Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

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Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich

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      »Es ist bemerkt worden, Herr Wichmann, daß Sie sparen. Aber das ist ohne Zweifel eine Tugend und mit den kommenden Ausgaben für das Eigenheim durchaus zu rechtfertigen. Blonde Mädchen sind hübsch, nicht?«

      »Warum soll ich mich von dieser allgemeinen Geschmacksrichtung ausschließen?«

      »Sie haben recht. Das Kollektive des Geschmacks ist eine der interessantesten soziologischen Erscheinungen in der Stadt. Es zeigt sich darin, daß die Großstadt fähig ist, ein eigenes Lebensgefühl auszubilden.«

      »In der kleinen Stadt ist das doch viel ausgeprägter.«

      »Irrtum, Irrtum, Herr Wichmann. Die sogenannte Kleinstadt ist nichts als ein ekelerregendes Amphibium, nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht Dorf und nicht Stadt. Sehen Sie sich die Frauen dort an, wie sie gekleidet sind, das sagt alles. Die Tracht ist ihnen verlorengegangen, und Geschmack haben sie nicht. Sie laufen herum mit Rosen und Federn, die Röcke zu kurz oder die Röcke zu lang. Ich würde die Menschen nicht so hassen, und ich wäre überhaupt anders geworden, wenn meine Eltern nicht in der Folterkammer ›Kleinstadt‹ gelebt hätten. In der Großstadt ist der unerträgliche Zwischenzustand zwischen Dorf und Stadt überwunden. Man hat sich ganz gelöst von dem total platten Lande, und das Flutende hat seinen eigenen Rhythmus gewonnen. Augenblicklich geht der Strom nach ›industrieblond‹ haben Sie sich nicht auch schon gewundert, daß eine so elegante Dame wie Frau Grevenhagen das Haar noch immer schwarz trägt?«

      »Ich habe ehrlich gestanden über eine andere Möglichkeit noch nicht nachgedacht. Vermutlich wird sie ihrem Gatten so gefallen, wie die Natur sie geschaffen hat.«

      »Eine typisch teutonische Auffassung, daß eine Frau sich nach dem Geschmack des Mannes zu richten habe. Haben Sie sich noch nie Rechenschaft darüber gegeben, was für eine Barbarei in dieser Forderung liegt? Geschmacksfragen gehören in das subtile Empfinden der Frau, allenfalls noch derjenigen Männer, die genügend weibliche Hormone in sich haben, um mit Feingefühl zu reagieren. Man kann Nuancen nicht mit der Keule entscheiden. In Fragen des Geschmacks sollen die Frauen unsere Erzieherinnen sein. Nicht umgekehrt.«

      »Dann bilden Sie Ihr Auge an den großen Blumen der Dame Lundheimer, Herr Nathan; ich nehme an, daß Sie sich dem Unterrichtskurs mit Hingabe widmen. Haben Sie aus Ihrer bewährten Quelle nicht schon etwas Neues erfahren, was Sie heute hierher treibt?«

      Ein kurzer Ruck mit dem Kopf verriet, daß Nathan sich in einer stillen Absicht überrascht und getroffen fühlte. Er parierte. »Ach, der rätselhafte Besucher bei Boschhofer ist Ihnen auch schon bekannt?«

      »Sie haben angenommen, daß die Nachrichten ins Abendland aus Mangel an genügend interessierten Stafettenläufern etwas langsamer transportiert werden?«

      »Na ja. Also was meint man denn hier zu der Sache?«

      »Wenn Herr Nischan den Besucher durch das Schlüsselloch gesehenhätte, wären wir vielleicht besser unterrichtet. Bloße Kombinationen gebe ich nicht weiter.«

      »Durch das Schlüsselloch? Sie machen mir Spaß, Herr Wichmann!« Nathan lachte laut. »Gibt es so was?«

      »Ein Schlüsselloch? Natürlich – an den meisten Türen gibt es so etwas.«

      »Sie machen mir Spaß, Herr Wichmann. Hat Ihnen Nischan schon von der Sache erzählt?«

      »Nischan nicht, aber vielleicht haben Sie die Güte?«

      »Es geht mich eigentlich nichts an. Ich möchte mich auch nicht auf bloße Kombinationen einlassen; das geht zu weit, Damen gegenüber so gut wie im Amt. Aber eine Frage …«

      »Hm?«

      »Sie kennen den mysteriösen Herrn vielleicht vom ›jour fix‹ bei Grevenhagen? Mit Grevenhagen hat die Sache unbedingt etwas zu tun.«

      »Wenn Sie den Namen wüßten?«

      »Irgend etwas mit ›burg‹, ›bruck‹– oder ›krug‹? Wäre das möglich?«

      »In dem weiten Zauberkreis, den Sie mit diesen präzisen Angaben ziehen, ist vieles möglich. Haben Sie den Herrn gesehen? Wenn nicht, dann muß doch Frau Lundheimer beschreiben können, wie er aussieht?«

      »Gut angezogen jedenfalls, gesetzten Alters, mit Zwiebelnase und Zwicker – können Sie sich an eine so markante Erscheinung erinnern?«

      »Nicht ohne weiteres, aber wenn mein Gedächtnis zu arbeiten anfängt, werde ich Sie von den Ergebnissen unterrichten.«

      »Sehr verbunden. – Der neue Etat ist übrigens heraus. Sie werden doch diesmal Regierungsrat?«

      »Nicht ehe Sie sich zum ›Ober‹ durchgerungen haben. Ich halte gern Abstand.«

      »Sie lieben die zweideutigen Komplimente. Aber warten Sie lieber nicht auf mich. Unter Grevenhagen sind meine Chancen nicht groß.«

      Das Gespräch verlor sich in Belanglosigkeiten. Als Nathan gegangen war, überlegte Wichmann, was zu tun sei. Er witterte Gefahr und war unruhig wie ein aufgestörtes Tier. Dennoch empfand er es jetzt als eine Wohltat, daß die Arbeit drängte. Er zwang sich zum Schweigen, Überlegen und Abwarten, bis er am späten Abend bei seinem Freunde Casparius saß. Frau Anna Maria und Dieta brachten die Drillinge zu Bett.

      Das Frauenlachen und Dietas helle Stimme waren bis in die ›Zelle‹ zu hören, die der Hausherr für sich gerettet hatte: das ›Halbe Zimmer‹ der kleinen Neubauwohnung, in dem der Schreibtisch von einer Wand zur anderen reichte und die beiden Sessel den restlichen Platz einnahmen. Casparius und Wichmann rauchten, sie streckten die Beine und legten den Arm auf die Sessellehne auf. Wenn sie einen Zug getan hatten und sprachen, schauten sie einander nicht an, sondern Wichmann blickte hinauf zu den drei Rissen an der Decke, um Wege von einem zum anderen zu finden, und Casparius betrachtete seine Stiefelspitzen, an denen die Sohlen dünn wurden.

      »Jetzt versteh’ i bloß des eine net, Wichmann, warum hat der Nathan des grad dir erzählt? Er schwätzt gern und viel, aber nicht ohne Überlegung, und wenn der mit seiner Neuigkeit zu dir läuft, so hat er eine ausgesprochene Absicht dabei. Ihr seid doch sonscht net grad Milchbrüder.«

      »Nein. Aber vielleicht hat er vermutet, daß ich etwas weiß, was er gern wissen möchte, und wollte mich ausholen. Man wirft ja auch mit der Wurst nach dem Schinken.«

      »So ungefähr muß er spekuliert haben. Und was soll ich jetzt in der Sache tun?«

      »Eine Zwiebelnase mit einem Namen auf ›burg‹–›bruck‹– oder ›krug‹ kannst du dich auch nicht erinnern in der Kreuderstraße kennengelernt zu haben?«

      »Doch – freilich.«

      »Kasper!«

      »Warum bischt denn du so aufgeregt? War übrigens des vielleicht derselbe Herr, den der Nischan beim Grevenhagen bespitzelt hat?«

      »Kann sein, ich weiß es nicht. Aber sag doch … du kannst dich an den Zwiebelnasigen erinnern?«

      »Ein Herr Schomburg ischt beim ›jour fix‹ gewesen, auf den möcht’ eure Beschreibung passen. Er hat kleine Auge hinter seinem Zwicker, und des Näsle formiert sich dicklich unter der platten Wurzel. Aber ’s mag auch mehrere Exemplare von der Sorte gebe …«

      »Wie heißt er denn?«

      »Schomburg

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