Radwanderung in Kanada. Elisabeth Naumann

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Radwanderung in Kanada - Elisabeth Naumann

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waren lediglich untergetaucht. Eiligst schlüpften wir in die Schuhe, was besser ging als gedacht, und erst jetzt kam mir der Gedanke, dass es hier durchaus Disteln geben könne. Schließlich kroch ich auf allen Vieren durch das Zelt und tastete den Boden nach den letzten Habseligkeiten ab. Als sich nichts mehr finden ließ, zogen wir zählender Weise die Haken heraus und kippten das Zelt um und aus, was viel leichter gedacht als getan war. Dann transportierten wir es hoch auf den Damm.

      Es ist wirklich kaum zu glauben, mit welcher Geschwindigkeit man in der Lage sein kann, sich zu bewegen. Und dabei stand uns das Wasser nicht einmal bis zum sprichwörtlichen Hals, sondern lediglich bis über die Knöchel.

      Inzwischen glaubte ich, es sei etwas heller geworden, doch der Verstand sagte mir, dass es meine Augen waren, die sich der Dunkelheit angepasst hatten. Und so entdeckte ich auch die Fahrräder, sie waren gegeneinander gestellt und, zum Glück, ausnahmsweise nicht angeschlossen. Wirklich zum Glück – für gewöhnlich schließen wir sie eng zusammen und legen das kleine Schlüsselchen ans Kopfende auf den Zeltboden; das wäre womöglich weg gewesen.

      Während wir nun unsere gesamten Habseligkeiten auf die Dammkrone transportierten, fing ich langsam aber sicher an zu frieren, denn meine Schlafleggins waren bis zum Allerwertesten hoch nass. Immerhin, hier oben war alles in Sicherheit. Nun lief Martin, beladen mit zwei Packtaschen, den schmalen Weg zurück, um jene Ausbuchtung zu suchen, an der wir am Tag vorbei gekommen waren. Derweil stand ich tatenlos und frierend herum. Gerade als ich zu zittern anfing, kam Martin zurück und sagte: „85, merk dir 85!” Ich muss ziemlich verständnislos geguckt haben, was er natürlich nicht sehen konnte, dennoch wiederholte er: „85 Schritte sind es bis zur Stellfläche.” Alles klar, mein Mann war eben mal wieder weitblickend, selbst in dieser dunklen Situation. Und so trugen wir, Schritte zählenderweise, alles an den neuen trockenen „Zeltplatz”.

      Schließlich war unser Ersatzquartier so gut wie eingerichtet. Martin hielt gerade den zweiten Schlafsack zum Abtropfen hoch und ich versuchte durch Drücken und Wringen dieses Vorhaben zu beschleunigen. Da ging der Mond auf. Ein bizarreres Bild hätte man sich nicht vorstellen können: Unmittelbar an der schmalen Dammkrone stand ein mit nassen Klamotten behangenes Zelt, umgeben von diversen geöffnet liegenden Packtaschen und ausgebreiteten zerweichten Landkarten. Nur den Fahrrädern hatte der Spuk nichts anhaben können, sie standen, wie eh und je eng aneinander geschmiegt, unweit unseres Feldlagers. Die Helligkeit erlaubte es, ohne weiteren Schaden zu verursachen, die in Plastetüten gehüllten warmen Jacken aus den Packtaschen zu holen – sie waren trocken geblieben und wärmten uns sofort etwas auf. Und während ich die letzten Schlafvorbereitungen traf, untersuchte Martin noch einmal die Unglücksstelle und kam mit hocherhobener Uhr zurück: „Sie hat mich aus dem Wasser regelrecht angeblinkert.” Dann krochen wir in die nassen Schlafsäcke, wo wir uns nach anfänglichem Zittern gegenseitig bestätigten, dass es langsam warm würde. Und im Einschlafen murmelte Martin: „Für die nächste Tour kaufen wir uns endlich wasserdichte Packtaschen.“ Ich glaube aber, da habe ich schon geschlafen.

      18.6.

      Noch in der Morgendämmerung rappelten wir uns hoch; bloß von niemandem so gesehen werden. Unser erster Blick aus dem Zelt galt dem Fraser River! Seltsam – unter uns zog er friedlich seine Bahn in Richtung Stiller Ozean, wirklich seltsam. Und so hätte uns eigentlich der Gedanke an einen schlechten Traum kommen müssen, wäre nicht das sonderbare Heerlager rings um uns Beweis genug für die Realität gewesen. „Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht“, sagte ich zu Martin, dann machten wir uns ans Zusammenpacken. Und als die Sonne aufgegangen war, erinnerte so gut wie nichts mehr an die Ereignisse der vergangenen Nacht. Einen dicken Wermutstropfen musste ich allerdings noch schlucken, mein guter Fahrradcomputer schwamm jetzt irgendwo im Meer. Dann saßen wir auf unseren Rädern, Martin allerdings mit knurrendem Magen, denn Brot und Wurst waren durch das Flusswasser entschärft worden, keinesfalls mehr genießbar. Aber auch in Kanada gab es McDonalds, und das Geschäft hatte zum Glück schon am zeitigen Morgen geöffnet.

      Auf der großen Wiese des Campingplatzes in Harryson Mills trockneten später bei strahlendem Sonnenschein und 32 Grad im Schatten unsere Habseeligkeiten vor sich hin. Da wir die einzigen Gäste waren, konnten wir alles ausbreiten, und die Textilien hingen, wie frisch gewaschen, auf der Leine.

      Der Chef des Campingplatzes berichtete uns mit wichtiger Miene, es habe in der Nacht eine der seltenen Springfluten gegeben, bei der sich das Wasser vom Stillen Ozean bis zum 60 Kilometer entfernten Hope zurückgestaut habe! Wir machten große Augen und zeigten uns sehr verwundert über diese sensationelle Mitteilung.

      Und da alles seine zwei Seiten hat, können wir doch eigentlich von Glück reden, dass wir dieses seltene Ereignis in vollem Umfang hatten miterleben dürfen.

      19.6.

      Bei bedecktem Himmel steuerten wir Hope an. Der Randstreifen der Nr. 7 war jetzt in einem besseren Zustand als am Vortag, was den Fahrspaß bedeutend erhöhte. Und auch optisch gesehen ging es aufwärts, die Berge in Fahrtrichtung wurden steiler und höher, während sich die dahinter liegenden noch in Wolken gehüllt hatten. Die kurzen Steigungen machten uns wenig aus, zumal wir von den erhöhten Standpunkten einen besseren Blick auf den Fraser River hatten, der sich in mehrere Arme teilte und wieder vereinte, sodass kleine Inseln entstanden waren.

      Bereits vor 14 Uhr erreichten wir Hope und den Campingplatz, der direkt an der Strecke, oberhalb des Flusses lag. Ein begraster lichter Wald, ein hübscher Pavillon und direkt daneben unser Zelt, was wollten wir mehr. Nur das Wetter hätte besser sein können, es war stürmisch geworden und auch kälter.

      Trotzdem sahen wir uns Hope an. Ein hübsches Städtchen mit vielen schönen und sehr alten Bäumen und vor allem mit großen Holzskulpturen, die sicher einst aus ebenso alten, dicken Stämmen geschnitzt wurden. Wir aber suchten und fanden die Touristinformation, um uns ein ganz bestimmtes Buch zu kaufen: „Cycling the Kettle Valley Railway“, ein Buch, das es leider nur in Englisch gab. Da wir es bereits mit Preis im Fenster gesehen hatten, reichte Martin das Geld passend über den Ladentisch. Doch die Dame schüttelte den Kopf, sie wollte mehr. Die Preisangaben waren hier ohne Mehrwertsteuer, diese wurde erst noch aufgeschlagen.

      Aber egal, ob mit oder ohne Mehrwertsteuer, ob in Deutsch oder Englisch, das Buch musste sein! Es beschreibt nämlich eine Strecke, über die wir in einem Werbeblatt für geführte Radtouren gelesen und uns sofort dafür begeistert hatten. Und deshalb waren wir jetzt hier in Kanada, hier in Hope, wo diese Strecke ihren Anfang nimmt und später durch die abgeschiedene Wildnis von British Columbia führt.

      „Kettle Valley Railway“, so nannte sich eine Bahnlinie, die einst von Hope nach Midway führte und damals die reichen Silbervorkommen transportierte. Diese Silbervorkommen waren um 1900 in einem völlig unzugänglichen Teil von British Columbia entdeckt worden und hatten einen gewaltigen Boom ausgelöst. Es muss ungeheuer schwierig gewesen sein, das silberhaltige Gestein umständlich und beschwerlich durch die Täler nach Süden in die USA zu transportieren. Deshalb wurde 1910 der Bau einer Bahnlinie beschlossen, die in West – Ostrichtung über die Cascade Mountains, das Thompson Plateau und das Okanagan Hochland führen sollte, um Hope mit Midway und dadurch auch Vancouver mit Nelson zu verbinden. Sechs Jahre dauerte dann der Bau, er beschäftigte in dieser Zeit 5.000 Arbeiter.

      Der Chef-Ingenieur McGulloch musste als Leiter nicht nur einen Weg durch das hufeisenförmige Myra Canyon finden, der schwierigste Abschnitt war wohl die als unbezwingbar geltende Coquihalla Schlucht. In einem Korb, hoch über ihr an einem Seil hängend, vermaß McGulloch das Gelände und ließ dann fünf Tunnel in den Granitfelsen sprengen. Über das Myra Canyon mussten 18 Brücken gebaut werden, zunächst alles Holzbrücken, deren höchstgelegene in 1274 Metern errichtet wurde, mit einer Länge von 132 Metern. Als die Strecke fertiggestellt war und die Bahn tatsächlich fuhr, bezeichnete sie der Volksmund als „McGullochs

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