Auslaufgebiet. Lotte Bromberg

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Auslaufgebiet - Lotte Bromberg

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      Mitleid von toten Frauen, denen einzelne Körperteile fehlten, hervorragend. Die kaugummilangen Tage und geistergefüllten Nächte machten ihn zu einer jammernden Mimose. Gute Voraussetzungen für eine Umschulung zum Haremseunuchen, aber schlechte für den rauhbeinigen Alltag als Kriminaler auf Berliner Straßen. Den er so vermißte, daß es ihm das Zwerchfell zusammenkrempelte, wenn er nur daran dachte. Bekäme er die Chance zurückzukehren, er schwiege über endlose Überstunden, kaputte Mitmenschen und mißgünstige Kollegen.

      »Mir geht es vorzüglich ohne Arbeit, Oskar.«

      »Aber sicher, deshalb turnst Du auch mit Deiner alten Kifferschachtel durch die Pampa.«

      Jakob schwieg.

      »Sie liegt im Auslaufgebiet.«

      »Armer Oskar.«

      In Gegenden ohne Straßenschilder war sein Freund verloren. Das Hundeauslaufgebiet im Grunewald war zwar nicht Nord-Kanada, aber immerhin. Ein paar Hundert Hektar Wald, Wasser am einen Ende, die S-Bahn am anderen. Ganz zu schweigen von den vielen freilaufenden Hunden und ihren landschaftserfahrenen, selbstbewußten Begleitern. Oskar mußte sich fühlen wie auf dem Mond.

      »Ich kann das nicht, hier sind überall Bäume.«

      Oskar schlug genau den Ton an, bei dem er alles stehen und fallen ließ. Keine Frau konnte das. Jakob seufzte. »Hat Deine Franzosenkutsche ein Abschleppseil?«

      »Warum?«

      »Du holst uns hier ab, und ich sehe mir Deine Leiche an.«

      »Du bist ein Schatz, Alter. Und wo seid Ihr?«

      »Burg Rabenstein, Gretes Bulli hat die Steigung nicht geschafft.«

      »Das finde ich nie.«

      »Fahr bis Belzig. Du weißt schon, Autobahn, der Spargel …«

      »Und wenn die Häuser aufhören?«

      »Rufst Du mich an.«

      »Was Du bloß an Gegend findest.«

      »Komm her, dann erkläre ich es Dir.«

      Er lag auf der Anhöhe, den Wald im Rücken. Seit er nicht mit zur Jagd gedurft hatte, war das sein Platz. Als die Erwachsenen aufbrachen, wollte er sie erstmals begleiten, hatte sich mit angelegten Ohren, Kopf und Rute gesentk, zwischen sie gestellt und gebettelt. Er war doch so gut wie erwachsen. Aber die Rüden knurrten, scheuchten den Halbstarken zurück zu seinen Geschwistern.

      Sie waren mit fetter Beute zurückgekehrt. Ein Frischling, genug für alle. Aber er wartete schmollend abseits. Erst, als alle satt schliefen, war er zu den Resten gegangen, hatte Knochen abgenagt und geknackt. Sein Magen war voll, aber das Ziehen blieb.

      Er schlief jetzt auch am Waldrand, den Blick auf das Rudel. Ging in den Wald, um sich zu lösen und der Witterung hinzugeben. Der Wald war klein, er konnte am anderen Ende die Sonne untergehen sehen. Glutrot und dick senkte sie sich in die warme Erde, in seine Brust, füllte ihn aus.

      Dieses Mal gab er nach. Mit weit ausgreifenden Schritten lief er in das Rot, immer weiter, bis es verschwand, die Nacht sich senkte, der Mond stieg, die Sterne auf seinem Weg blinkten. Er spürte Sand unter den Pfoten, die kühler werdende Luft in seiner Brust, horchte auf das Wispern und Knispern der Nacht. Tau senkte sich in sein Fell, aber ihm war warm und wohl. Er lief und lief, trank aus Pfützen, ruhte aus unter Bäumen, und lief, bis die Sonne wieder stieg. Erst als sie steil über ihm stand, suchte er Schutz vor ihrer Hitze unter einer weit ausgreifenden Fichte, grub sich eine Mulde und rollte sich ein. Steckte die lange schmale Schnauze tief unter seine Flanke, horchte auf die Geräusche des fremden Waldes, das ferne Pfeifen des Bussards, das Keckern der Elstern, den Warnruf des Eichelhähers. Sein Herzschlag wurde ruhiger und er schlief ein.

      Seine Schwester war zum Waldrand hinaufgelaufen, hatte die Witterung des Bruders aufgenommen, war durch den Wald, die Nase tief am Boden, seiner Spur gefolgt. Auf der anderen Seite des Waldes sah sie über die Ebene und hielt inne. Sah sich um, fiepte ratlos. Legte den Kopf in den Nacken und heulte.

      Es antwortete ihr Rudel im Rücken, der ferne Bruder schwieg. Da drehte sie um. Durchmaß mit hüpfenden Zwischenschritten das Wäldchen, fand den früheren Schlafplatz ihres verlorenen Bruders, kratzte mit den Hinterpfoten etwas Sand in seine Mulde, löste sich darauf, lief den Hang hinab zu ihrem Rudel und vergaß ihn.

      Die Sonne hatte sich vor ihm gesenkt, ein zweites, drittes Mal. Jetzt, am vierten Tag, hatte sie die Landschaft noch nicht in rotes Licht getaucht, noch blendete sie den auf sie zulaufenden jungen Rüden. Vor ihm lag ein breiter Fluß. Das Licht tanzte auf seinen trägen Wellen. Auf dem gegenüberliegenden Ufer bewegte sich etwas, das er nicht kannte. Er witterte fremde, schwere Gerüche, die der Wind herübertrug. Verwirrende Geräusche füllten seine großen, feinen Ohren. Seine Stirn zog sich zusammen.

      Er blieb in Deckung, wartete. Mit der Dämmerung wurde es ruhiger am anderen Ufer. Nur ab und an bewegte sich ein großes Wesen langsam, stinkend und röhrend von einer Seite zur anderen. Er folgte mit dem Kopf seinen zwei großen Augen, die über den Uferweg tanzten, dem kleinen Licht, das über den Fluß streifte und schließlich den zwei roten Augen an seinem Ende.

      Als die Dunkelheit überall war, schlich er sich zum Fluß und trank. In ihn grub sich nagende Leere ein. Sie sprach mit dem Ziehen. Er sicherte nach allen Seiten. Außer ein paar Fledermäusen war alles leer. Er stieg in den Fluß, setzte vorsichtig Pfote für Pfote und wurde mitgerissen. Die Strömung war stark, weit zog sie ihn hinaus. Er bewegte die Beine im Wasser. Kraftvoll schwamm er durch den Strom. Nur die graue Rute und sein schmaler Kopf waren zu sehen, dicht angelegt die Ohren. Er fühlte seine Kraft, die das Wasser durchteilte. Sah Bäume am Ufer vorüberziehen, Sterne über sich.

      Die Fledermäuse begleiteten ihn, stürzten auf den Schwimmenden nieder, bogen kurz vor ihm ab in den Nachthimmel. Das Wasser war kalt, unter ihm wirbelte es. Seine Beine wurden schwer, seine Züge langsamer. Der Fluß war breit und stärker als der unerfahrene Wolf auf dem Weg in ein neues Leben. Seine Rute sog sich voll Wasser, wehrlos schleuderte sie hin und her. In seine Ohren lief der Strom, er fror trotz der Anstrengung. Sein Atem ging keuchend. Immer schneller wirbelte das Ufer vorbei, immer härter attackieren ihn die Fledermäuse.

      Endlich spürte er Sand. Wirbelnden, weichen Sand. Noch ein, zwei Züge mit den lahmen Beinen, dann stand er, schwankend. Stieg auf zum Ufer, zog sich mit den zitternden Vorderbeinen die Böschung empor. Das Wasser lief in Strömen an ihm hinab. Er schüttelte sich, der Nachthimmel zerstob vor Wasserfunken. Er trabte hoch auf einen grasbewachsenen Deich und sicherte ringsum. Die Fledermäuse hatten ihn verlassen. Ein Fuchs war vorbeigekommen am Abend, unter sich hörte er Nager in ihren Bauen trappeln, in der Ferne einen Kauz. Er drehte sich um und sah zurück auf den Strom. Hob den Kopf, immer höher, legte ihn in den Nacken und heulte. Er bekam keine Antwort.

      Als ein Kollege ihm in der Keithstraße sagte, wo er die Angehörigen der Frauenleiche aus dem Grunewald fände, hatte Oskar gehofft, er träfe auf ganz normale Berliner, die zufällig in der Platte im Osten wohnten. Man will sich ja in seinen Vorurteilen nicht einrichten. Außerdem gab es wirklich nette Ostler, die in Prenzlberg das System zu unterbuddeln versucht hatten, allerdings heute in Charlottenburg wohnten, weil Stuttgarter ihre Wohnungen aufgekauft und von den Überwachungskabeln der Stasi befreit hatten.

      All seine guten Vorsätze lösten sich schon im Hausflur auf. Schichten frischer

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