Auslaufgebiet. Lotte Bromberg

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Auslaufgebiet - Lotte Bromberg

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saß er auf einer Lichtenberger Couch im siebten Stock des Arbeiter-und-Bauern-Paradieses für verdiente Kleinkader, eingekeilt zwischen plüschigen Kissen und sah in das starre Gesicht von Walter Gerber, dessen ältestes Kind Iris den Grunewalder Ratten Teile ihres Körpers geopfert hatte.

      »Mein Mann kommt nicht so zurecht in der neuen Zeit. Sie müssen schon entschuldigen«, sagte die Mutter. Seit einer halben Stunde drehte sie jetzt ihr rechtes Handgelenk zwischen Daumen und Zeigefinger der Linken.

      »Was heißt das?«, fragte Oskar. Er sah sich im Wohnzimmer um. Gerüschte Gardinen über einer mit Engelchen vollgestellten Fensterbank. Porzellan, buntes Glas, Hölzernes aus dem Erzgebirge. An der Wand Dürers Karnickel, der Eiffelturm und ein kleiner Honecker. Auf einer dunkel glänzenden Kommode Photos aufgereiht wie Pokale, Iris und zwei Jungs. Das Erreichte im gerahmten Rechteck. Schultütenpräsentation eins, zwei, drei. Jugendweihe. Iris mit leichten X-Beinen in weißen Kniestrümpfen, ihre freche Stupsnase ragte noch vollständig in den Himmel.

      Dann als Erwachsene. Ein Bruder in knappem Anzug inmitten businessgekleideter Klone, der andere mit Kindern am Strand. Bunte Schippen und Förmchen ringsum, eine übergewichige Frau mit Sonnencreme auf dem Nasenrücken an seiner Seite. Iris vor Skyline, mit angeknipstem Strahlen, ohne Kniestrümpfe.

      Schließlich die Drei auf der elterlichen Couch. Alle in Jeans, Iris in der Mitte, lässig die Hände auf den Beinen ihrer Brüder, die sie von der Seite ansahen.

      »Man hat mich aussortiert, das heißt das.« Die Lippen des Vaters bewegten sich kaum.

      Oskar sah zu Iris’ Bruder, der unglücklich auf dem Sessel seiner Kindheit hing. War sicherlich damals Grund zur Freude gewesen, eine Couchgarnitur zugeteilt zu bekommen.

      »Das kannst Du so nicht sagen, Vati.« Seine Frau sah ihn an. »Was hätten sie denn tun sollen, den Staatsrat gab es ja nun nicht mehr.«

      »Staatsrat?« Oskars Stimme kiekste.

      Die Mutter erlöste das Handgelenk und täschelte ihrem Mann den Oberschenkel. »Verwaltungsaufgaben hat er dort erfüllt«, sagte sie.

      »Schließer war er«, sagte der Sohn.

      Er hatte die schmalen Lippen seines Vaters, war aber schmächtiger. Kurze, breite, gepflegte Finger, die flach auf seinen Oberschenkeln lagen. Oskar vermutete feuchte Kälte, die von den Handflächen in die Hose drang. Er trug einen hellgrauen Anzug, immer noch zu eng, ein Seidenanteil ließ ihn knittern. Der Schlips war zu bunt, das Hemd hatte einen Stich Rosa.

      »Diese Respektlosigkeit hätte es früher nicht gegeben.« Der Vater bleckte die Zähne.

      Sein Sohn sah unbeteiligt aus dem Fenster. Am Rand seiner anthrazitfarbenen Socke war ein Fußball aufgedruckt. Westverseucht, dachte Oskar, auf sozialistischer Ostcouch, die Welt war früher schlichter. »Der Staatsrat ist aber lange beerdigt. Was haben Sie denn nach Mauerfall gemacht?«, fragte er.

      Der Mann schwieg.

      »Pförtner werden ja auch anderswo gebraucht.«

      Der Mann schnaubte.

      »Oder waren Sie IM?«

      »Das könnte Euch so passen.«

      Ein Neuköllner Arbeiterkind als Klassenfeind, Oskar parkte seinen Blick vorsichtshalber Richtung Kommode. An der Wand noch mehr Photos. Iris im Kostüm, etwas jünger als vor der Skyline, schmal und langbeinig, die Schultern hochgezogen. Sie lächelte gequält in die Kamera, im Hintergrund der Palast der Republik.

      »Eine sehr schöne Stelle im Innenministerium hat man ihm angeboten«, sagte die Frau.

      »War ihm nicht genehm«, sagte der Sohn, nahm ein Stofftaschentuch aus der seidigen Hose und wischte sich die Handflächen.

      »Sehe ich aus, als liefe ich einfach so über?«

      »Hast lieber Mutti schuften lassen und Arbeitslosenhilfe kassiert. Die Dir dann auch noch gekürzt wurde, als Du Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen abgelehnt hast.« Das Taschentuch verschwand zerknüllt in den Tiefen der Hosentasche.

      »Computerkurs und im Archiv Akten entstauben. Wer bin ich denn?«

      »Haben Sie auch gearbeitet?«, fragte Oskar die Frau.

      »Kindergärtnerin war ich«, antwortete sie. »Nach Mauerfall wollte man mich aber nicht mehr. Es hieß, das waren die falschen Methoden. Alle zugleich auf den Pott, alle zusammen schlafen legen. Dabei hat das bißchen Disziplin nicht geschadet. Aber«, sie schlug die Hände zusammen, als mache sie sich an den nächsten Kuchenteig, »das muß man als Chance sehen. Habe ich mich eben verändert.«

      »Kassiererin.« Der Mann schnaubte wieder.

      »Ja und? Ist das vielleicht kein anständiger Beruf? Kommt man wenigstens unter Leute.«

      »Denen für Unnützes Geld aus der Tasche gezogen wird.«

      »Der böse Kapitalismus. Nicht schon wieder«, sagte der Sohn.

      »Und unserem Kleinen konnte ich so helfen, einen Ausbildungsplatz zu finden. Habe bei meinem Chef ein gutes Wort für ihn eingelegt.« Oskar sah fragend zum Sohn, der den Kopf schüttelte, er war nicht der Kleine.

      »Eine Schande für die Arbeiterklasse. So weit sind wir schon, um die Gunst des Chefs werben.« Der Vater verschränkte die Arme.

      Oskar wurde das alles zu familiär. »Und Ihre Tochter?«

      »Die hat es geschafft«, sagte die Mutter. »Abitur gemacht an der Polytechnischen Oberschule und dann an der HU studiert. Tolle Abschlüsse hingelegt. Betriebswirtschaft, war es nicht so?« Sie sah zum Sohn, der nickte. »Und dann hat sie sich um ein Aufbaustudium beworben, in Amerika.«

      »Ausgerechnet«, sagte der Vater hinter seinem Armpanzer.

      »Ja und? Sie haben sie genommen und uns hat es keinen Pfennig gekostet. Ein Stipendium hat sie bekommen für eine MBA. Heißt das so?« Der Sohn nickte. »Ihr späterer Chef hat das finanziert. Er fand es gut, daß sie aus dem Osten kam, sich hochgearbeitet hat. Wissen Sie, für die Amerikaner sind wir Exoten. Die denken, wir hätten alle in Käfigen gehaust und kommunistische Lieder gesungen.« Sie kicherte.

      »Und nach dem Studium?«

      »Erst mußte sie überall rumreisen. Hat nicht viel verdient, sollte alles kennenlernen. Aber das ist lange vorbei. Inzwischen betreut sie einzelne Projekte, hat völlig freie Hand. Und verdient richtig viel Geld.«

      »Einen Mann hat sie nicht«, sagte der Vater.

      »Was sollte sie mit dem auch anfangen bei der vielen Arbeit. Aber später will sie schon, auch Kinder, sie ist ja erst dreiunddreißig.« Die Frau strahlte stolz.

      »Wissen Sie etwas über Freunde Ihrer Tochter? Menschen, die uns mehr über ihr jetziges Leben sagen können?«, fragte Oskar, bevor der Mutter bewußt wurde, daß ihre Tochter immer dreiunddreißig bleiben würde.

      »Eine Klassenkameradin hatte noch Kontakt zu ihr«, sagte der Bruder. »Aber ich glaube nicht, daß die Ihnen weiterhelfen kann. Ist bei der BVG, fährt Bus, glaube ich, hat Mann, zwei Kinder, ein Häuschen hinter Oranienburg. Das waren nur Erinnerungen, nichts, was sie jetzt noch verband. Meine Schwester hatte

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