Mit Feuer und Schwert. Hans-Joachim Löwer
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Nach und nach schälte sich eine durch und durch krause Geschichte heraus. Da gab es eine Website in arabischer Sprache, betrieben von einem Mann namens Ahmed Kadi. Auf ihr habe der Priester 2010 ein Pamphlet veröffentlicht, wonach Mohammed pädophil gewesen sei. Ein junger Bote im Dienst von Scheich Ali Hashar, einem muslimischen Führer, hatte etwas in einem Copyshop von Tripoli zu erledigen, dort sah er zufällig vier ausgedruckte Seiten liegen, deren Inhalt von dieser Website stammte. Er fragte das Personal, woher sie denn diese Vorlagen hätten. Die angebliche Antwort war, Sarrouj habe das zum Zweck der Vervielfältigung hierherbringen lassen.
Was gingen den Boten diese vier Seiten an? Was brachte die Leute am Tresen dazu, ihn als den Auftraggeber von Kopien zu bezeichnen? Die Sache wurde noch abenteuerlicher. Der Bote bat darum, einen zusätzlichen Kopiersatz für ihn anzufertigen und der Copyshop kam tatsächlich seiner Bitte nach. War da ein Eiferer unter den Angestellten, der den Islam gegen Schmähungen verteidigen wollte? Der Bote nahm die Kopien mit und überreichte sie seinem Arbeitgeber. Scheich Ali gab das Material an die Polizei und den Geheimdienst weiter. War er selber ein Teil des Komplotts? Oder wollte er Schlimmeres verhindern? In jedem Fall war die Nachricht aus dem Copyshop offensichtlich auch noch zu anderen Personen vorgedrungen – wie sonst wäre es zu einer fatwa gekommen?
Als das Freitagsgebet zu Ende war, rottete sich in der Tat eine rachsüchtige Menge zusammen. Die islamischen Autoritäten, mit denen der Bischof gesprochen hatte, waren auf diesen Fall vorbereitet. Sie traten vor ihre Leute und riefen ihnen zu: „Bitte geht nach Hause! Wir haben die Sache schon geklärt. Der Priester hat sich nichts zuschulden kommen lassen.“ Die Menge schenkte ihnen offensichtlich Glauben, denn sie löste sich auf, und alles schien ein gutes Ende zu nehmen. Aber es schien eben nur so. Nachts um halb elf – die Polizisten waren schon wieder abgezogen – bekam die Al-Saeh-Bibliothek erneut Besuch. Diesmal waren es fünf Männer und daher ging alles sehr schnell. Sie schlugen mit einem Hammer das Schloss und den Sperrriegel der Eingangstür in Stücke. Dann stießen sie die Türflügel auf, leerten im Innern einen Benzinkanister aus und setzten die Flüssigkeit in Brand. Sekunden später brannten die ersten Regale lichterloh. Im Nu waren die Täter verschwunden, und als die Feuerwehr kam, waren mindestens 8.000 Werke schon den Flammen zum Opfer gefallen.
„Wissen Sie noch, was Ihre ersten Worte waren, als Sie die Nachricht erhielten?“, frage ich Sarrouj.
„Gott hat es gegeben, Gott hat es genommen“, lautet seine fatalistische Antwort.
Am Tag darauf fand in Tripoli eine Demonstration gegen den Brandanschlag statt. Auf Transparenten stand, so etwas verstoße „gegen die Werte des Propheten“ und „Tripoli ist eine friedliche Stadt“. Regierungschef Nadschib Miqati, islamische Würdenträger und Vertreter der Zivilgesellschaft verurteilten das Attentat. Emad Ayoubi, der Sicherheitschef von Tripoli, erklärte auf einer Pressekonferenz: „Pater Sarrouj hat mit diesem Websitebeitrag absolut nichts zu tun.“ Scheich Salam al-Rafei ließ allerdings verlauten, bestraft werden müssten nicht die Täter, sondern der Autor der fatwa.
Eine Welle der Solidarität setzte ein. Sarrouj konnte sich kaum noch retten vor Buchspenden, die die entstandenen Lücken füllen sollten. 1.000 Bücher trafen vom Kulturministerium ein, 1.000 von der Universität Antonine, die ein maronitischer Orden betreibt, 2.500 vom christlichen General Michel Aoun, einer der wichtigsten politischen Figuren des Libanon. Zahlreiche Kisten erreichten die Bibliothek aus Frankreich und den USA.
Unter dem Motto „Kafana Santam“ („Schluss mit dem Schweigen“) lief auf Facebook eine Spendenkampagne an. Binnen weniger Wochen wurden 37.000 Dollar für die Erneuerung der Bibliothek gesammelt. Die Freude von Pater Sarrouj über diese Aktion hält sich allerdings sehr in Grenzen: „Kein Mensch weiß genau, wie viel Geld da wirklich zusammengekommen ist“, sagt er. Ja, die Aktivisten hätten neue Regale gekauft sowie einen Teil der rußgeschwärzten Wände und Decken frisch gestrichen. „Aber das hat nie und nimmer 37.000 Dollar gekostet, wahrscheinlich maximal 12.000 Dollar.
„Was ist mit dem übrigen Geld geschehen?“, frage ich.
Der Bibliotheksleiter zuckt mit den Schultern. „Ich habe bis heute keine einzige Quittung gesehen.“ Wohl aber hätten die Initiatoren sich selber zu einem üppigen Abendessen eingeladen, mit dem sie den erfolgreichen Abschluss ihrer Kampagne gefeiert hätten – in einem schicken Restaurant, das dem Vater eines der Organisatoren gehöre. Im Libanon sind die Wege des Bösen wie auch des Guten oft auf tückische Weise miteinander verschlungen.
Ein Mitarbeiter der Sicherheitsdienste habe ihm erzählt, dass schon wieder ein neues Gerücht im Umlauf sei. Hinter dem Brandanschlag stecke der Eigentümer des Gebäudes, in dem die Bibliothek untergebracht ist. Der wolle das ganze Grundstück an einen Investor verkaufen, was wegen der zentralen Lage wohl ein ziemlich einträgliches Geschäft wäre. Weil das Haus aber unter Denkmalschutz stehe, sei ein für einen Neubau erforderlicher Abriss verboten. Wenn hingegen nur noch eine Brandruine übrig sei, gebe es nichts mehr zu schützen – und daher seien an eine muslimische Gang 2.000 Dollar gezahlt worden, um den Verfall der Strukturen etwas zu beschleunigen …
Sarrouj winkt ab und wendet sich ab. Genug der Verdächtigungen und der bösen Worte. „Es ist nicht meine Aufgabe, sondern die der Regierung, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Ich bin hier, um die Leute zu lieben. Ich trage sie auf meinen Schultern.“ Neue Kundschaft ist gekommen, es sind Eltern, die Kinderbücher suchen. Die Videokamera am Eingang nimmt jetzt alle Szenen auf. Der Priester aber blickt am liebsten nie dorthin. Glücklich führt er die Besucher an den Regalen entlang. Es ist doch viel schöner, sich nur mit Büchern zu beschäftigen.
KAPITEL 5 · KHABUR-TAL – SYRIEN
„Wo war denn unser Gott?“
Wie Kirchen in Trümmer sinken
Unter meinen Füßen knirschen verbeulte Plastikflaschen, verrostete Cola- und Thunfischdosen. Mein Blick fällt auf zerfetzte Sofas und Sessel, ausgebrannte Küchen, umgekippte Kühlschränke, herumliegende Kleidungsstücke und aufgerissene Matratzen. Haus um Haus taste ich mich mit meinen Begleitern voran. Es ist ein Rundgang durch ein zerschundenes Dorf.
„Und wo sind die Einwohner?“, frage ich.
„Irgendwo bei Verwandten“, lautet die Antwort. „Oder in einem Lager. Oder schon bei euch im Westen.“
Tel Shamiran ist der arabische Name dieses Dorfes, seine Bewohner aber nannten es Marbusnayeh. Sie waren Assyrer, Nachfahren eines Volkes, das um 900 v. Chr. in Mesopotamien das erste Großreich der Welt errichtete. Die Menschen, die an den Ufern des Flusses Khabur siedeln, sprechen noch heute Aramäisch, die Sprache Jesu. Sie gehören zu den Kulturen, die man die „Versprengten der Geschichte“ nennen kann. „Das war die Front“, sagen die Assyrer, die mich hierhergebracht haben. „Hier haben sich die IS-Kämpfer verschanzt. Die Häuser boten ihnen Schutz. Ohne die Unterstützung der Alliierten aus der Luft hätten wir sie wohl nur schwer vertreiben können. Schauen Sie sich um! Das Dorf sieht heute noch so aus, wie die Leute vom ‚Islamischen Staat’ es verlassen haben.“
Drei Monate lang, von Februar bis Mai, tobten hier 2015 die Kämpfe. Die daesh, wie die selbsternannten Gotteskrieger im Nahen Osten heißen, hatten einen Großteil der Provinz Hassaka im Nordosten Syriens überrannt. In Dörfern wie Tel Shamiran buddelten sie Bunker in die Gärten und hoben Schützengräben aus. So schossen und starben sie für Allah und ihren Traum vom Kalifat, das sie am liebsten über die ganze Welt ausdehnen würden.