Radwanderung in Kanada. Elisabeth Naumann
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Jahr für Jahr das Gleiche: Immer ging am ersten Tag unserer Radreise ins Unbekannte etwas schief. Als Optimist stellte ich einfach die Behauptung auf, dass gerade das ein gutes Zeichen sei, und wir glaubten fest daran. So gesehen erschreckten uns die verblüffenden Naturereignisse zu Beginn unserer achtwöchigen Kanadatour keineswegs, nein, sie schienen geradezu der Garant für einen ereignisreichen Abenteuer-Urlaub.
17.6.2003
Der erste Morgen in Kanada begann vielversprechend. Er beschenkte uns mit strahlendem Sonnenschein und einem Stadtplan von Vancouver, den uns freundliche Wohnwagen-Nachbarn überließen; sie reisten ab und brauchten ihn nicht mehr. Wir aber, so meinten sie, würden uns ohne eine Karte garantiert verfahren und uns kaum aus der quirligen Stadt hinausfinden. Aber gerade das wollte vor allem ich, nämlich so schnell wie möglich der Eineinhalbmillionen-Metropole den Rücken kehren. Ich mag Großstädte nicht.
Kanadas großartige Natur wartete auf uns, und so erschien mir, im Gegensatz zu Martin, Vancouver völlig uninteressant, eine Großstadt eben, schrecklich laut, mit schrecklich vielen Menschen und schrecklich viel Verkehr. Natürlich war das egoistisch von mir, und nicht nur das, es war geradezu dumm, denn hierher, daran bestand kein Zweifel, würden wir nie wieder kommen. Und so wäre es viel sinnvoller gewesen, meine bessere Hälfte hätte nicht klein beigegeben, sondern kräftig mit der Faust oder noch besser mit dem ausgezogenen Schuh auf den Tisch gehauen und gesagt: „Nein! Einen Tag bleiben wir hier und sehen uns Vancouver an!” Aber leider war kein Tisch da.
So verließen wir den Campingplatz und waren uns sicher, stadtplanmäßig auf der richtigen Straße zu fahren. Der vorbei brausende Verkehr nervte entsetzlich, zudem stieg die Straße ständig an, und wenn die Ampel auf Grün sprang, wollten wir zeigen, welche Kraft immer noch in uns steckt und schafften es dann auch, mitunter in letzter Sekunde; toll! Toll? – Nein dämlich. Waren wir Anfänger? Hatten wir keine Erfahrung? Hätten wir nicht in aller Ruhe den nächsten Farbwechsel abwarten können? Aber nein, natürlich nicht, wir mussten uns doch gegenseitig beweisen, dass wir stark waren.
Die Straße, auf die wir abbiegen mussten, wollte und wollte nicht kommen. Sollten wir im Eifer etwa schon zu weit gefahren sein? Wir bogen in eine Nebenstraße ein, verglichen deren Namen mit dem Stadtplan und siehe da, das letzte Drittel des kraftraubenden Anstieges hätten wir uns sparen können. „Mist”, fluchte Martin, während ich mich auf die Bordsteinkante hatte fallen lassen, über meine eigene Dummheit ärgerte und gleichzeitig nach Luft rang.
Was wir uns zu weit nach oben gequält hatten, fuhren wir nach einer Verschnaufpause in östlicher Richtung wieder abwärts, und bald erreichten wir auch den richtigen Weg nach Hope.
Schließlich hatten wir die Stadt hinter uns gelassen, es war früher Nachmittag, unheimlich schwül und somit auch kein Wunder, dass ich nicht gut drauf war; Hitze ist nicht optimal für mich. Plötzlich wurde mir richtig schlecht. Ich versuchte noch einen hilfreichen Trick und sagte mir: „Tu so als ging’s dich gar nichts an“, doch diesmal verfehlte er seine Wirkung. Es ging mich sehr wohl was an, denn schlagartig ging nichts mehr. Und das an einer ungünstigen Stelle. Völlig egal! Ich musste mich an den Straßenrand legen, Arme und Beine kribbelten so, als läge ich in einem Ameisenhaufen und nicht auf der Luftmatratze, die Martin inzwischen herausgeholt und mir untergeschoben hatte. Diese Prozedur war nicht ganz neu, und so verfiel niemand in Hektik, wir wussten ja, dass ich bald wieder fit sein würde. Nach einiger Zeit verzog ich mich samt Luftmatratze hinter den nächstgelegenen Busch, und Martin entschied: „Wir fahren nicht bis zum Campingplatz, ich suche in der Nähe eine geeignete Stelle fürs Zelt.“
Später lagen wir beide im hohen Gras neben dem Fraser River, und mir ging es wieder gut, grad als wäre nichts gewesen. Der Hitze wegen hatten wir uns in den Schatten eines Baumes geflüchtet und beobachteten die gelegentlich vorbei kommenden Fußgänger oder auch Radfahrer oben auf dem Damm. Erst als der Abend hereinbrach, bauten wir unser Zelt auf, krochen hinein und, obwohl es in ziemlicher Entfernung zum Fluss stand, lullte uns sein Rauschen bald in den Schlaf.
Ich erwachte mit einem unangenehm feuchten Gefühl. „Martin”, lallte ich verschlafen, „die Wasserflasche ist ausgelaufen.” Eine Hand tastete sich über meinen Kopf hinweg in die Zeltecke, dann hörte ich: „Die Flasche ist voll.” Ob Martin den Satz tatsächlich zu Ende gebracht hat, vermag ich nicht zu sagen, denn im gleichen Augenblick schossen wir beide wie von einer Schlange gebissen in die Höhe. Keine Spur mehr von Schläfrigkeit, kein Gedanke mehr an feucht – wir lagen im Wasser! Wir fühlten, wie das Kopfteil der Luftmatratze synchrongleich mit uns in die Höhe schnellte, aber sehen konnten wir absolut nichts, es war stockfinster.
Wir zerrten die Reißverschlüsse auf und patschten hinaus ins Nasse, in eine ebenfalls pechschwarze Nacht. Beim ersten Griff ins Zelt erwischte ich die oben schwimmenden Luftmatratzen und schleifte sie in Richtung Damm, wo ich sie auf halber Höhe als Unterlage für alles andere ablegte. Zurück zum Zelt, das gegen den Himmel gerade so auszumachen war. Die Fototaschen mit den Papieren hatte Martin als Erstes gerettet und wollte sie auf den Luftmatratzen ablegen, nur fand er diese nicht; wie konnten wir uns auch dunkelblaue Luftmatratzen kaufen?
Inzwischen tastete ich in affenartiger Geschwindigkeit das Zeltinnere ab: „Ich hab die Taschenlampe! – Mist, sie brennt nicht.“ Jetzt fischte ich die Schlafsäcke und gleich noch schwimmende Kleidung heraus, die ich am Abend fein säuberlich am Fußende abgelegt hatte.
„Hier liegen die Luftmatratzen!”, rief es aus halber Höhe, „komm hierher!“ Und nachdem ich dort den zerweichten Stadtplan ausgebreitet hatte, war die Stelle auch ohne allzu große Sucherei wieder zu finden. Und während wir alles in rasender Geschwindigkeit hoch schafften, durchfuhr mich plötzlich ein Riesenschreck:
„Unsere