Rotz am Backen, Scheiß am Been - ach wie ist das Läähm scheen. Klaus Eulenberger
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„Mama was ist denn DP?“
„Klausmann, jetzt hörst du einmal durchgängig zu und fragst nicht immer dazwischen. Sonst kommen wir überhaupt nicht weiter. Die NSDAP ist die führende Partei in Deutschland, die alles festlegt und regelt – sie heißt Nationalsozialistische Partei Deutschlands. Diese hat festgelegt, dass Arbeiter aus den von Deutschland besetzten Ländern zu uns kommen, um das Land in dieser schweren Zeit des Krieges zu unterstützen.“
„Aber Mama, wenn die Arbeiter aus diesen Ländern wegmüssen, dann können sie doch dort nicht Felder bebauen, Getreide ernten und Tiere züchten. Da haben ja dann die Kinder in diesen Ländern da nichts zu essen.“
„Ja, du hast nicht ganz unrecht, aber es ist eben so, dass die Partei dies für Deutschland festlegt und das, was sie festlegt, ist gut für die Menschheit und dient uns allen. Unsere BdM-Leiterin erläuterte uns das immer und immer wieder, dass es um die Zukunft und die Sicherheit Deutschlands geht.“
„Mama, wie war denn das nun mit dem Herbringen der Arbeiter? Mussten sie hierher laufen?“
„Nein, sie kamen alle mit dem Zug. Wir bekommen in der Gemeinde immer Schreiben, welche Züge mit welchen Arbeitern und aus welchen Ländern bei uns eintreffen. Für Arbeitskräfte müssen sich die Bauern oder Betriebe bewerben. Dies wird dann von uns eingeschickt, geprüft und eventuell bestätigt. Bei uns tut das der Ortsgruppenleiter in Verbindung mit dem Bürgermeister. Für unser Gut hatte ich mich um drei Arbeitskräfte beworben. Vorgestern kam zehn Uhr auf dem Hauptbahnhof in Freiberg ein Zug aus dem Westen an, eine halbe Stunde später kam ein Zug aus dem Osten. Aus dem ersten wählte ich Johann und Marcel aus und aus dem zweiten Natascha und Nikolai.“
„Wieso hast du denn gewusst, dass es für uns die richtigen Leute sind?“
„Jeder Zug hat mehrere Begleiter und die habe ich gefragt, wer Erfahrung in der Landwirtschaft hat. Danach hat Natascha in der Tierzucht gearbeitet, Nikolai auf dem Feld, Johann und Marcel waren auf großen Bauerngütern, wir würden Rittergüter sagen, tätig, das heißt sie können alles.“
„Aber wer hat sie denn in den Ländern ausgewählt, Mama?“
„Klausmann, das ist aber jetzt die letzte Frage, dann schläfst du. Unsere Soldaten in den besetzten Ländern haben diese Arbeiter ausgewählt, zum Zug gebracht und nun sind sie hier. Genügt das, kleiner Mann?“
„Ja, aber die sind doch nicht freiwillig mitgegangen – der Johann wollte doch sicherlich bei seiner Mama bleiben, dort, wo er geboren ist. Ich verstehe das alles nicht so richtig. Am Ende muss der Schinderhannes noch nach Frankreich, um dort zu arbeiten oder jemand anders muss das tun. Kann das passieren Mutti? Ich kapiere das nicht, wenn ich mich auch freue, dass Johann bei uns ist.“
„Klaus, jetzt ist endgültig Schluss, höre mit der ewigen Fragerei auf und schlafe süß.“ Sie küsste mich auf die Stirn, deckte mich zu und ich musste nun sehen, wie ich mit diesem Sack von Fragen zurechtkam.
Mitten in der Nacht erschrak ich zu Tode. Auf dem Gang hörte ich, wie jemand barfuß in äußerster Angst an das Gangende rannte und immer schrie. Das Schreien war für mich unverständlich – es klang so hart und fremdartig, mit schriller Stimme. Ich hatte große Furcht und rief Mama, welche sofort senkrecht im Bett saß und mit Bestürzung in der Stimme sagte: „Pst, Pst, das ist etwas Gefährliches.“ Dann ging sie aber doch hinaus – ich hinter ihr her, indem ich mich hinten an ihr Nachthemd klammerte. Sie versuchte mich mit der Bemerkung abzuschütteln: „Klaus, geh sofort ins Bett, das ist alles viel zu gefährlich für dich.“ Auf dem Gang war es stockdunkel. Mama versuchte eine Taschenlampe anzuschalten. Ihr Licht war aber zu duster, als dass man etwas erkennen konnte. Da rief Opa: „Mach doch mal Licht, Gretel, bei dir ist doch der Schalter, gleich nach dem Fenster hinten.“
Mama schaltete und es wurde einigermaßen hell. In einer Art Nachthemd, es sah eher aus wie ein dickes Kleid, stand Natascha da, schrie laut und zitterte am ganzen Körper. Mutti versuchte sie zu beruhigen – es gelang nicht. Dann gingen die Frauen, Tante Friedel und Tante Erika waren inzwischen auch da, in das Zimmer von Natascha, das heißt den Besenschrank. Dort schrie Natascha immer: „Tam, Tam, Tam.“ Sie war ganz weiß im Gesicht und hörte nicht auf zu brüllen. Meine Mutti nahm Nataschas linke Hand, Friedel nahm ihre rechte Hand, drückten, jeder von seiner Seite, ihren Kopf an Nataschas Kopf und sprachen mit Engelszungen: „Mädchen, sei ruhig – wir sind hier bei dir – ganz ruhig, ruhig. Wir helfen dir doch. Was ist denn passiert, warum schaust du denn immer auf die eine Stelle?“
Friedel nahm ihren Zeigefinger und wies in die Richtung, wo Natascha hingezeigt hatte. Sie ging mit ihrem Zeigefinger immer näher zur Wand. Wenn es irgendwie nach Ansicht Nataschas falsch war, rief sie: „Njet, Njet.“ War es die richtige Richtung, rief sie: „Da, Da, Da.“ Das Spielchen ging so eine ganze Weile, bis Tante Friedels Finger an die Schnittstelle zwischen Fußboden und senkrechter Wand an eine bestimmte Stelle kam. Da wurde Natascha ganz wild und schlug beide Hände vors Gesicht. Mutti und Tante Friedel beratschlagten: „Was kann denn das nur sein, Gretel? Was denkst denn du?“ Ich hing immer noch an Muttis Nachthemd in Höhe ihres Popses, wobei ich mich nur noch mit der rechten Hand festhielt. An der Stelle, die Tante Friedel zeigte, sah ich eine kleine dunkle Stelle: „Seht ihr da nicht das kleine schwarze Loch?“ Sie wisperten miteinander eine ziemlich lange Zeit und verkündeten dann vollkommen aufgelöst und erregt: „Das ist doch nur ein Mauseloch, so schlimm ist das gar nicht, Natascha. Du kannst beruhigt wieder ins Bett gehen.“
Die blutjunge Russin wurde auch tatsächlich ruhiger. Sie streichelten sie ständig, ihr Zittern am ganzen Körper hatte fast aufgehört. Ich dachte schon, nun wäre alles überstanden. Übrigens, ich fror ganz jämmerlich. Also wollte ich die Sache beschleunigen und sagte: „Legt doch Natascha einfach wieder ins Bett, damit endlich Ruhe wird. Ich will wieder schlafen gehen.“
„Ach, der Junge ist ja auch noch hier. Klaus geh sofort ins Bett, es ist viel zu kalt und zu aufregend.“ Ich ging hinaus, schlunzte aber durch einen Türspalt noch hinein. Die beiden versuchten, Natascha ins Bett zu bringen. Da passierte etwas Furchtbares – Natascha fing wieder an, am ganzen Körper zu zittern, schrie noch mehr als vorher und rannte barfuß an das andere Ende von dem unheimlich langen Flur. Mama sagte: „Uns bleibt hier nichts weiter übrig – Natascha kommt mit zu Klaus und mir ins Zimmer, sonst ist die Nacht rum. Das junge Mädchen hat eine derartige Furcht, wir müssen dem einfach Rechnung tragen.“
Da sahen die beiden, was das erneute Chaos verursacht hatte. Eine Maus raste in der Besenkammer hin und her und da Opa in der Nähe des Mauseloches stand, war ihr der Rückzug versperrt. Sie jagte auf den Gang hinaus und verschreckte die arme Tascha vollends. Opa rannte in dem dusteren Licht mit einem langen Besen in der Hand hinter ihr her und wollte sie erschlagen. Jetzt wurde Tante Friedel energisch: „Jetzt ist Schluss! Opa, du hörst mit der Jagd nach der kleinen Maus sofort auf! Wir müssen jetzt zur Ruhe kommen!“ So wurde es dann auch. Opa schleppte den Strohsack in unser Zimmer, Friedel brachte Laken und Kopfkissen und Mutti die zwei Decken. So langsam aber sicher trat Ruhe ein.
An dieser Stelle drängt es mich, einen zeitlichen Vorgriff vorzunehmen. Als das Erntefest nahte, kam auf uns alle ein absolutes Chaos zu. Das Haus wurde auf den Kopf gestellt und der Hausputz blühte. Unter anderem wurden die Strohsäcke auf den Hof geschleppt, sie sollten eine neue Füllung bekommen. Also wurde das alte Stroh herausgeschüttet – bei Nataschas Strohsack kam, außer dem alten Stroh, ein Nest mit kleinen, nackten Mäusen zum Vorschein.