Der ermordete Gärtner. Uwe Schimunek

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Der ermordete Gärtner - Uwe Schimunek

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blieb ihm verborgen. Der Mann schritt zur Straßenecke. Diesen Gang, den kannte Eggebrecht genau. Aus dem Schatten trat eine Frau an die Seite des Mannes – die schwarze Frau. An der Ecke wandten die beiden sich stadteinwärts. Eggebrecht sah das Profil der Frau. Sie hatte sich bei dem Mann untergehakt. Sie sah älter aus, als er erwartet hatte. Aber sonst: Charakterwangen, Stupsnase, Lidstrich.

      Auch auf das Gesicht des Mannes fiel ein Strahl der tiefstehenden Abendsonne. Eggebrecht zuckte zusammen, als er ihn erkannte: Die Frau lief Arm in Arm mit seinem Vater.

      Konrad Katzmann schaltete das Radio ein, er brauchte Ablenkung. Das Orchester spielte die spanische Rhapsodie von Ravel. Wie jeden Wochentag sendete die Mitteldeutsche Rundfunkgesellschaft nach Wetterdienst, Presseschau und Börsennachrichten Musik von Schallplatten. Katzmann hatte die Ansage verpasst, so wusste er nicht, welches Orchester auf der Platte zu hören war, die gerade gespielt wurde. Es war ihm auch nicht wichtig. Die Papiere auf dem Tisch zeigten das Arbeitspensum für den Nachmittag an: ein Stapel Blätter, den er normalerweise in einer halben Stunde gesichtet hätte. Nur sausten seine Gedanken immer noch umher wie ein Schwarm Fliegen.

      Katzmann sah die Papiere durch. Sie behandelten einen Überfall auf den Genossen Kutscher. Der SPD-Landtagsabgeordnete war bei einer Veranstaltung von einer rechten Schlägerbande angegriffen worden und musste im Krankenhaus behandelt werden. Leistner wollte ein Porträt des Genossen im Blatt haben, so schnell wie möglich. Und nun lagen die Dokumente auf dem Tisch in Katzmanns Souterrain-Bude: eine Abschrift von Kutschers Aussage bei der Polizei, eine Reihe von stichpunktartig hingekritzelten Augenzeugenberichten, ganz obenauf zwei kurze Artikel aus der LVZ.

      Natürlich lehnte Katzmann jeden gewaltsamen Überfall ab, auf einen Sozialdemokraten erst recht. Nur befürchtete er, dass Leistner einen Propaganda-Artikel erwartete. Der Chefredakteur selbst war nicht zu sprechen gewesen und hatte den Kollegen Krause von der Politik mit den Unterlagen geschickt. Katzmann fragte sich, warum Krause den Text nicht gleich selbst verfasste – die von der Politik wussten sowieso immer alles besser.

      Ob seine persönliche Beziehung zu Kutscher in der Redaktion bekannt war? Die längst vergangene Affäre mit der heutigen Liesbeth Kutscher? Das konnte er sich nicht vorstellen. Dennoch kam ihm die Sache komisch vor.

      Er nahm den ersten Artikel zur Hand.

      Gemeiner Überfall

       Am Wochenende ist eine Veranstaltung der SPD im Nordpol in Wiederitzsch brutal überfallen worden. Eine Horde von einem Dutzend Stahlhelm-Schergen ging mit Knüppeln auf die friedliche Versammlung los. Den Arbeitern gelang es, die braune Bande zurückzuschlagen. Allerdings wurde der Gastredner Wolfram Kutscher, Landtagsabgeordneter der SPD, von den Verbrechern am Kopf verletzt. Er musste im Hospital behandelt werden. Dem Vernehmen nach geht es Kutscher den Umständen entsprechend gut.

      Katzmann schaute auf den Zeitungsausriss. Nachdem er das Datum vom Montag der vergangenen Woche registriert hatte, legte er das Blatt beiseite. Der nächste Ausriss war auf den vergangenen Freitag datiert.

      Abgeordneter Kutscher aus Hospital entlassen

       Der bei einem hinterhältigen Überfall verletzte SPD-Politiker Wolfram Kutscher nimmt seine politische Arbeit wieder auf. Seine Kopfverletzung sei zufriedenstellend verheilt, sagte Kutscher unserer Zeitung. Von rechten Verbrechern werde er sich nicht einschüchtern lassen. Wann Kutscher wieder an Landtagssitzungen teilnehmen kann, ließ er vorerst offen. Kutscher war bei einem Überfall von Stahlhelm-Schergen auf eine Parteiveranstaltung in Wiederitzsch mit einem Knüppel niedergeschlagen worden.

      Das war’s. Mehr LVZ-Artikel fand er nicht in den Papieren. Nur diese knappen Worte – und nun sollte Katzmann das Pamphlet dazu schreiben … Warum kamen sie damit zu ihm?

      Im Radio fiedelte das Orchester, und Katzmanns Gedanken schwärmten wieder aus – geradewegs zu Liesbeth Kutscher. In seinen ersten Leipziger Wochen war er ihr sehr nahe gekommen. Seinerzeit hieß sie mit Nachnamen noch Weymann. Zehn Jahre lag das zurück … Ob er Liesbeth treffen würde, wenn er mit Kutscher sprach? Und würde sie ihn wiedererkennen?

      Katzmann dachte an sein Spiegelbild und an alte Photographien von ihm. Da gab es erhebliche Unterschiede. Nein, er hatte keinen Bauch bekommen wie viele seiner Kollegen, und abgesehen von den Geheimratsecken gab es auf seinem Kopf auch noch etwas zu kämmen. Nur sah er jetzt eben aus wie ein Mann und nicht mehr wie ein Junge im Anzug. Hatte Liesbeth sich stärker verändert als er?

      Das bekam er nur heraus, wenn er sie traf. Er nahm die Blätter und suchte nach einer Adresse … Die Kutschers wohnten in der Bismarckstraße 21. Vornehme Gegend für einen Sozi, dachte Katzmann. Oder gab es da zwischen den Villen auch bescheidenere Bauten?

      Katzmann überlegte. Wenn er zu Eggebrecht nach Lindenau fuhr, konnte er den Weg über die Bismarckstraße nehmen. Er schaute auf seine Taschenuhr: zehn nach sechs. Noch ein bisschen zu früh, um in den Leipziger Westen zu fahren. Andererseits, wenn er gleich startete, konnte er sich in Ruhe ein Bild von Kutschers Wohnumfeld machen.

      Als Katzmann das Radio ausschaltete, klang es, als habe jemand mit einer riesigen Fliegenklatsche auf die Musiker gehauen: Ein Klack, und es herrschte Ruhe in der Kiste.

      Katzmann nahm den Motorradmantel und den Helm vom Haken. Er faltete das Blatt mit der Adresse, steckte es ein und verließ die Wohnung.

      Das Motorrad musste bald wieder zur Reparatur. Katzmann hörte im Tuckern des Motors schon wieder ein Geräusch, das nicht dahin gehörte. In letzter Zeit passierte das immer häufiger. Die NSU kam in die Jahre. Sein Verhältnis zu der Maschine entwickelte sich wie eine Affäre kurz vor ihrem Ende: Wann immer es ging, zickte sie herum, und ihn störte jede Kleinigkeit … Auf der anderen Seite hatte er sich an die NSU gewöhnt. Vielleicht flammte die Liebe nach einer Generalüberholung wieder auf.

      Katzmann steuerte das Motorrad an den Straßenrand. Das Gespann rollte in Schrittgeschwindigkeit. Er schaute über den gusseisernen Zaun zum nächsten Hauseingang: Nummer 19. Liesbeth wohnte offenkundig nur ein paar Meter weiter.

      Er tuckerte im Schatten der Prunkbauten stadtauswärts. Die Fassaden sahen aus, als hätten die Stuckateure hier einen Wettbewerb ausgetragen. Verzierungen in Form von Engelsfiguren, Blumengestecken, Laubblatt-Ensembles – ein Garten Eden des Überflusses pappte an den Hauswänden. Katzmann war schon länger nicht mehr in dieser Gegend gewesen, hierher verschlug es einen Reporter einer SPD-Zeitung nicht oft. Wieso wohnte ein sozialdemokratischer Abgeordneter in so einem Bonzenpalast?

      Katzmann passierte die Moschelesstraße und rollte weiter. Nach der Eckvilla schaute er in einen Garten, der im Sommer wohl die natürliche Antwort auf die Stuckgebilde an den benachbarten Fassaden darstellte. Im Dämmerlicht des endenden Winters wirkte das Grundstück trist wie ein Acker nach der Ernte. Gegen Jahreszeiten half auch Reichtum nicht – dieser Gedanke tröstete Katzmann immer, wenn er seine Eltern besuchte, und auch jetzt.

      Er stoppte die Maschine, setzte Brille und Helm ab und verstaute sie im Seitenwagen. Inmitten des Gartens stand eine Villa. Am Eingang entdeckte er die Hausnummer 21. Hier wohnte Liesbeth. Hier hätte auch die Belegschaft einer mittelgroßen Druckerei mitsamt Familien ein Zuhause gefunden. Aus zwei Fenstern neben dem Eingang schien elektrisches Licht auf die Bismarckstraße. Die beiden oberen Stockwerke machten den Eindruck, derzeit nicht in Benutzung zu sein. Der Eingang der Villa sah aus, als hätte der Architekt einen Turm an das Haus gebaut. Über der Tür fand im Erker des ersten Stocks ein Wintergarten Platz – mit Fenstern so groß wie Kleiderschränke. Darüber ragte eine verzierte Turmspitze in den Himmel. Katzmann malte sich aus, wie Liesbeth da oben am Abend einen Liebesroman las, während das Hausmädchen unten das Esszimmer in Ordnung brachte. Das passte zu der Villa, es ging nur überhaupt nicht mit seinem Bild von Liesbeth Weymann zusammen. Hatte sie ihre Jugend im Arbeiterbezirk im Leipziger Westen unter einem

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