Mit Feuer und Schwert. Hans-Joachim Löwer
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In dieser Gegend reicht schon ein Funke, um einen Konflikt ausbrechen zu lassen. Das verdeutlicht die folgende Geschichte. Ein Jahr darauf, so erzählen meine Begleiter, gab es in Lassa eine christliche Hochzeit. Der Bräutigam war aus dem Ort, die Braut aus Beirut. Nach der Feier fuhr eine laut hupende Autokolonne zur weltlichen Feier in einen Nachbarort. Ein junger Muslim und drei seiner Freunde folgten ihnen in einem blauen BMW. An einer Tankstelle kam es zu einem heftigen Wortwechsel: „Warum nervt ihr uns mit eurer Huperei?“, schrien die Muslime und einer der christlichen Chauffeure bekam das Wort „Hurensohn“ zu hören. Der Fahrer stieg wütend aus, da hielt einer ihm eine Pistole an den Kopf. Nun solidarisierten sich die Leute aus der Hochzeitsgesellschaft mit dem Fahrer. Die Muslime sahen, dass sie in der Minderheit waren, und flüchteten Richtung Faraya. Nun blockierten fast 50 Autos von Christen die Straße – sie warteten darauf, dass die Muslime zurückkehren würden. Zufällig kam aus dieser Richtung eine Armeepatrouille. Die Christen erzählten den sechs Soldaten von dem Vorfall. Die Soldaten sperrten nun ihrerseits die Straße, und als der blaue BMW zurückkam, wurde er vom Militär gestoppt. In dem Wagen lagen zwei Gewehre, ein Messer und jede Menge Drogen. Die vier Männer wurden festgenommen – schon eine Woche später aber waren alle wieder frei.
Jahrelang bekämpften sich die verfeindeten Parteien vor Gericht mit echten und gefälschten Dokumenten. 2011 schickte die Maronitische Kirche Geodäten nach Lassa, um die Grundstücke rund um die Marienkapelle neu vermessen zu lassen. Eine zornige Menge von Muslimen stellte sich ihnen entgegen und zwang sie, ihre Arbeit zu stoppen. Ein Fernsehteam, das dort filmen wollte, wurde ebenfalls daran gehindert. Die Reporter hätten keine Erlaubnis des Bürgermeisters, wurde ihnen gesagt, und sie seien nur gekommen, um neues Öl ins Feuer zu gießen. Die Fäuste flogen, eine Kamera ging zu Bruch, Muslime rissen das Filmmaterial heraus. In der folgenden Woche saßen Vertreter der zwei Lager in Bkerke, dem Sitz des maronitischen Patriarchen, an einem Tisch. Sie handelten ein Abkommen aus, wonach die Landvermesser nach Ablauf von zwei Monaten ihre Arbeit wieder aufnehmen sollten. Sie gelobten, die Medien nicht weiter mit provokanten Statements zu füttern, und baten die Armee um eine Dauerpräsenz, um den Ausbruch neuer Auseinandersetzungen zu verhindern.
Aber einen Monat später war es schon wieder vorbei mit der Ruhe. Ein Trupp von Polizisten kam nach Lassa, um auf gerichtliche Anordnung hin ein illegal errichtetes Haus einzureißen. Eine wütende Menge von Muslimen empfing sie mit Schüssen in die Luft, und aus Rache wurde die Kirche umzingelt, um die dort laufenden Renovierungsarbeiten zu unterbinden. Diakon Tony Halim wurde so schwer verprügelt, dass er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.
2012 ging es in eine weitere Runde. Auf umstrittenen Grundstücken wuchsen wieder neue Häuser in die Höhe. Issam Miqdad, Lassas Bürgermeister, päsentierte dem Innenminister eine Landkarte, wonach dieses Land seit jeher einer schiitischen Stiftung gehört habe.
Talal Miqdad, sein christlicher Gegenspieler, verlangte, die Immunität des Gemeindeoberhauptes aufzuheben, weil der Bürgermeister ausgehandelte Abkommen eigenmächtig gebrochen und den Gemeinderat nicht einmal konsultiert habe. Die Kampfstätte verlagerte sich wieder zur alten Bischofsresidenz. Zähneknirschend hatten die Christen das stählerne Minarett hingenommen, jetzt aber wollten sie ihm etwas entgegenstellen. Ende September 2012 transportierten sie eine Marienstatue, die ein lokaler Bildhauer gefertigt hatte, mit einem Lastwagen hoch zu dem Hügel. 50 feindliche Muslime blockierten die Straße. Fünf Soldaten sorgten dafür, dass die zwei Lager nicht erneut aufeinander losgingen. Der Bürgermeister von Lassa eilte herbei, diesmal zum Glück in friedlicher Absicht. Er schickte seine Leute nach Hause, nun hatten die Christen ihren Triumph.
Seit 2013 herrscht nun gespannte Ruhe. Die „Hisbollah“ sei derzeit wohl voll und ganz mit dem Krieg in Syrien beschäftigt, sagen meine christlichen Begleiter. Dort kämpft die bewaffnete Miliz der Schiiten aufseiten der Regierung gegen sunnitische Rebellen. Auf unserem Rückweg stoßen wir auf einen Gedenkstein für den „Märtyrer“ Hussein al-Miqdad, der in Syrien gefallen ist. Die „Hisbollah“-Leute haben dafür die Landstraße einfach in der Mitte aufgerissen. Kein Polizist, keine Behörde hat es offenbar gewagt, sie daran zu hindern. „Bloß nicht fotografieren!“, bekomme ich zu hören. Da habe ich aber schon durch das offene Wagenfenster abgedrückt. „Alleine kannst du das vielleicht noch riskieren“, schimpfen meine Begleiter. „Aber denk doch mal daran, wir haben den Bürgermeister von Khames dabei …“
Monument für einen „Märtyrer“. Hisbollah-Anhänger haben es mitten auf der Straße nach Lassa errichtet.
„Die Armee soll bloß bleiben“, sagt Mounir Khoueiry. „Ich hoffe, der Staat wird hier endlich stark. Sonst können wir nicht in Sicherheit leben.“ Seit 1980 hätten die Muslime in Lassa illegal 180 Häuser gebaut. Die meisten dieser Grundstücke seien wohl für immer verloren. Nur fünf Mal sei es gelungen, unrechtmäßig in Beschlag genommenes Land wieder an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben. 30 weitere Fälle lägen derzeit noch bei den Gerichten. 2014 hätte Scheich Mohammed Itawi für sich selber ein neues, illegales Haus bauen wollen. „Dies war der einzige Fall, in dem das Militär so eine Aktion erfolgreich stoppte.“
Eigentlich müsste ich ja nach Lassa hinein und auch mit der Gegenseite sprechen. Aber alle Leute, die ich deswegen anspreche, warnen mich dringend davor. Die „Hisbollah“, so heißt es, habe Lassa zu einer Art Kampfbasis ausgebaut, mit unterirdischen Bunkern und Tunnels und Überwachungskameras in den Straßen, die alle ankommenden Autos und Fahrer filmen würden. So gebe ich schweren Herzens den Gedanken doch lieber auf.
Was spornt die Schiiten zu dieser Bauwut an? Die Christen wittern dahinter einen strategischen Plan. Man brauche, so sagen sie, nur einen Blick auf eine Karte des Libanon zu werfen, in der die Siedlungsgebiete der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen eingezeichnet seien. „Sie wollen einen Korridor bilden“, sagen meine Begleiter. „Er soll die schiitischen Dörfer an der Küste mit den schiitischen Siedlungen im Bekaa-Tal verbinden.“ Die „Hisbollah“ habe es sogar geschafft, dass zwischen den Städten Byblos am Mittelmeer und Baalbek im Bekaa-Tal eine neue Straße durch das Gebirge gebaut worden sei. „Sie wird so gut wie kaum benutzt“, erzählen sie. „Sie hat rein strategische Bedeutung.“ Wer den Libanon nicht kennt, wird darüber den Kopf schütteln. Aber ich werde nur nickende Köpfe sehen, als ich diese These in den Tagen darauf ein paar anderen Gesprächspartnern vortrage.
Wir lassen Lassa hinter uns und fahren zurück in Richtung Beirut. Nun prasseln doch tatsächlich Schüsse um uns herum. Meine Begleiter aber, die bislang die Nerven meist auf der Haut trugen, bleiben diesmal erstaunlicherweise völlig gleichmütig.
„Was ist da draußen jetzt schon wieder los?“, frage ich verwirrt. „Keine Sorge“, entgegnen sie, und endlich huscht mal ein Lächeln über ihre Lippen. „Wir haben Saison für die Vogeljagd. Das ist bei uns ein sehr populärer Sport.“
„Ist die Vogeljagd denn nicht verboten?“, frage ich.
„Wer fragt schon danach?“, kriege ich als Antwort. „Schauen