Ehrenmord ist kein Aprilscherz. Manfred Eisner
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»Das Kompliment geht an dich zurück, mein lieber Javier!«, lobte ich ihn begeistert auf Spanisch. »Prima, dass du ein solch gutes Gedächtnis hast! Gute Arbeit, pura vida!«
Er rief gleich Piter auf dem Handy an und Inspecteur Lejoly ebenfalls, um seine beiden Leute zurückzubeordern. Lejoly ordnete schließlich seinen Stellvertreter, INPP Breitkopf, an, uns in ihrem Dienstwagen zum Hotel Bergerac zu fahren. Zusammen mit Javier und Margrit verlangten wir nochmals Einsicht in das Gästeregister, das uns der Concierge Monsieur Palmier bereitwillig vorlegte. Da stand er tatsächlich: Mohammad ibn-Seif, 59 Jahre alt, geboren in Safi, Marokko, wohnhaft 28, Rue de Cheval Noire im Ortsteil Sint Jans-Molenbeek im Westen Brüssels. Zu seinem ersten Aufenthalt vom 6. bis zum 7. Juni vor zwei Jahren war er in Begleitung einer zweiten, namentlich nicht registrierten Person angereist. Monsieur Palmier hatte den Gast empfangen und ihn sich eintragen lassen, den zweiten allerdings erst am nächsten Morgen im Frühstücksraum bemerkt, kurz bevor die beiden wieder abreisten. Ja, jetzt, da wir nachfragten, erinnerte er sich daran, dass sie in einen grünen Kombi mit deutschem Kennzeichen eingestiegen waren, der an seiner Kupplung einen Anhänger zog, auf dem sich ein zweiter Wagen befand. Das passte haargenau zu dem Termin, an dem Uwe Wilkens den Renault Mégane an das Autohaus Stolzen verkauft hatte. Bei seinem zweiten Besuch, der vom
15. bis zum 17. Oktober des gleichen Jahres stattfand, hatte Palmier diesen Gast wiedererkannt und sich durch gezielte Befragung vergewissert, dass er diesmal allein angereist war. Allerdings war ibn-Seif wohl ohne Wagen gekommen. Zumindest konnte sich Monsieur Palmier nicht entsinnen, einen solchen gesehen zu haben. Nachdem wir mit diesen bedeutenden Ergebnissen in die Inspektionswache am Marktplatz zurückgekehrt waren, rief Inspecteur Lejoly den Leiter der Brüsseler Föderalen Kriminalpolizei in der Rue Royale im Ortsteil Molenbeek an, den er persönlich kannte. Dieser leitete unmittelbar eine Suchmeldung betreffend Mohammad ibn-Seif ein und versprach, seine ›Opsporing Afdeling‹ (Abteilung für Vermisstensuche) würde sich melden, sobald sie etwas erfahren hätten. Der hilfsbereite Bütgenbacher Polizeiinspektor sagte zu, diesen an meine Dienststelle weiterzuleiten.
Margrit und ich bedankten uns sehr bei all den Kollegen, die uns derart wirksam unterstützt hatten, und ich wollte sie – bevor wir am nächsten Tag unsere Rückreise antreten würden – alle zu einem typisch flämischen Abendessen einladen. Ich bat den Herrn Inspektor, einen Tisch in einem guten Restaurant zu reservieren.
Also verbrachten wir einen sehr vergnüglichen Abend in einer gediegenen und gemütlichen Gaststätte, die in einem urigen Gebäude mit einer alten und schön gestalteten Steinfassade untergebracht war. Wir betraten das Lokal über eine zweiseitig begehbare Außentreppe, die mich an ähnliche Hochparterreeingänge an einigen Gebäuden an der Gracht Am Fleeth in der Glückstädter Innenstadt erinnerte. Man servierte uns in einer Scheibe Kochschinken eingewickelten und im Backofen gratinierten Chicorée als Vorspeise sowie den sehr schmackhaften und reichhaltigen Gentse Waaterzoi Kip, einen traditionellen flämischen Eintopf, wobei der ehemalig darin enthaltene Fisch heute üblicherweise durch Hühnerfleisch ersetzt wird. Nach dem Essen fragte ich, ob mir jemand die Rezepte für diese Gerichte verraten könne. Meine Mutter würde sich vor allem über den leckeren Eintopf freuen – eine neue Variante, in der ihr geliebtes Federvieh vom Eulenhof Verwendung finden könne. Mijnheer Inspecteur Breitkopf erklärte sich gern bereit, mir die beiden bewährten Hausrezepte aus dem Familienkochbuch seiner Frau zu mailen. Dann verabschiedeten sich Javier und Piter, denn sie mussten noch heute Abend wieder nach Antwerpen zurückfahren. Natürlich gab es dabei emotive Umarmungen und einige ›Pura vidas‹ für meinen lieben Javier, dem ich noch viele Grüße für die Antwerper Freunde mit auf den Weg gab. Im Hinausgehen rief er mir auf Spanisch zu, er werde mich über die Geburt von Nili Maria und den Termin für die Taufe informieren. Margrit und ich nahmen ebenso von den drei hiesigen Polizeibeamten Abschied, die uns so bereitwillig unterstützt hatten.
Die Rückreise am heutigen Tag verlief leider nicht so reibungslos wie die Hinfahrt, denn ein böser Lkw-Unfall versperrte die Autobahn kurz vor dem Osnabrücker Kreuz. Als sich uns eine Polizeistreife näherte, um so manchen unbelehrbaren Autofahrer dazu zu bringen, endlich eine Mittelspur für die Rettungskräfte freizumachen, sprach ich sie an und gab uns zu erkennen. Wir durften ihnen mit eingeschaltetem Blaulicht hinterherschleichen und so nach etwa einer Dreiviertelstunde des Stillstands über die Standspur am Unfallort vorbeifahren.
Wie versprochen, fuhren wir über Oldenmoor zurück, wo man uns leider nichts Neues über das vermisste Mädchen berichten konnte. Von dort aus rief ich den stellvertretenden Staatsanwalt in Itzehoe, Assessor Dr. Paul Kramer, an und informierte ihn über unsere neuen Ermittlungsergebnisse. Er war inzwischen von unserer Dienststelle über die Wiederaufnahme des Falles informiert worden und war natürlich sehr interessiert, so viel wie möglich darüber zu erfahren. Er fragte, ob ich kurzfristig zu einer Lagebesprechung vorbeikommen könne. Ganz impulsiv schlug ich vor, dass wir uns allesamt – also die Kollegen der Bezirkskriminalinspektion Itzehoe, die aus Glückstadt und Oldenmoor sowie mein Team – am Sonntagmorgen auf dem Holstenhof meines Onkels Oliver in großer Runde treffen sollten, um einen einheitlichen Wissensstand herzustellen. Er fand den Vorschlag sehr gut und sagte zu, sämtliche hiervon Betroffene zu informieren. Während wir nach Kiel weiterfuhren, rief ich bei Onkel Oliver und Tante Madde an, um sie wegen dieses Überfalls vorzuwarnen. Mein lieber Onkel war sofort bereit, einen großen Tisch für die etwa zwei Dutzend Teilnehmer in der Verkaufsscheune seines Bauernladens aufzustellen. Da der Bütgenbacher Inspektor Breitkopf mir inzwischen tatsächlich das versprochene Rezept gemailt hatte, schickte ich dies gleich an Tante Madde weiter und bat sie, meine Ima um die Lieferung der hierzu erforderlichen Anzahl von Hühnern zu bitten. Ich bat Margrit, mich vor meiner Wohnung abzusetzen und dann gleich nach Hause zu fahren. Sie könne morgen früh unseren BMW ins LKA zurückbringen.
So, nun ist aber genug. Ich gehe jetzt unter die Dusche, denn gleich kommt mein lieber Waldi, auf den ich zwangsläufig einige Tage verzichten musste. Ich freue mich deshalb schon riesig auf eine traumhafte Liebesnacht!
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