Mit Feuer und Schwert. Hans-Joachim Löwer
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KAPITEL 4 · TRIPOLI – LIBANON
„Wir warnen dich“
Weshalb eine Bibliothek in Brand gesetzt wird
Man kann sich schon ein wenig verlaufen inmitten der gedruckten Schätze. Die Regale, in denen sie lagern, tragen keine Hinweisschilder. Draußen im Hof stehen stapelweise Kisten, die ebenfalls mit Büchern vollgestopft sind. So streife ich ziellos durch die engen Gänge und lande schließlich in einem Toilettenraum, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Er ist auf schon geniale Weise in die Bibliothek integriert. Man kann auf der Toilette sitzen und die Hand nach Hunderten von Werken ausstrecken, die das Örtchen auf drei Seiten eng umschließen. Allerdings würde ich es nicht wagen, auch nur eine Publikation herauszuzupfen, weil ich Angst habe, dass dadurch alles zusammenbricht. Das Waschbecken wirkt wie ein Fremdkörper in diesem literarischen Lokus und die schiefe Holztür lässt sich nicht mehr richtig schließen. Ein Fettleibiger habe sich kürzlich hindurchgezwängt und einiges zum Wackeln gebracht, erzählt mir Hozyfa, ein junger Mitarbeiter, seither helfe oft leider nur noch rohe Gewalt. Er holt einen Hammer und drischt auf ein Brett ein, das Bestandteil des Türrahmens ist und sich schon bedrohlich gelockert hat.
Ein paar Minuten später vergeht mir dann doch wieder das Lachen. Hozyfa deutet zur Decke, die ist pechschwarz, und dort oben, in den höchsten Regalreihen, stehen Bücher, die von Feuer angefressen, aber in letzter Minute noch gerettet wurden. „Das sind Spuren des Attentats“, sagt der 18-jährige Student. Er ist Muslim und liebt das Ambiente hier, obwohl ihm der Schreck in den Knochen sitzt. So etwas wie dieses Haus, meint er, gebe es nicht noch einmal in der Stadt.
Tripoli, der einstige Phönizierhafen, begrüßt Besucher mit einem Steinmonument, das ihn geradezu mit der Nase auf die Eigenheiten des Landes stößt. Am Kreisel auf dem Hauptplatz Sahad al-Nur prangt in großen Lettern „Allah“ und darunter die Inschrift: „Die Festung der Muslime im Libanon heißt Sie willkommen.“ Man stelle sich einmal vor, München präsentiere sich an der Frauenkirche als „Festung der Katholiken“ und Hamburg vor dem Michel als „Festung der Protestanten“. Im Libanon aber gehört es zur Tagesordnung, die Zugehörigkeit zu einer religiösen oder ethnischen Gruppe demonstrativ zur Schau zu stellen. Man muss Stärke zeigen, denn Schwäche nutzt die Gegenseite aus.
Mein Weg zur Al-Saeh-Bibliothek führt durch die engen Gassen der Altstadt und ein Gewimmel von Menschen. Schon in diesem orientalischen Labyrinth kann man leicht die Orientierung verlieren und aufgesogen werden von dem Durcheinander. Am Ende geht es unter einem Torbogen hindurch in eine stille Nebengasse und plötzlich blickt man von der Straße aus durch eine offene Tür direkt auf das Büchergewirr. Keine Sperre am Eingang, keine Kontrolle, nichts. Die Bücherei war, ist und bleibt ein Haus der offenen Tür.
Sie ist das Lebenswerk von Ibrahim Sarrouj, einem rum-orthodoxen Priester. Er fing 1970 damit an, den Bestand mit seinem eigenen Geld aufzubauen. Spenden und Schenkungen kamen hinzu, weil die Leute sahen, mit welcher Hingabe er sich seiner Bibliothek widmete. Im Lauf der Jahre wuchs die Sammlung auf mehr als 85.000 Werke an, Bücher in arabischer und englischer, französischer und italienischer Sprache, poetische und wissenschaftliche Texte, Traktate zur islamischen Theologie, Schriften über die Geschichte des Judentums und der Stadt Tripoli. Die Räume wurden zu einem Treffpunkt von Akademikern, Intellektuellen und bildungsnahen Eltern aus dem Bürgertum, die für ihre Kinder etwas Schönes zum Lesen suchten. Sarrouj hatte für alle Zeit und für alle ein Lächeln, und natürlich wusste er auf Anhieb, welches Buch in welcher Reihe stand.
DIE RUM-ORTHODOXEN
Rum war die arabische Bezeichnung für Ostrom (Byzanz). Die Rum-Orthodoxe Kirche, nach dem Konzil von Chalcedon 451 entstanden, wird auch „Griechisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien“ genannt. Als „Buchbesitzer“ wurden Christen wie auch Juden unter islamischer Herrschaft meist respektiert, mussten jedoch eine Kopfsteuer zahlen und waren bei der Vergabe von Staatsämtern benachteiligt. Die endlosen Nahostkonflikte führten bei den Rum-Orthodoxen zu einer Abwanderung in den Westen. Ihr Oberhaupt ist seit 2012 Patriarch Yuhanna X. Er residiert in Syriens Hauptstadt Damaskus. Gottesdienste wurden bis zum 20. Jahrhundert in Griechisch und Aramäisch gehalten. Heute ist die Liturgiesprache Arabisch.
Eine Toilette voller Bücher: Die Al-Saeh-Bibliothek in Tripoli ist ein attraktives Ziel – für Freunde wie für Feinde.
„Zu mir kommen mehr Muslime als Christen“, sagt der 74-Jährige mit dem gepflegten Bart, die Brille baumelt ihm stilgerecht vor der Brust. Den Nachbarn ruft er jeden Tag ein freundliches „Salam aleikum!“ zu, der Mufti von Tripoli ist sein Freund und sogar ein salafistischer Scheich wie Salam al-Rafei hat ihm einmal ein hübsches Buch über den Islam geschenkt – als Geste des guten Willens und als Ausdruck der Anerkennung für die kulturelle Arbeit, die dieser ganz und gar unorthodoxe Priester leistet. „Viele Muslime“, sagt Sarrouj schmunzelnd, „nennen mich sogar ‚Scheich Ibrahim‘.“
Für ihn kam es wie ein Blitz aus heiterem Himmel, was da Anfang Januar 2014 passierte. Bashir Hazzuri, ein neu eingestellter Mitarbeiter, hatte seinen ersten Arbeitstag und machte sich mit dem Computer vertraut. Rami, dessen Kollege, war gerade Essen holen, Sarrouj saß mit Gästen draußen im Garten. Da stürmten zwei bewaffnete Turbanträger herein, die mit einem Motorrad vorgefahren waren. Waren sie hinter dem Priester her und sauer, dass sie ihn nicht fanden? Oder war es ihnen völlig egal, wen sie da vor der Flinte hatten – Hauptsache, sie konnten Schrecken verbreiten? Wie auch immer, sie feuerten in der Bibliothek eine Salve ab, Hazzuri trafen zwei Kugeln ins Bein und drei in die Brust, eine davon ging nur ganz knapp am Herz vorbei. Als Sarrouj hereinstürzte, waren die Männer schon wieder weg und der Schwerverletzte röchelte in einer Blutlache.
Ein Blitz aber kommt nie aus heiterem Himmel. Sarrouj brauchte nur noch etwas Zeit, um herauszufinden, welch dunkle Wolken sich da zusammengeballt hatten. Zwei Minister riefen ihn an und rieten ihm dringend, die Stadt zu verlassen, er solle die kommenden Nächte lieber nicht zu Hause, sondern an einem sicheren Ort verbringen, am besten in einem Kloster seiner christlichen Glaubensgemeinschaft. Am selben Tag, abends gegen neun, kamen schon wieder zwei Männer zur Bibliothek, die nichts Gutes im Schilde führten. Sie versuchten, die verschlossene Eingangstür aufzubrechen. Zwar waren nun, wegen des Überfalls, Polizisten zur Bewachung abgestellt worden, die waren aber gerade essen gegangen. Zum Glück rannten Nachbarn herbei und verscheuchten die Täter mit den Rufen: „Haut ab und lasst den Pater in Ruhe! Der hat doch niemandem etwas getan!“
Was war geschehen in Tripoli? Weshalb wurde Sarrouj zur Zielscheibe? Weil er Büchernarr war? Weil er ein christlicher Priester war? Nachts um eins traf eine SMS mit anonymem Absender auf seinem Handy ein. „Wir warnen dich!“, lautete die Nachricht. Für den nächsten Tag, nach dem Freitagsgebet, sei eine Demonstration gegen ihn geplant. Kam die SMS von Feinden oder Freunden? Nicht einmal das konnte Sarrouj in diesem Moment sagen.
Frühmorgens suchte er Ephrem Kyriakos, den rum-orthodoxen Bischof von Tripoli, auf. Der kontaktierte