Nataschas Winter. Susanne Scholl
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Nataschas Winter - Susanne Scholl страница 2
Jetzt weigern sie sich jedenfalls, mir, die ich die Trennung durchaus ebenso schmerzlich wahrnehme, Zuspruch zu gewähren. Die beiden lehnen – jeder für sich allein mit seiner Trauer – versunken in den Autositzen. Und ich kann sie nicht dazu bewegen, mit mir zu sprechen.
Adlerauge hat einige russische Geldscheine bei sich, die er als Andenken behalten will. Die Kartenleserin hat wohl auch ein paar der neuen Rubelnoten in ihrer Geldbörse, aber so genau kann man das nicht wissen, denn sie ist sehr diskret, wenn es um ihr Eigentum geht.
In den Kisten und Koffern aber, die ebenfalls auf dem Weg sind, befindet sich vielleicht sogar allzu vieles, was uns Moskau immer nahe sein lassen wird. Erinnerungen, die wir in diesen Jahren zusammengetragen haben. Bilder und Holzfiguren. Zinnsoldaten, die Adlerauge erst hier zu sammeln begonnen hat. Tonpfeifchen unterschiedlichster Machart, die ein Freund einmal in großer Menge angeschleppt und Adlerauge und der Kartenleserin verehrt hat. Winzige Porzellanfigürchen, die die Kartenleserin von ihren Freundinnen zu Geburtstagen und anderen Anlässen geschenkt bekommen hat und die später dann Zuwachs erhielten durch ebenso winzige Glastierchen, die die Kartenleserin sich bei jedem Besuch auf Moskaus größtem Kitschmarkt auszusuchen verstand.
Aber jetzt, um sechs Uhr früh, in dem Auto, das uns wegbringt, hilft das Wissen um dieses angesammelte Moskau, das mit uns kommt, gar nichts. Denn nichts wird mehr so sein, wie bisher, wenn wir denn irgendwann einmal wieder zu Besuch kommen werden.
Wir fahren auf der alten Landstraße, an deren Rand jene wunderschönen, aber meist ziemlich verfallenen alten Holzhäuser stehen, die jeder sogleich mit Russland verbindet.
Aber auch sie sind Adlerauge und der Kartenleserin nur einen kurzen Blick wert. Erst als plötzlich – nur wenige Kilometer außerhalb der Stadt – ein gewaltiger sommerlicher Regenguss auf unser Auto niederprasselt, regt sich etwas auf dem Rücksitz. Vor uns auf der im Regen verschwimmenden Fahrbahn ist ein kleines, weißes Auto unterwegs. Auf dem Dach ein gut verschnürtes, hoch-getürmtes und mit Plastikplanen bedecktes Paket. Denn gelernte Moskauer trauen selbst dem saubersten blauen Himmel ebenso wenig, wie Adlerauge. Wenn wir ihm wieder einmal vorhalten, dass er das Leben zu sehr von der schlechten Seite sehe, ruft er uns immer jenen Tag in Erinnerung, an dem er bei herrlichstem Sonnenschein das Haus am Morgen in langen Hosen und festen Schuhen verließ und sich dann unbändig freute, als die Kartenleserin ein paar Stunden später mit ihren dünnen Sandälchen durch riesige, vom plötzlichen Guss verursachte Lachen tanzen musste.
»Datschenbesitzer«, sagen wir alle wie aus einem Mund.
»Der Regen kommt ihnen gerade recht.« Was natürlich hämisch klingt, uns dreien aber trotzdem an diesem Tag zum ersten Mal so etwas wie ein Lächeln entlockt.
Die Datscha
Kein Moskauer kann auf sie verzichten und alle Moskauer stöhnen über sie. Unzählige Holzhäuschen der verschiedensten Bauart zieren Moskaus nähere und weitere Umgebung. Da sind die kleinen, alten, einstöckigen, verschnörkelten, holzverandabestückten Datschen vom Ende des vorigen Jahrhunderts. Da stehen ganze Paläste mitten in eingezäunten, kleinen Wäldchen. Da findet man robuste Ziegelbauten mit eingebautem Kamin und Sauna, die den Namen Datscha nun wirklich zu Unrecht tragen, und daneben Zwei-Zimmer-Konstruktionen, wo Küche oder gar Badezimmer fast schon Fremdworte sind.
Meine Freundin Tanja besitzt, gemeinsam mit ihrer großen Familie, solch ein Häuschen, das wirklich uralt und von der Großmutter ererbt ist. Diese Datscha allerdings ist eher eine Last. Sie besteht aus ganzen vier Zimmern – wenn man die winzigen Räume, in denen sich ausrangierte Betten aus allen möglichen Moskauer Wohnungen den Platz streitig machen, denn als Zimmer bezeichnen will. Daneben gibt es auch noch eine wirklich riesige überdachte, aber nicht verglaste Veranda und eine Miniküche, in der sich nicht einmal ein Mensch alleine umdrehen kann, und einen Holzverschlag im Garten, der hochtrabend Toilette genannt wird.
An der Dusche – einem weiteren Holzverschlag im Garten – haben Tanjas und ihrer Schwester Lena Männer einige Sommer lang gebaut. Bis dahin wusch man sich an einer Vorrichtung, die es nur in Russland, pardon, eigentlich überhaupt nur in den Gärten russischer Datschen gibt: an einem, je nach Putzwut der Besitzer, mehr oder weniger verrosteten Metallbehälter, der an einem Baum gerade hoch genug angebracht ist, dass auch die Kinder noch hinaufreichen, und der am unteren Ende einen Metallpfropfen hat. Wenn man sich waschen will, muss man ebendiesen Metallpfropfen nach oben schieben, in den Kanister hinein. Durch die solcher Art entstehende schmale Öffnung tröpfelt es dann, und mit viel Geduld kann man sich in diesem Tröpferlbad russischer Machart zumindest Gesicht und Hände waschen. Mehr aber schon nicht.
Was allerdings niemanden stört, lebt man doch auf der Datscha nach dem Motto: der Natur so nahe wie möglich. Und da darf man – mit Verlaub zu sagen – durchaus etwas verdreckt sein und auch ein wenig vor sich hinmuffeln. Schließlich sind alle Nachbarn rundherum genauso verdreckt und muffeln genauso vor sich hin – sieht man einmal von den Neuen Russen und ihren Ziegelpalästen mit Sauna und Kamin ab.
Im Übrigen verbringt man den Tag sowieso im Garten. Vor allem bei dem Gemüsebeet, das eigentlich alle auf ihren kleinen Datschengrundstücken anlegen. Das hat die geplagten Moskauer schon über Bürgerkrieg, Naziinvasion, Stalin und Breschnjew hinweggebracht und hilft ihnen jetzt, mit den neuen astronomischen Preisen halbwegs zurechtzukommen. Dem Kartoffelanbauen und Radieschenbewachen entzieht sich in Russland ohnehin kaum ein Städter. Die Datscha ist das Ein und Alles der Moskauer, und über nichts können sie so lange und ausführlich und auch so zornig erzählen wie über ihr kleines eigenes Stückchen Natur.
Es fängt damit an, dass man – sobald der russische Winter auch nur kleinste Anstalten zum Rückzug macht – mit den Vorbereitungen zur Übersiedlung jener Familienmitglieder beginnt, die nicht unbedingt in der Stadt bleiben müssen. Am ersten Sonntag, an dem es nicht mehr gefriert, macht man sich also gemeinsam auf.
Wer das Glück hat, ein Auto zu besitzen, steht an diesem ersten Sonntag hin und zurück im kilometerlangen Stau. Wer den Vorortzug nimmt, ist schneller am Ziel, steht aber meist – im wahrsten Sinne des Wortes – den ganzen Weg hin und zurück und muss in der Regel auch noch einen ziemlichen Fußmarsch hinter sich bringen, bevor endlich der eigene Gartenzaun in der Ferne zu sehen ist. Ganz zu schweigen natürlich von jenen Situationen, in denen der Zug – unbegreiflich für alle seine Benutzer, die es sich aber schon lange abgewöhnt haben, sich über dergleichen zu wundern – plötzlich an einer Station in der Mitte seiner Strecke stehen bleibt und man den staunenden Reisenden erklärt, dass heute kein Zug mehr weiter fahren werde.
Hat man all dies glücklich überwunden, betritt man ein Gartengrundstück, das nach dem Winter natürlich etwas derangiert aussieht, und ein Häuschen, in das mit ziemlicher Sicherheit während der langen Abwesenheit seiner Besitzer eingebrochen worden ist.
Tanjas Mann Wolodja allerdings freute sich in einem Frühjahr unbändig über die ungebetenen winterlichen Gäste.
Die hatten nämlich, in offensichtlicher Verkennung der Situation und des Vermögensstandes jener, die sie bestehlen wollten, einen Fernsehapparat mitgenommen. Dieser Apparat aber war nicht einmal mehr auf der Datscha zu gebrauchen, er hatte im Sommer zuvor endgültig seinen Geist aufgegeben, und Wolodja hatte einfach vergessen, das alte Stück auf den Müll zu werfen.
Als er also den Diebstahl des Fernsehapparates entdeckte, erging er sich in Lobpreisungen über die