Rotz am Backen, Scheiß am Been - ach wie ist das Läähm scheen. Klaus Eulenberger
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Rotz am Backen, Scheiß am Been - ach wie ist das Läähm scheen - Klaus Eulenberger страница 9
Tascha schaute mit schreckgeweiteten Augen auf das Krakeele und hatte offensichtlich große Angst. „Ach, kleine Natascha, schau nur nicht so traurig. Wir sind doch alle nett zu dir, bald gibt es Abendbrot, da sehen wir uns wieder in der Stube.“ Sie ging zu Natascha hin, die mit der Gabel in der Hand immer noch auf dem Heuwagen stand und flüsterte freundlich zu ihr: „Komm her, du kleines Mädchen, beuge dich mal herunter zu mir.“
Natascha hatte unter Garantie null verstanden, aber erstaunlicherweise beugte sie sich zu Oma runter, die sie an der Hand tätschelte und die Wange streichelte: „Hab nur keine Angst, Kleine, es ist doch alles gut. Wir haben dich doch auch lieb.“
Ich fand den immer wieder aufkommenden Streit mit Tante Erika nervend und aufregend – er vergiftete unser nettes Miteinander. Innerlich war ich ganz stark auf Friedels und Omas Seite, denn zur Tante Erika hatte ich keinen Kontakt und sie schien darauf auch keinen Wert zu legen. Ich wusste, dass Lothar die gleiche Meinung hatte: „Klaus, die Erika kann mir gestohlen bleiben, die ist einfach gegen mich, zieht immer ein langgezogenes Miesepeter-Gesicht. Da bekommt man richtig Schiss vor ihrer schlechten Laune.“
Nach dem Abendessen sagte Mutti zu Oma: „Du, Mutti, ich habe etwas mit dir zu besprechen. Können wir das gleich hier in der Stube tun? Mir wäre lieb, wenn der Klaus gleich dabei sein könnte, da ich ihm, im Anschluss, noch etwas zu sagen habe.“
Als ich das hörte, war mir sofort klar, dass ich wieder eine Reformande verpasst bekomme. „Mutti, können wir das nicht morgen erledigen?“
„Nein, gleich im Anschluss!“
Unsere Stube bestand aus zwei sehr großen Räumen. In dem einen aßen wir und der andere war mehr als gemütliche Wohnstube mit weichen Lehnsesseln, weichem Sofa und niedrigem Tisch eingerichtet. Von der Essstube ging man durch einen breiten Durchgang in eben diesen Teil. Hier fand die Geheimberatung statt. Ich kannte das schon, weil Mama, wenn sie mal ein ernstes Problem mit mir hatte, und das war relativ häufig, mich immer in die gleiche Ecke mitschleppte, um mit mir zu reden und zwar so, dass es niemand mitbekam.
Nachdem das Abendbrot vorbei und alle hinausgegangen waren, fragte sie: „Denkst du, dass wir es verantworten können, dass der Johann mit dem Wittasch, Erhart in unsere zerbombte Wohnung in Chemnitz fährt, um dort noch Verwertbares zu holen?“
„Was, meinst du den Wittsch – den Mörder? Das meinst du aber nicht im Ernst? Der hat doch einen so schlechten Ruf im Dorf. Am Ende passiert noch irgendetwas.“
„Aber Oma, der Wittasch ist ein ganz passabler Mensch. Das, was man über ihn spricht, glaube ich einfach nicht. Für mich ist er kein Mörder. Die Verhandlungen waren und er wurde freigesprochen – Punkt um!“
„Muss es denn gerade däääär sein – wer weiß, was die Leute über uns dann reden.“
„Oma – es ist weit und breit der einzige, der ein Auto hat. Er hat doch den ‚F7‘ mit der Holzkarosse. Auf alle Fälle hat der einen großen Laderaum und der Mann ist auch durchaus beweglich und intelligent. Für mich ist das größere Problem, dass der Johann als Kriegsgefangener unser Gut nicht verlassen darf. Du musst dir aber mal überlegen – wir haben fast alles verloren. Nachdem, was ich gesehen habe, ist das Bad vollkommen zerstört, die Schlafstube auch, aber aus Vorsaal, Küche und Stube könnten wir noch etwas holen. Der Herbert und ich – wir haben ja fast gar nichts mehr, außer dem, was wir auf dem Leibe tragen. Ich bin einfach der Meinung, wir müssen es riskieren.“
„Meine liebe gute Gretel“, Oma hatte Tränen in den Augen und drückte ihre Große liebevoll, „ich stimme ja zu, auch wenn das Risiko hoch ist und es schwerfällt, zuzustimmen. Auf alle Fälle musst du dem Wittsch …“
„Sag doch nicht immer Wittsch, Oma – das macht mich noch ganz krank.“
„Auf alle Fälle musst du dem, na du weißt schon, eine Vollmacht mitgeben, dass er berechtigt ist, in der Grenadierstraße 6 in Chemnitz im ersten Stock nach verwertbaren Dingen zu suchen und deine eidesstattliche Erklärung, dass du der Wohnungsmieter bist und zur Sicherheit noch, dass du im Gemeindeamt Kleinwaltersdorf arbeitest. Das gibt dem Ganzen noch einen amtlichen Anstrich. Ach – noch etwas fällt mir ein. Du musst dem Wittsch …“
„Oma!“
„… sagen, und dem Johann übrigens auch, dass der Johann nicht reden sondern nur etwas zeigen, darf. Sonst merken die, dass er ein Ausländer und etwas faul ist.“
„Ja, Mutti, so machen wir das. Es ist alles schon sehr kompliziert und schwer – hoffentlich kommt mein Herbertl bald von der Front zurück oder der elendige Krieg ist bald vorbei.“
„Bravo, meine Große, so habe ich dich doch noch nie reden gehört, der Krieg ist eine Schande für unser gesamtes Land.“
„Pst, lass das nur nicht unsere Volksgenossen hören. Ich habe da manchmal richtig Angst bei dir, Oma.“
„Na ja, Gretel, ich bin ja auch nicht im Bund deutscher Mädchen gewesen, wie du. Ich kann ja mal meine Meinung frei und offen sagen.“
„Oma, du wirst dich nie ändern.“
Nachdem dies nun abgearbeitet war, kam ich an die Reihe. Mir war schon ganz schön mulmig zu Mute. Zunächst einmal kam der Vorfall mit der am Leiterwagen eingespannten Ziege und dem kleinen Unfall an die Reihe: „Lothar und du, ihr habt überhaupt kein Recht, eigenmächtig so etwas zu tun. Ihr könnt nicht einfach die Ziege einspannen und damit losgehen. Da braucht es etwas Erfahrung und das richtige Geschirr – das wird euch der Johann schon noch zeigen. Außerdem dürft ihr nicht einfach mit dem Handwagen ins Dorf fahren. Das ist viel zu gefährlich. Also nochmals Klaus, wenn ihr das Gut verlassen wollt, müsst ihr mich oder Oma oder Friedel fragen. Anders geht das ganz einfach nicht. Hast du das nun endlich verstanden und wirst du dich danach richten?“
„Ja, Mama, das werde ich.“ Es war überstanden. Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass sie, wenn ich immer gegenhielt, superzornig wurde und ich nur das Gegenteil erreichte.
Am nächsten Tag kam der Wittsch mit seinem F7 in den Hof gerollt. Am Abend zuvor hatte Mutti, nach der Reformande an mich, zusammen mit Oma, ein Sechsaugengespräch mit Johann geführt und dieser hatte zugestimmt, zusammen mit dem „Mörder“ nach Chemnitz zu fahren.
Der Herr Wittasch stieg aus dem Auto aus – er war relativ klein, stark übergewichtig mit ziemlich dickem Bauch, welcher durch ein Sakko eingehüllt wurde. Neugierig schaute ich hin und überlegte mir: „Das Sakko ließe sich niemals über diesem dicken Bauch schließen, der Knopf hätte keine Chance in das Knopfloch zu gelangen.“ Auf seinem fast kahlen Schädel war nur ein Haarkranz sichtbar, seine Schiebermütze war verrutscht und saß auf Pfiff auf einer Seite. Mutti war sofort da und rief: „Sagt bitte sofort dem Johann Bescheid – das Auto ist da.“ Nach kurzer Zeit kam auch Johann und wurde dem Autofahrer vorgestellt. Als Johann die etwas verschobene Figur des Herrn Wittasch mit Gehstock sah, schien es mir, als wenn er schmunzeln würde, sein schwarzes Menjoubärtchen zuckte belustigt. Danach wurden ein großer, offener Pappkarton und drei Holzkisten (die schönen Plastikkästen von heute gab es ja damals noch nicht) in den hinteren Teil des Autos hineingelegt.