Indianertod. Rainer Buck
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Indianertod - Rainer Buck страница 3
Da die Aufführung vor der imposanten Kulisse des Bad Espefelder Krähbergs erst zwanzig Minuten währte, stand ebenfalls fest, dass die Sioux nicht vorhatten, sich an den ausgehandelten Frieden zu halten. Old Shatterhand und Winnetou würden im Verlauf der nächsten eineinhalb Stunden noch das eine oder andere Mal in tödliche Gefahr geraten.
Dann jedoch geschah etwas, was Robert Falke als guter Kenner aller Karl May-Geschichten nicht fassen konnte.
Als die beiden Helden des Westens nach erfolgreichem Kampf davonritten und die eingeschüchterten Roten noch mit einigen Pistolensalven in die Luft beeindruckten, fasste sich Winnetou plötzlich an die Brust. Keiner nahm zunächst Notiz davon, doch der Apatschenhäuptling krümmte sich plötzlich immer stärker im Sattel. Er glitt wie in Zeitlupe vom Pferd und blieb schließlich regungslos im Sand liegen.
Old Shatterhand bemerkte es als Erster, sprang aus dem Sattel und beugte sich über den Freund. Er kniete nieder, versuchte Winnetou aufzurichten, doch dessen Körper hatte jede Spannung verloren. Winnetous Kopf in seinen Schoß gebettet, schaute Old Shatterhand mit weit aufgerissenen Augen in die Runde und ins Zuschauer-Oval.
Robert Falke konnte wie alle anderen im Publikum zunächst nicht begreifen, was da auf der Bühne passierte.
Spielen sie dieses Jahr doch wieder ‚Winnetou III‘?, ging es ihm durch den Kopf. Neben ihm hatte Jessica ihr Eis fallenlassen und starrte konsterniert auf die Bühne. Als sich nun Rote-Kreuz-Kräfte zwischen den Reihen der Indianer durchkämpften und den wie gelähmt wirkenden Old Shatterhand zur Seite schoben, ging wohl dem Letzten im malerischen, unweit des Plöner Sees gelegenen Freilichttheater auf, dass etwas Schreckliches passiert war.
2.
Neumünster. Zwei Tage zuvor.
Penetrante Pieptöne zerrissen die nächtliche Stille. Jana Feldens Hand tastete zuerst nach dem Wecker. Es dauerte einige Sekunden, ehe sie begriff, dass das Telefon sie aus dem Schlaf geschreckt hatte.
War etwas mit ihren Eltern? Oder mit Lisa? Sie wankte in den Flur und griff nach dem Hörer. Ihr ganzer Körper zitterte, was nicht an der nächtlichen Kühle lag.
„Hallo Jana“, meldete sich eine Männerstimme. „Du hast doch nicht etwa schon geschlafen?“
Jana schaute aufs Display der Digitaluhr, die auf dem Telefonschränkchen stand. Es war fast ein Uhr.
„Arbeitende Menschen schlafen gewöhnlich um diese Zeit“, giftete sie in den Hörer.
Sie hörte ein raues Lachen.
„Ist dieses Dreckschwein wieder bei dir?“, fragte die Stimme.
„Das geht Sie nichts an. Ein für alle Mal. Lassen Sie die Anrufe. Ich gehe sonst zur Polizei und zeige Sie an.“
Wieder das raue Lachen am anderen Ende der Leitung. Diesmal voller Hohn. Jana drückte die rote Taste. Sie ärgerte sich, dass sie offensichtlich einmal zu oft die Karte mit ihrer Festnetznummer weitergegeben hatte. Für eine Schauspielerin war es mitunter wichtig, einen Anruf zu bekommen. Von den richtigen Leuten allerdings und möglichst wegen eines Rollenangebots. Irgendjemand musste ihre Nummer an diesen Idioten weitergereicht haben, der sie regelmäßig mit seinen Anrufen belästigte. Spätnachts hatte der Stalker sie allerdings noch nie angerufen. Sein Ton wurde immer unverschämter, und die zunehmend hasserfüllten Bemerkungen über ihren Freund machten ihr langsam Angst.
Vorsorglich stellte sie das Telefon auf stumm. Dann schlurfte sie in die Küche. Aus dem Kühlschrank holte sie eine halbvolle Milchpackung und nahm zwei, drei Schluck. Kurz darauf lag sie wieder im Bett und dachte an die morgige öffentliche Generalprobe der Karl-May-Spiele Bad Espefeld. An der Seite des populären Jungschauspielers Branco Ilic würde sie auf der Bühne am Krähberg ihr Debüt als Ribanna geben. Dass ausgerechnet sie die Rolle von Winnetous heimlicher Geliebten spielte, sorgte für ein Rauschen im Blätterwald des Boulevards, denn Ilic und sie galten auch privat als Traumpaar.
Am Vorabend ihres großen gemeinsamen Auftritts schlief sie jedoch allein in ihrer Wohnung in Neumünster.
3.
„Winnetou stirbt auf der Bühne am Krähberg.“
Während Manuel Wolff von einer verwaisten Zuschauerbank aus die Aktivitäten der Polizeikräfte verfolgte, formulierte er in Gedanken schon an dem Artikel, den er der Redaktion der Nord-Ostsee-Zeitung liefern würde. Völlig außerplanmäßig. Normalerweise hatte er als freier Mitarbeiter eine Kritik der Aufführung schreiben sollen, aber nun würde es eine sensationelle Story werden. Der Redaktionsleiter hatte zwar kurz mit sich gerungen, selbst an den Ort des Geschehens zu eilen, doch die Personaldecke in der Lokalredaktion war einfach zu dünn. Außerdem war Manuel Wolff zwar Autodidakt, wurde aber als zuverlässiger Schreiber geschätzt. Schließlich war Wolff in seinem Hauptberuf ein Mann des Wortes. Er arbeitete in Teilzeit als Pastor einer kleinen, freikirchlichen Gemeinde.
Die Bühne war nun vollständig im Beschlag der Polizei. Branco Ilics Leiche war von den Zuschauerrängen aus nicht mehr zu sehen. Man hatte mit einer Kunststoffplane einen Sichtschutz errichtet. Ein Polizeimediziner mit seiner Assistenz war schon vor längerer Zeit dahinter verschwunden. Einige Bereiche der Bühne waren durch rot-weiße Absperrbänder abgetrennt. Die Polizisten, die hier tätig waren, gehörten offensichtlich zur Spurensicherung. Interessiert verfolgte Manuel das an einem Tatort obligatorische Treiben, wie er es bisher nur aus Fernsehkrimis kannte.
Inzwischen hatten sich die Zuschauerränge vollends geleert.
Über die Lautsprecher der Regie waren die Anweisungen ans Publikum ergangen. Die Besucher hatte man um Verständnis dafür gebeten, dass die Polizei die Personalien aller Anwesenden aufnehmen werde. Dies führte zu einem kleinen Tumult, weil viele Eltern ihre völlig verstörten Kinder möglichst schnell vom Ort des Geschehens fortbringen wollten.
Manuel Wolff hatte sich einige Notizen gemacht. Nun stand er auf und ging die Treppen abwärts Richtung Bühne. In der ersten Reihe hinter der hölzernen Absperrung der Bühne saß eine junge Frau im Rollstuhl und sah offensichtlich gedankenverloren der Spurensicherung bei der Arbeit zu. Als Manuel näher kam und das Gesicht der Frau erkannte, durchfuhr ihn ein Schreck. Er ließ seinen Blick von ihrem Gesicht über den zierlichen Körper zu ihren gelähmten Beinen und wieder zurückwandern.
„Haben Sie noch nie eine Rollstuhlfahrerin gesehen?“
Die Frau hatte bemerkt, dass Manuel sie unverhohlen angestarrt hatte. Ihre Stimme klang herausfordernd, aber nicht unfreundlich.
„Doch, doch“, stammelte er. „Aber das ist ja nicht möglich. Jana Felden? Sie waren doch eben noch …“
„Ach, daher weht der Wind“, sagte sie und grinste schelmisch. „Sie halten mich für meine Zwillingsschwester. Ich bin Lisa Felden.“
„Ja, ja, sicher. Entschuldigen Sie bitte. Ich habe Sie verwechselt.“
„Obwohl Jana zurzeit nur mit dunklen Haaren und Indianerzöpfen zu sehen ist?“
Manuel reichte Lisa die Hand. „Das kann ich Ihnen erklären. Als ich Ihre Schwester persönlich kennengelernt habe, trug sie