Mit Feuer und Schwert. Hans-Joachim Löwer

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Mit Feuer und Schwert - Hans-Joachim Löwer

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kommen zurück in unser geliebtes Tel Tal.“ Wer hat das nur geschrieben?

      Ein Bursche namens Baribal taucht auf und sagt voller Stolz, das sei er gewesen. Er winkt uns, ihm zu folgen, und führt uns in ein Haus, das tatsächlich wieder bewohnt ist. Wir gehen durch einen Garten, rot schimmernde Granatäpfel hängen an den Bäumen. Da steht Elias Antar, der Vater des jungen Mannes, auf der Veranda und streckt uns strahlend die Hand entgegen. Er war sein ganzes Leben lang in diesem Dorf als Lehrer tätig und ist als Erster schon eine Woche nach der Rückeroberung wieder in sein Haus eingezogen. „Vor dem Krieg lebten in Tel Tal 55 Familien“, sagt er. „Jetzt sind immerhin schon zwölf wieder da. Wir sind ständig dabei, weitere Familien zur Rückkehr zu ermuntern.“ Seine Frau zögere noch, aber sie komme immerhin schon ein- bis zweimal pro Woche zu Besuch, und sie verspreche die vollständige Rückkehr für den Fall, dass Shadadeh, die nächstgrößere Stadt weiter im Süden, aus den Händen des IS befreit wird.

      „Meine Kindheit, meine Jugend, meine Frau, meine Vergangenheit und meine Zukunft – alles ist von hier“, sagt der 68-Jährige. „Warum soll ich von hier weg?“

      Er geht in den Keller und holt eine Flasche hausgemachten Rotwein. So ein Tag und so ein Besuch – das muss gefeiert werden. Dann aber schaut er mich durchdringend an, während er die Flasche öffnet. „Sie kommen aus Deutschland, sagten Sie?“ Ich nicke und er hält für einen Moment inne mit dem Korkenziehen.

      „Ich hasse Deutschland“, sagt er mit einem Lächeln, dem man ansieht, dass es von Schmerz verzerrt ist.

      „Sie werden Gründe dafür haben“, entgegne ich.

      Er füllt die Gläser und reicht mir eines zum ersten Schluck.

      „Zwei meiner Töchter sind nach Deutschland gegangen“, erzählt er. „Sie selber wollten es eigentlich nicht. Aber letztlich haben sie ihren Männern nachgegeben. Sie waren beide Lehrerinnen in der Stadt Hassaka gewesen. Mein Gott, sie hatten doch alles, was sie brauchten. Jetzt arbeiten sie in einem Restaurant.“ Er habe gebrochen mit ihnen, fügt er hinzu, so groß sei seine Enttäuschung gewesen.

      Ich kann nachvollziehen, was die Gründe gewesen sein mögen, die Familie, das Haus und das Dorf zu verlassen. Der Fluss Khabur ist zum Rinnsal geworden, von seinen 300 Quellen sprudelt nur noch eine einzige, und deren Menge wird durch einen Kanal zur Versorgung von Hassaka geleitet. Die Türkei hat mit ihren Staudammprojekten den syrischen Nachbarn das Wasser abgegraben. Die Dorfbewohner können kein Obst mehr anbauen, weil der Grundwasserspiegel so stark gesunken ist. Das Trinkwasser, das die Leute einst aus Brunnen holten, ist so salzig geworden, dass sie ihren Bedarf in Plastikflaschen kaufen müssen. Und zu all dem ist dann noch der Krieg mit all seiner Zerstörung und die Angst vor den daesh gekommen.

      „Wer glaubt denn noch ernsthaft daran, dass viele Auswanderer je wieder zurückkommen werden?“, frage ich in die Runde.

      Sie zucken stumm mit den Schultern. Es hänge halt alles davon ab, was aus diesem Land Syrien werde.

      „Getreide und Baumwolle lassen sich hier immer noch anbauen“, beharrt Elias Antar, als wir uns verabschieden. Ich spüre, wie ohnmächtig er gegen den Gang der Zeit kämpft. Er drückt mir, obwohl ich aus Deutschland komme, einen reifen Granatapfel in die Hand.

      KAPITEL 6 · KIRKUK – IRAK

      „Sie wissen nichts von ihren Wunden“

      Wie Albträume den Alltag von Flüchtlingen beherrschen

      Eine Nacht kann ein ganzes Leben verändern. Eine einzige Nacht. In ihr bricht alles zusammen, was Menschen Halt gegeben hat. Der sanfte Rhythmus des Arbeitstages. Der Schutz durch die eigenen vier Wände. Das Vertrauen in die eigenen Kräfte. Die Gemeinschaft mit den Nachbarn. Mounir Hanna und seine Familie haben das alles am eigenen Leib erfahren, und je länger er darüber spricht, desto größer wird der Abgrund, vor dem er nun steht.

      Bis zum letzten Moment krallten sie sich fest an einem Leben, das ihnen zwar keine Reichtümer, aber Geborgenheit bescherte. Bis zuletzt weigerten sie sich, das Undenkbare zu denken. Selbst als der Donner von Geschützen dem Städtchen Bartella immer näher kam, hielten sie aus und glaubten fest daran, dass sie nicht im Stich gelassen würden. Es gab in der Ebene von Niniveh Tausende von irakischen Soldaten. Es gab Tausende von kurdischen peshmerga, „die dem Tod ins Auge sehen“, wie ihr stolzer Name sagt. Es gab 500 ehrenamtliche Kirchenschützer, von denen jeder immerhin eine Kalaschnikow hatte. Wozu waren denn diese Bewaffneten da? Sie würden doch die daesh in die Flucht schlagen, oder? Wenn nicht jetzt – wann dann?

      Dann aber sahen Mounir und seine Familie fassungslos, dass all diese Uniformierten selber die Flucht ergriffen. Die vermeintlichen Verteidiger spürten ganz offenbar, dass sie der Waffentechnik und dem fanatischen Kampfgeist der islamistischen „Gotteskrieger“ nicht gewachsen waren. Es war die Nacht vom 6. zum 7. August 2014, in der die kleine, scheinbar gesicherte Welt der Familie von Mounir Hanna binnen weniger Stunden unterging.

      Sie sahen, dass alle Christen, bis dahin die Mehrheit der Einwohner, in wilder Angst ihre Sachen packten. Selbst die Kirchenschützer rannten davon und gaben die ihnen anvertrauten Gebäude auf, die seit Jahrhunderten das Gesicht von Bartella geprägt hatten: Gotteshäuser der Assyrischen Kirche des Ostens, der Syrisch-Katholischen und der Syrisch-Orthodoxen Kirche. „In diesem Moment wurde uns klar, dass uns niemand mehr schützen würde“, sagt Mounir. „Wir gehörten zu den Letzten, die ihr Haus aufgaben. Aber uns blieb keine andere Wahl. Nur einen Tag mehr, und wir wären verloren gewesen.“ Sie rafften gerade mal das Allernötigste zusammen: Ausweise, Schmuck, ein paar Kleidungsstücke. „Wir hatten gar keine Zeit, um noch mehr einzupacken“, sagt der 55-Jährige. „Wir hätten auch gar keinen Platz gehabt, um viele Sachen zu transportieren.“ Fünf Menschen zwängten sich mit Beuteln und Taschen in Mounirs Auto. Sie wollten nach Erbil, in die Hauptstadt der Autonomen Region Kurdistan, wo sie sich die Rettung erhofften. So wie sie dachten in jener Nacht Tausende christliche Familien, die in der Niniveh-Ebene lebten, jener biblischen Region, in der laut Überlieferung der heilige Judas Thaddäus das Evangelium gepredigt hatte.

      Ein endlos langer, chaotischer Blechwurm wälzte sich durch die Dunkelheit. Peshmerga, die ihn eskortierten, schossen ab und zu Salven in die Luft, um den Weg frei zu machen. „Nach Erbil haben wir normalerweise nicht mehr als eine Stunde gebraucht“, sagt Mounir. „Diesmal aber waren es neun Stunden.“

      TRAUMA

      Traumatische Erlebnisse, die von Menschen verursacht werden, sind viel schwerer zu behandeln als traumatische Erlebnisse als Folge von Naturkatastrophen. Den Opfern wurde das Grundvertrauen tief erschüttert oder ganz genommen, das für einen erfolgreichen Umgang mit anderen Personen nötig ist. Opfer von Krieg und Terror leiden in der Regel an Schlafstörungen, Nervosität und Gereiztheit; sie müssen oft erst durch Medikamente stabilisiert werden, ehe sie überhaupt behandlungsfähig sind. Traumatisierte gehen mit ihrem Leid sehr unterschiedlich um: Die einen suchen Zurückgezogenheit und Ruhe, andere möchten möglichst viel darüber sprechen. Erfahrungen zeigen, dass Traumata sehr lange nachwirken – ja sich im höheren Alter meist wieder verschlimmern.

      An der Grenze zu Kurdistan mussten sie den Wagen stehen lassen, denn die peshmerga hatten Angst, dass in dem Treck auch Autobomben eingeschmuggelt würden. Kurdische Helfer luden sie auf Pick-ups und brachten sie endgültig außer Reichweite der Kanonen. In Ankawa, der christlichen Vorstadt von Erbil, campten die Flüchtlinge in Parks und auf offener Straße. Nun sind sie in Kirkuk gelandet, in einem Notquartier, das Bischof Faris Mansour Yacoub von der Syrisch-Katholischen Kirche zur Verfügung gestellt hat.

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