Fünf ungleiche Reiter. Jannis B. Ihrig
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Das erste, was Erwin spürte, als er wieder zu Bewusstsein kam, war Wasser im Gesicht. Er stemmte seinen Oberkörper hoch und stellte fest, dass er bei der Oase war. Bevor er sich fragen konnte, wie er hierher kam, hörte er ein Geräusch wie ein Gluckern. Sein Blick fiel auf den Teich der Oase. Da saß ein seltsames Wesen. Es sah von hinten aus wie ein hellgelber Tintenfisch, der auf vier seiner Tentakel lief. Insgesamt hatte es zehn davon. Es war etwas größer als Erwins Kopf. „Wer bist du denn?“ Erwin sah den Tintenfisch ungläubig an. Dieser glotze mit seinen untertassengroßen Augen zurück. „ … Und wie kam ich überhaupt hierher?“ Er sah sich um und entdeckte dann eine Schleifspur. Auf seinen Schultern waren kreisförmige Abdrücke, die von den Tentakeln des Kopffüßlers stammen könnten. Er sah den Tintenfisch erstaunt wieder an. „Du bist aber stark.“ Als hätte dieser Satz den Tintenfisch ermutigt, schmiegte er sich plötzlich sanft an Erwins Beine. „Und zutraulich auch“, sagte Erwin belustigt. Er stemmte sich hoch und überlegte einen Moment. „Eine Oase haben wir. Doch womit können wir Wasser transportieren?“
5. Kapitel – Der Elf und der Ork
Irgendwo im Osten des Sumpfes des Westens
Morgen des dritten Tages nach dem Fall von Erlin
Luke, ein typischer kleiner Elf in roter Stoffkleidung mit einen Umhang, war schon oft in brenzligen Situationen gewesen, hatte sie bis jetzt aber immer meistern können. Nun aber sah er sich hoffnungslos verloren. Dabei hatte alles gut angefangen: Als er über die östliche Grenze des riesigen Sumpfes getreten war, traf er auf einen Ork. Dieser beherrschte die Kontinentalsprache und für eine Menge Gold hatte er sich bereiterklärt, ihn einmal quer durch den Sumpf und zurück zu führen. Dank seiner Führung traf Luke vier Orkstämme und konnte so viel über die Lebensweise und Bräuche der Orks lernen. Wenn er wieder zuhause war, wollte er als erster Gelehrter ein Buch über die Orks schreiben, dass nicht auf Gerüchten, sondern auf Tatsachen beruhen würde. Doch dann hatten er und sein Begleiter Pech gehabt.
Sie stießen auf einen seltenen Sumpfschmetterling. Anfangs hatte Luke keine Angst vor diesem Wesen, dessen Körper drei Meter lang war und dessen Flügel eine Spannweite von sechs Metern hatten. Er freute sich sogar, ein so seltenes Tier zu sehen. Doch nur bis zu dem Augenblick, in dem das Insekt seinen Begleiter auffraß und ihn einfing, bevor er wegrennen konnte. Jetzt hing er in Seide eingewickelt in der Höhle des Schmetterlings und wartete darauf, dass der Schmetterling bald Hunger kriegen würde und ihn hoffentlich schnell und schmerzlos auffressen würde.
Das dauerte. Erst nach drei Tagen zeigte der Schmetterling wieder Interesse. Doch statt ihn aufzufressen, klammerte er Luke zwischen seinen Beinen fest und flog los. Der Flug dauerte lange, sodass Luke einschlief. Er wachte erst wieder auf, als der Schmetterling sein Ziel erreichte und ihn unsanft zu Boden fallen ließ. Luke lag auf dem Bauch und sah von seiner Position aus, wie der Sumpfschmetterling ein paar Schritte zurücktrat. Dann hörte er laute Schritte, die denen des Sumpfschmetterlings ähnelten, nur heftiger. Daraufhin wurde er wieder in die Luft gehoben und umgedreht, sodass er etwas sah, was ihn einen Riesenschreck einjagte, aber auch eine Erkenntnis brachte. Das Wesen, das ihn hob, war ebenfalls ein Sumpfschmetterling, der aber doppelt so groß war wie der erste. Luke erkannte jetzt den Zweck dieser Zeremonie. Der erste Schmetterling war ein Männchen, das sich unbedingt paaren wollte. Deshalb fing er Luke ein, um ihn jetzt als Geschenk an das deutlich größere Weibchen zu überreichen. Diese Entdeckung faszinierte Luke, denn so ein Verhalten war bis jetzt nur bei Spinnen beobachtet worden, und da auch nur bei Arten, die nicht größer wurden als eine Elfenhand. Luke wusste, das wäre eine Sensation für die Elfengelehrten gewesen. Leider wird er es nicht weitererzählen können. Doch er spürte keine Angst, sondern nur kalte Faszination und so guckte er trotzig ins aufgerissene Maul, welches sich ihn näherte … ihn aber nicht verschlang. Stattdessen hörte er einen so schrillen Schrei, dass er sich wünschte, er wäre in der Lage gewesen, sich die Ohren zuzuhalten. Dann schwappte kaltes Insektenblut in sein Gesicht, er wurde losgelassen und fiel abermals hart auf den Boden. Das war zu viel für Luke. Er verlor das Bewusstsein.
Als Luke langsam wieder zu sich kam, schmeckte er Wasser. Jemand goss ihn Wasser in seinen ausgetrockneten Mund. Er schlug die Augen auf und blickte in ein grünes Orkgesicht mit kurzem schwarzem Haar. „Alles in Ordnung?“ Luke antwortete erst nach einer Weile: „Ja, danke für die Nachfrage.“ Der Ork half ihn hoch. Luke nahm jetzt seinen Retter in Augenschein. Das Auffälligste an ihm war seine Größe. Während normale Orks schon eine Größe von zwei Metern erreichten, war dieser mit zweieinhalb Meter selbst für einen Ork groß. Luke, der mit einem Meter zwanzig als klein galt, musste sich den Hals ausrecken, um dem Ork ins Gesicht blicken zu können. Zudem war dieser noch auffallend hager und sah alles andere als kräftig aus. Allerdings wäre er als nicht ganz so starker Ork immer noch so stark wie ein Stier. Und sein Gesicht, aber vor allem seine blaue Augen, zeugte von Intelligenz. Er trug eine dunkelsilberne Rüstung und seinen Kopf zierte ein Ritterhelm mit aufklappbarem Visier. Eine Elfenrüstung, erkannte Luke erstaunt. „Wie hast du die Schmetterlinge besiegt?“
„Ach, eigentlich musste ich nur einen besiegen. Nachdem ich dem Weibchen ins Maul schoss …“
„Womit?“
„Mit meiner Armbrust! Wo war ich? Ach ja. Das Weibchen verfiel in Raserei und ein Sumpfschmetterlingsmännchen weiß nur zu gut, dass man sich von einem wütenden Weibchen fern halten sollte. Also machte es sich aus dem Staub.“
„Na gut, und wie tötetest du das Weibchen?“
„Dreh dich um und sieh selber.“ Das tat Luke und er entdeckte das Weibchen, das ein entsetzliches Bild bot. Es war geköpft und am Bauch aufgeschlitzt, sodass die Eingeweide heraus quollen. Langsam trat er näher und legte seine Hände auf den Kadaver. Der Körper war überall, selbst am Bauch, mit hartem Chitin umgeben. Der Kopf konnte, wie Luke vermutete, nur mit hohem Kraftaufwand vom Körper getrennt worden sein. „Unglaublich.“ Luke starrte das Weibchen an und konnte sich von diesem grässlichen, aber auch faszinierenden Anblick nicht losreißen. Er würde vermutlich immer noch da stehen, hätte ihn der Ork nicht ungeduldig einen Klaps auf die Schultern gegeben. „Was ist?“, fragte der Ork, „Kommst du mit oder willst du auf den nächsten Schmetterling warten?“ Dann drehte er sich um und ging, ohne eine Antwort abzuwarten. Luke eilte hinterher, denn der Ork machte Riesenschritte. Während er hinterherlief, fiel ihn die Bewaffnung des Orks auf: die schon genannte Armbrust und zwei Schwerter. Das war seltsam: Orks bevorzugten Äxte, und Fernkampfwaffen hielten sie eines Kriegers für unwürdig. Er hätte zu gern den Ork danach befragt, doch wegen der Geschwindigkeit des Orks, hatte er nicht genug Atem für die Fragen.
Nach zwei Stunden kam ein Orkdorf mit den für Orks typischen runden Häusern aus Steinen und mit einem Strohdach in Sicht. Es war das größte Orkdorf, das Luke bisher gesehen hatte. „Das ist eines der größeren Dörfer in der Umgebung. Hier solltest du ohne Probleme einen Führer finden, der dich aus dem Sumpf führt.“ Ohne ein weiteres Wort wendete sich der Ork ab und wollte gehen, als der Elf ihn rief: „Warte. Willst du gar nicht ins Dorf? Ich hatte gehofft, ich könnte mit einer Mahlzeit für meine Rettung danken.“
„Danke, doch ich muss ablehnen. Ich meide die Dörfer.“ Und dann ging der Ork. Luke blickte ihm nach, bis er am Horizont verschwunden war. Plötzlich fiel dem Elf ein, dass er nicht einmal den Namen des Orks wusste. Tief beschämt ging er ins Dorf, wobei ihm auch noch auffiel, das der Ork die Kontinentalsprache flüssig gesprochen hatte. Er beschloss, sich nach dem Ork zu erkundigen.