Ehrenmord ist kein Aprilscherz. Manfred Eisner

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Ehrenmord ist kein Aprilscherz - Manfred Eisner

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Ich befand mich gerade mit Javier und Conchita im Baptisterium, in dem die kleine Nili Maria getauft werden sollte. Der katholische Patre aber machte eine abwehrende Geste und wies mich bitter schimpfend aus der Kirche: »Fuera de aquí, tu eres una judía!«12 Ich erwachte in dem Moment, als ich gerade die Antwort – »Hast du denn vergessen, das Jesus auch Jude war?« – auf der Zunge hatte. Es ist doch eigenartig, dass, obwohl ich mich bewusst für ein absolut religionsloses Dasein entschieden habe, dieses Zugehörigkeitsgefühl zu meinem Geburtsort niemals ganz aus meinem Unbewussten verschwindet! Ich zog rasch meinen Trainingsanzug an und joggte eine ganze Stunde lang durch das nette Städtchen. Danach duschte ich ausgiebig und saß mit Margrit um halb acht am Frühstückstisch. Pünktlich um acht erschienen Javier und Piter in Begleitung eines Polizeiinspektor-Anwärters des hiesigen Kommissariats, der sich uns kurz als Nicolaas Lindemans vorstellte.

       Der Flame war een beeten droogg 13 , wie uns Piter später im Vertrauen leise zusteckte, und ziemlich wortkarg dazu. Der langgediente Unteroffizier der ehemaligen Gendarmerie war durch die Reform der belgischen Polizeikräfte zu dieser neuen Rangbezeichnung gekommen und hatte damals die Suche nach dem besagten Renault Mégane durchgeführt. Offensichtlich war er nun ziemlich gekränkt, dass man Zweifel am Ergebnis seiner Ermittlungen hegte. Ich konnte gut nachvollziehen, welche Gedanken ihn quälten: Was sollte das überhaupt? Da kämen plötzlich nach so langer Zeit zwei Polizistinnen aus Deutschland angereist, um all das nochmals zu untersuchen, was er bereits bewiesen hatte. Ich versuchte, so gut ich es vermochte, ihm unser Kommen dahin gehend zu erklären, dass wir gezielt auf der Suche nach jener Person waren, die vermutlich sowohl den besagten Wagen hier gestohlen als auch später die beiden Leichen in demselben deponiert hatte. Unter seiner Wegweisung fuhren wir gemeinsam in unserem BMW zum Autohaus Stolzen, dem Renault-Händler, bei dem der Mégane entwendet worden war. Der Inhaber, Mijnheer Jacques Stolzen, sei noch nicht im Hause, teilte uns der Verkaufsleiter Christophe Junker mit, er habe aber von diesem Anweisung erhalten, uns mit Auskünften zu dienen. Er legte uns die Verkaufsakte vor, in der dieser Pkw detailliert beschrieben war:

       Renault Mégane I, Eco 1.4; Limousine, Farbe Blau Metallic; Benziner, 101 PS; Baujahr 1998; Kilometerstand: 196.208; Klimaanlage; Alufelgen. Leichte Dellen und Lackkratzer sowie etwas Rost an den Radkästen. Der Verkaufspreis war mit 1.200 Euro angegeben. Der Pkw war hier nicht polizeilich angemeldet gewesen. Ein Eintrag in der Akte erschien mir besonders brisant: Mijnheer Stolzen hatte diesen Wagen am 7. Juni vor zwei Jahren einem deutschen Autohändler namens Uwe Wilkens aus Wewelsfleth für 680 € abgekauft! Der Verkäufer hatte das Auto persönlich hier abgeliefert und den Betrag gemäß beiliegender Quittung in bar kassiert. Margrit und ich blickten uns völlig verwundert an: Uwe Wilkens wurde in genau dem Wagen tot aufgefunden, den er kurz zuvor hier eigenhändig übereignet hatte! Welch ein seltsames Schicksal! Leider befand sich kein deutscher Kraftfahrzeugbrief in der Akte, aus dem man weitere Details, vor allem über den Vorbesitzer, hätte erfahren können. Ich rief sofort Ferdl im Büro an und bat ihn, mithilfe der Fahrzeugnummer beim Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg nach dem möglichen Halter des Wagens zu fahnden, denn das Fahrzeug müsste ja vor dem Verkauf nach Belgien bei uns angemeldet gewesen sein.

       Das Datum, an dem der Diebstahl entdeckt worden war, ist in der Akte mit dem 17. Oktober vor zwei Jahren angegeben. Junker wies allerdings darauf hin, dass das reale Datum der Entwendung auch schon früher gewesen sein könnte, denn besagtes Auto befand sich an einer Seite des Hauptgebäudes mitten im Pulk der billigeren Angebote, und diese Fahrzeuge wurden damals nicht besonders überwacht. Die wegen des Diebstals installierte Videoüberwachung des gesamten Areals sei erst zwei Monate danach in Betrieb genommen worden. Margrit checkte unsere Akte und bemerkte, dass darin der von der Itzehoer Spusi festgestellte Kilometerstand mit 196.293 vermerkt sei. Wie konnte es sein, dass der Mégane seit seiner Entwendung in Bütgenbach lediglich 95 Kilometer bis nach Glückstadt gefahren wurde? Wir hatten doch gestern für diese Strecke über sechshundert Kilometer gebraucht! Javiers prompter Einwurf, der Dieb müsse ihn auf einem Anhänger transportiert haben, klang einleuchtend. Ich bemerkte in der Akte des Händlers eine Liste mit handgeschriebenen Namen und Anschriften. Ich sah mir diese näher an und fragte Herrn Junker, ob es die Liste der Kaufinteressenten sei. Als er bejahte, fotografierte ich sie mit seiner Erlaubnis mit meinem alten ›Dampfhandy‹ (ich konnte mich immer noch nicht für ein zeitgemäßes Smartphone entscheiden, das Hin-und-her-Geschiebe mit dem Finger auf dem Display ist mir einfach zu blöd!). Dann fragte ich Herrn Junker, ob sich womöglich jemand von seinen deutschen Kollegen für den Wagen interessiert habe. Junker aber konnte sich nach so langer Zeit nicht mehr an diesbezügliche Details erinnern. Wenn es so gewesen sei, müsse ein solcher ebenfalls auf der Liste der Interessenten aufgeführt sein. Ein kurzer Blick darauf ergab, dass dies offensichtlich nicht der Fall war. Die wenigen, die sich für die alte Karre interessiert hatten, waren dem Namen nach Polen, Ukrainer oder Nordafrikaner. Als ich ihn darum bat, willigte der nette Herr Junker freundlicherweise ein, die gesamte Akte für uns zu kopieren. Ich bot an, diese später abzuholen, aber er sagte entgegenkommend, er müsse heute Nachmittag sowieso in die Stadt und würde sie für mich bei der Polizei deponieren. Wir dankten dem Verkaufsleiter für seine bereitwillige Hilfestellung und fuhren zurück in die Inspection de Police am Markt. Javier hatte eine zündende Idee, als er während der Fahrt dem Kollegen Lindemans vorschlug, die Anmelderegister sämtlicher Hotels in Bütgenbach und Umgebung nach deutschen Gästenamen, die in der Zeit um den 7. Juni und den 17. Oktober vor zwei Jahren hier übernachtet hätten, zu durchforsten. Dieser war inzwischen ein wenig lockerer geworden, als er einsah, dass wir durch den erneuten Besuch beim Händler doch auf neue und sehr interessante Indizien gestoßen waren. Er meinte, er würde sich gleich nach dem Mittagessen zusammen mit seinem Mitarbeiter, dem Agent de Police Charles Seervais, ans Werk machen. Javier schlug vor, dass auch er und Piter mitmachen würden und die vier sich für die Suche in etwa einem Dutzend der infrage kommenden Beherbergungsbetriebe aufteilen könnten. Der Inspecteur Principale de Police Stefan Breitkopf, stellvertretender Inspektionsleiter, informierte uns, dass sein Chef Mijnheer Lejoly zur föderalen Polizeizentrale nach Vottem bei Lüttich gefahren sei, um sich persönlich um die Identifizierung des Smith-&-Wesson-Revolvers zu kümmern. Man habe ihm bereits einen ersten wichtigen Hinweis über eine mögliche Herkunft der Waffe mitgeteilt und Lejoly wolle diese Spur mit Druck persönlich verfolgen. Zum Lunch gingen wir in eine typische Frietkraam, wie man in Belgien die Frittenbuden bezeichnet, mit dem Namen Le Pub, wo neben den traditionsgemäßen Pommes mit Mayonnaise ebenso leckere Burger auf der Speisekarte stehen. Dazu gab es ein lokales Muss: einen randvollen Humpen eines süffigen belgischen Bieres. Während die vier Kollegen sich auf die Pirsch nach eventuellen deutschen Besuchernamen in die Hotels der Umgebung aufmachten, studierten Margrit und ich nochmals die Kopien aus der Firmenakte, die Verkaufsleiter Junker inzwischen ins Kommissariat gebracht hatte. Wir nutzten die Zeit, um einen umfassenden Bericht über die neuen Erkenntnisse zu tippen, die wir den Daten unserer eigenen Akte gegenüberstellten. Dann mailten wir das Ganze als PDF-Anhang an Staatsanwalt Pepperkorn mit Kopien an Waldi und unser Büro. Als wir damit fertig waren, erschien Mijnheer Inspecteur Lejoly und legte uns die Tatwaffe sowie einen ausführlichen Ballistikbericht der Police Fédérale á Liège (Lüttich) vor. Anhand der Waffennummer und mittels eines damit abgeschossenen Projektils hatte die dortige Kriminaltechnik die Herkunft des Revolvers eindeutig identifiziert: Sie gehörte ursprünglich einem ehemaligen Kolonialbeamten im belgischen Congo, das 1960 unabhängig wurde. Die Waffe (Revolver Modell K-22-LR 18-3 – Combat Masterpiece; Hersteller: Smith & Wesson, USA, Seriennummer 55K22MPLR8976, Baujahr 1955) wurde 1962 auf einen der Söhne des Beamtenehepaars Van der Velde überschrieben, als dieser sich mit seinen Eltern in der Stadt Gent niederließ. Dieser Gaston Van der Velde meldete die Waffe im Jahre 1999 nach einem Einbruch in sein Haus als gestohlen. Sie trat erneut in Erscheinung, als im Juni 2002 ein Wachmann der Banque Nationále de Belqique in deren Filiale in Hasselt bei einem bewaffneten Überfall mit dieser mehrfach angeschossen und schwer verwundet wurde. Der Täter wurde zwar einige Wochen später gefasst, der Revolver galt aber seitdem als verschollen. Ich setzte eine Mail an Ferdl in Kiel mit diesen Daten ab und bat ihn, mal im Darknet nach der Waffe zu surfen. Es ist ja bekannt, dass inzwischen viele Täter sich dieser obskuren Quelle bedienen, um unbekannt an eine Mordwaffe zu gelangen.

       Inzwischen war

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