadeln einzusammeln. Da sich zu dieser Zeit die Nordmanntanne noch nicht als gängiger Weihnachtsbaum durchgesetzt hatte, lieferte die festlich geschmückte Fichte reichlich Arbeitsmaterial für unseren Sohn. Er war überglücklich, als ich ihm für die eingesammelten Nadeln ein kleines Eimerchen gab. Diese Tätigkeit führte er zwei Wochen lang tagtäglich aus, solange bis der Baum wieder aus unserer Stube verschwunden war.
Wenig später entdeckte Benjamin seine Vorliebe für das Spielen mit Kindergeschirr. Er rührte in den Töpfen, schaufelte nach unserer Interpretation symbolisches Essen hin und her, und wir hatten unsere Freude daran, ihm zuzusehen. Eines Tages zerriss ich eine Karteikarte, bevor ich sie wegwerfen wollte. Benjamin, der immer genau mitzubekommen schien, was ich gerade tat, lief mit seinem Topf zu mir und bedeutete mir, dass er die Schnipsel haben möchte. Er zeigte mit seinem Kochlöffel in seinen leeren Topf und rief aufgeregt: „Da, da!“ Ich war überwältigt davon, was ich doch für ein kluges Kind hatte, und gab sie ihm bereitwillig. Fortan kochte er leidenschaftlich Schnipselsuppe. Aber täglich kam er mit einem anderen Topf, den er auch mit Schnipseln gefüllt haben wollte. Mit der Zeit häufte er wahre Schnipselberge an, und die Ausdauer, mit der er dieses Spiel spielte, begann langsam uns zu beunruhigen. Ich beschloss, die Schnipsel um ungefähr ein Zehntel zu reduzieren und tat dies nachts, um unangenehmen Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Mein Grundsatz war zwar, den Kindern nie heimlich Spielzeug wegzunehmen, auch dann nicht, wenn sie offenbar zu groß dafür waren. Aber diese Schnipsel fielen in meinen Augen nicht unter diese Regel. Am nächsten Morgen schrie Benjamin völlig verzweifelt, dicke Tränen rannen über seine runden Wangen und er zeigte immer wieder hoch erregt auf seine Töpfe, während er ein verzerrtes „Da!“ hervorstieß. Was hatte ich nur getan! Ich vermochte mir nicht zu erklären, wie er das Fehlen der Schnipsel bemerken konnte. Es dauerte einen halben Tag, bis ich ihn wieder richtig beruhigen konnte, und natürlich kam ich nicht darum herum, ihm neue Schnipsel zu geben. An dieser Stelle nahm ich mir fest vor, mich in Zukunft noch besser in meinen kleinen Sohn hineinzuversetzen, damit mir solche gedankenlosen Fehler nicht mehr allzu häufig unterlaufen würden. Da ich all diese Probleme von meinem ersten Kind nicht kannte, glaubte ich nun, dass Conrad wohl ein sehr pflegeleichtes Baby