Alexa und das Zauberbuch. Astrid Seehaus

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Alexa und das Zauberbuch - Astrid Seehaus

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plötzlich auf und machte sich davon.

      Alexa runzelte die Stirn. Das war nicht der Sinn ihres Zaubers. Dass die Hexenjägerin fort war, war schon ganz richtig, aber sie sollte sich in Luft auflösen. Nun sah Alexa sie zwar davonrennen wie ein zweibeiniger Hase, aber damit war ihr Problem nicht gelöst.

      Nun, was blieb ihr anderes übrig: Sie schlich der Hexenjägerin nach. Da diese es sehr eilig hatte, musste sich Alexa ihren weit ausholenden Schritten anpassen. Und jedes Mal, wenn die andere sich umdrehte und prüfend zurückblickte, schnippte sie sich hinter einen Baum oder einen Busch, bis sie eine Stimme sie erstarren ließ.

      „Hey!“ Verärgert musterte sie ein alter Mann, der unter mehreren Lagen Zeitungspapier geschlafen hatte. „Mach dich dünne!“

      „Verzeih, guter Mann“, entschuldigte sich Alexa sofort und stieg von ihm herunter. „Ich habe dich nicht gesehen.“

      „Hast wohl keine Augen im Kopp, was? Ich liege immer hier.“

      „Ich hatte meinen Blick in die Ferne gerichtet“, antwortete Alexa pflichtschuldigst und suchte die Umgebung ab. Aber das Mädchen mit den Gläsern auf der Nase war fort.

      „Dann pass das nächste Mal besser auf“, grunzte der Alte und schloss wieder die Augen.

      Alexa ärgerte sich über ihre Unvorsichtigkeit. Sie hätte es besser wissen müssen. Überall lauerten die Gefahren. Nun war die Hexenjägerin verschwunden, und sie hatte keine Möglichkeit mehr, sie zu bannen. Aber es war vordringlich, sie zu verhexen, sonst würde erneuter Schaden auf sie zukommen.

      Hastig schaute sie sich um, aber nein … sie war wirklich weg.

      DONG-DONG-DONG.

      Das tief tönende Läuten einer Glocke lenkte sie ab. Gespannt lauschte sie dem rasselnden Brummen und den dumpfen Schlägen, die auf sie zukamen, konnte aber nicht herausfinden, um was es sich handelte. Nichts von dem klang nach Pferd oder Wagen, nach Blöken von Schafen oder Scharren von Hufen. Waren das Schwerthiebe? Möglicherweise ein Kampf? Oder waren das die Tatzen des Drachen, die sich in die Erde gruben? Sie bekam eine Gänsehaut. Ängstlich duckte sie sich hinter eine Hecke und hielt den Atem an.

      Und diese Gerüche! Abscheuliche Gerüche, die sie noch nie zuvor gerochen hatte. Konnte es möglich sein, dass die Geschichte von dem Wilden Heer doch stimmte? Dass die Wilden Reiter umherzogen, um sich Menschen zu holen? Für ihren Kampf, dem man nicht entfliehen konnte?

      Alexa warf sich auf den Boden. Jedes Kind in ihrem Dorf wusste, dass man sich hinwerfen musste, um dem Wilden Heer zu entgehen. Nach einer Weile wurde es ihr jedoch langweilig, toter Regenwurm zu spielen. Gebückt wie ein Hühnerdieb trippelte sie von Busch zu Busch, bis sich ein spitzer Finger zwischen ihre Schulterblätter bohrte. Sie drehte sich nach dem Finger um und sah sich unvermittelt, Nasenspitze an Nasenspitze, einem verschrumpelten Gesichtchen gegenüber, das ihr freundlich zulächelte.

      „Mädchen, wenn du einem dringenden Bedürfnis nachgehen musst, dann findest du dort die Toiletten.“ Die Alte unterstrich ihre Worte, indem sie Alexa am Arm nahm, ihn in eine andere Richtung drehte und mit dem ausgestreckten Finger auf ein kleines, viereckiges Häuschen zeigte. „Aber hier kannst du nicht, auf gar keinen Fall, das gehört sich nicht, weißt du.“ Wasserhelle Augen blickten sie aufmerksam an, und Alexa nickte stumm.

      Wieder hörte man die Glocke: DONG-DONG.

      „Ich muss aber eigentlich dahin“, wollte Alexa erklären. Sie zeigte mit ihrem Finger Richtung Geläut, und die alte Frau verstand sofort.

      „Aber ja, natürlich, du musst in die Schule. Dann beeil dich, Mädchen, du kommst sonst zu spät.“

      Alexa nickte erleichtert. „Schule. Gewiss. Das ist mein Begehr.“ Und ehe die Alte etwas erwidern konnte, war Alexa bereits verschwunden.

      Es war still geworden. Die Schulglocke hatte ihre Arbeit eingestellt. Alexa stand vor einem großen, grauen Haus und betrachtete es eingehend. Die Figuren über dem Portal erinnerten sie ein wenig an die Kirche in Salzbrunne, aber sonst gab es keine Ähnlichkeiten zwischen beiden Gebäuden. Wo war sie eigentlich? In ihrem Dorf hatte es nie solch ein Haus gegeben. So groß und so breit und so – mächtig. Sie setzte sich auf eine Bank unter einem Baum und entschied, gründlich nachzudenken, während sie auf die Hexenjägerin wartete. Mit dem Rückkehrzauber konnte sie sie dazu zwingen, sich ihr zu zeigen. Aber das würde eine gewisse Gefahr heraufbeschwören: Die Hexenjägerin könnte auf sie aufmerksam werden und sie bannen.

      Alexa wiegte ihren Kopf hin und her und entschied, der drohenden Gefahr ins Auge zu blicken.

      Leise schnurrte sie: „Wirbelsturm und Sommerregen, Kugelblitz und Hagelschlag, wenn ich will, sollst du dich regen und du kommst, da ich es sag.“

      Sie wartete.

      Und wartete.

      „Sommerspross und Rattenwanze, Läusemist und Ziegenschwanze, meine Macht ruft dich herbei, eins und zwei und hexendrei.“

      Nichts.

      Es blieb still.

      Keine Menschenseele weit und breit. Vor der Schultür tat sich nichts. Auf der Straße davor nicht, und die Wege und die Flächen bis zum Weiher breiteten sich wie ausgestorben vor ihr aus. Ob gerade die Pest wütete? So leer sah es nur in den Dörfern aus, die der Hauch des Todes durchweht hatte. Entsetzt sprang sie auf. Die Pest? Das war kein Spaß, wenn hier wirklich Meister Schnitter, der Sensenmann, eine blutige Ernte einbrachte.

      Sie lief zum Weiher, sah dort die Enten gründeln, beobachtete die Tauben, die gurrend umhertippelten, und fand alles zwar unbelebt, aber nicht bedrückend. Es war ein ruhiger Ort, aber sicherlich kein gefährlicher.

      Ein Hündchen sprang plötzlich an ihr hoch.

      Alexa bückte sich, um es zu streicheln. „Du bist aber ein liebes Hündchen.“

      „Ja, das ist er wohl, nur gehorchen tut er nicht, der kleine Struppi.“ Die Frau, die neben Alexa stand, war kaum größer als das Mädchen. „Er läuft mir immer davon.“

      „Oh, da kann ich dir einen Ratschlag erteilen“, erwiderte Alexa freundlich. „Wenn du ihn rufst und er kommt nicht, knurrst du ihn an und sprichst: ‘Mäusewind und Bienenstich, gehorchst du nicht, dann beiß ich dich!’

      Die Frau brach in schallendes Gelächter aus. „Wie reizend! Vielleicht sollte ich meinen Struppi wirklich mal anknurren und ein wenig beißen. Vielen Dank für den Tipp.“ Sie lachte noch immer, als sie sich mit ihrem Hund entfernte.

      „Nicht der Rede wert, es war mir eine Ehre, dir geholfen zu haben“, murmelte Alexa.

      Mehr und mehr Menschen schienen nun die Wege zu bevölkern, um die wärmenden Strahlen der Sonne zu genießen. Sie gingen die grauen Wege entlang, sprachen miteinander und lachten. Sie schienen guter Dinge zu sein, niemand von ihnen wirkte böse oder gefährlich, und dennoch wusste Alexa, dass es nicht ihr Zuhause war.

      Die Hexenjägerin war nicht wieder erschienen, auch wenn Alexa den Rückkehrzauber mehrfach gewirkt hatte. Als sie die Arme für eine weitere Beschwörung hob, öffnete sich das Schulportal, und die Hexenjägerin erschien. Sie war allein.

      „Los geht’s!“ murmelte Alexa. „Dann war mein Rückkehrzauber doch noch erfolgreich.“

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