Das Lied der Grammophonbäume. Frank Hebben

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Lied der Grammophonbäume - Frank Hebben страница 2

Das Lied der Grammophonbäume - Frank Hebben

Скачать книгу

recht, Misses Parry.« Constable Johnson klopfte sich Dreck von den Knien, ehe er seine Hacke aufnahm. »Wenn Sie Fragen haben sollten, wissen Sie ja, wo Sie uns finden.«

      Neue Erde flog mir entgegen.

      *

      Ich ging an der Grube vorbei, ohne hineinzublicken, runter zum See. Am Ufer setzte ich mich auf einen Stein und verfolgte, wie Wind und Regen die Oberfläche kräuselten – Tropfen, dann Kreise im Wasser. Meine Röcke waren klamm geworden, und ich fror und zitterte, als eisige Böen durch die Weiden jagten. Dennoch wich der Schwindel, und ich konnte freier atmen, Gerüche von Algen und Schlick in meiner Nase.

      Langsam schloss ich die Augen, und meine Gedanken wanderten; und so ließ ich es zu, dass grausige Bilder wieder Gestalt annahmen, die ich schon lange verdrängt zu haben glaubte – ein Gefühl, als würde ich jählings in die Tiefe stürzen: Um mich herum verfinsterte sich alles, die Bäume, der See, das Haus zu meiner Rechten, bis alles in Nacht versank, mondlos, mit schwarzen Wolken am Himmel.

      Ich höre ihn graben, hinter mir; das Scharren seiner Schaufel, die wieder und wieder ins Erdreich sticht, metallisch klirrend, wenn die Spitze auf Steine trifft. Er summt eine Melodie von Schubert; ich versuche, sie auszublenden, indem ich mich auf das Brausen des Windes konzentriere, doch es gelingt mir nicht – seine Stimme klingt in meinem Kopf, hallt nach wie der dumpfe Laut des Körpers, als er in der Grube aufschlägt. »Wenn du mir helfen würdest, Alice, wär es bereits getan!«

      Meine Gedanken rasen; ich wage nicht, mich umzudrehen. »In meinem Rücken kannst du tun, was du nicht bleiben lassen kannst – helfen werde ich dir nicht.«

      »Mein Engel«, ruft er, und mich schaudert, »warum willst du es nicht begreifen?« Ich höre, dass er näher kommt, seine festen Schritte im Gras. »Sprich mit mir, Alice.«

      »Reicht es dir nicht, dass ich dulde, was du tust? Du kannst doch nicht noch mehr verlangen!«

      Er ist heran gekommen, ich höre ihn keuchend atmen. »Lass mich«, schreie ich, als er seine eiskalten Finger auf –

      Die Schwärze zerbrach, graues Tageslicht.

      Ich starrte in Eveline Suthers Augen, eine Hand hatte sie mir auf die Schulter gelegt. »Was ist mit dir«, fragte sie mich besorgt. »Wir haben dich schreien gehört.«

      »Ich, ich habe …«, stotterte ich.

      »Geht es dir gut?« Eveline schaute mich an. »Beim Herrn, du zitterst am ganzen Leib.«

      *

      »Besser, wir bringen Sie in die Pension zurück«, schlug mir Jason Suther vor, nachdem Eveline mich zur Grube geführt hatte. »Bei diesem Wetter erkältet man sich leicht, Misses Parry. Sie müssen dringend Ihre Kleider wechseln.«

      »Wo ist denn Ihr Regenschirm?« Constable Johnson grub weiter, ohne aufzusehen. »Haben Sie keinen, Misses Parry?« Selbst bei dieser belanglosen Frage war sein Tonfall forschend; ich sah weg.

      »Misses Parry?«, wiederholte er.

      »Ja doch«, zischte ich überreizt und strich mein Haar beiseite. »Hören Sie, bevor ich gehe, muss ich mir die Schäden im Haus ansehen – allein.«

      »Das hat doch bis morgen Zeit, Misses Parry.« Erneut spürte ich Evelines Hand auf meiner Schulter.

      »Es geht mir gut, glauben Sie mir.« Ich versuchte ein Lächeln, als ich mich umdrehte. »Nur scheinen mir hier draußen Schwimmhäute zu wachsen.«

      Ein artiges Lachen; sie nickte. »Ja … das geht wohl jedem von uns so.«

      »Es wird nicht lange dauern«, versprach ich und ließ die anderen stehen.

      Von hinten hörte ich Jason Suther flüstern: »Scheint sie alles sehr mitzunehmen, einer von uns sollte in der Nähe von ihr bleiben.«

      »Tun Sie das, Mister«, sagte der Constable halblaut, aber der Wind trug seine Worte herbei. »In einer Viertelstunde kommen wir nach.«

      *

      Rasch beschleunigte ich meine Schritte, an der Rückseite des Hauses entlang zum Ostflügel. Jedes zweite Fenster war zerbrochen, manche der Scherben steckten noch im Rahmen, andere lagen im Gras verstreut – es knackte laut, wenn ich gedankenverloren auf eine drauftrat. Ein Riss im Mauerwerk hatte meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, armlang und zwei Finger breit; haarfeine Verästelungen gingen von ihm ab wie Wurzeln.

      Mir stockte der Atem; die Unwetter, die Regengüsse, mussten tatsächlich das Fundament unterspült haben, sodass ein Teil des Gebäudes abgesackt war. Wie war das möglich gewesen, der Keller lag tief. Und wenn innen – oh, nicht auszudenken!

      Ich hastete weiter, rannte zur Stirnseite. Der Himmel über dem Anwesen strahlte jetzt in rostroten Tönen, das Grau war gewichen, und alles wirkte überhell, obwohl die Sonne verborgen blieb. Ich spürte die Tropfen kaum, die auf mein Gesicht nieselten, als ich an Säulen und Regentraufe vorbei zum Dach hochstarrte – geblendet vom Licht.

      Etwas schien die Wolken wie ein Strudel zurückzuziehen, wobei die Front des Hauses mehr in den Vordergrund rückte; die Fenster, die Tür blähten sich auf, ich konnte sogar das Namensschild lesen: Parry Manor, die Buchstaben von gelben Flechten bedeckt. Und dann hörte ich sie wieder, die Schreie, die mich schon so lange in meinen dunkelsten Träumen heimsuchten.

      Mir wurde übel, ich taumelte.

      Die Beine sackten mir weg.

      *

      Wie lange ich im Schlamm auf den Knien gelegen hatte, weiß ich nicht mehr, wenige Sekunden vielleicht, doch wie aus tiefer Trance stand ich schließlich auf, ordnete meine Röcke, ehe ich die Stufen des Hauses empor stieg. Die Tür war nicht verschlossen, so öffnete ich sie und trat ein.

      Leer – ein dunkler Flur, von Schatten durchzogen. Ich konnte die blassen Flecken auf der Tapete ausmachen, dort, wo unsere Gemälde gehangen hatten, Landschaftsbilder und Ruinen von Dartmoor. Seitlich die Umrisse zweier Türen, zum Salon, zur Küche; und am Ende die Wendeltreppe.

      Nur langsam tastete ich mich an den Wänden entlang, setzte einen Fuß vor den anderen. Mein Atem ging schnell, ich keuchte. Noch drei Schritte, zwei, und ich hatte die erste Tür erreicht.

      Ich öffnete sie.

      Auch der Salon war leergeräumt, allein der Sekretär stand noch am Fenster; jemand hatte ein Laken drübergeworfen, dessen Saum sich im Luftzug wellte. Dort hatte Paul abends gesessen, stumm über seine Forschungspapiere gebeugt – Auswertungen, neue Versuchsreihen; bis tief in die Nacht bereitete er sich auf seine Arbeit im Laboratorium vor.

      Widerstrebend trat ich näher. Im Schatten glaubte ich, seine gekrümmte Statur zu sehen, seinen Kittel, seine Schultern, sein sprödes Haar, das ihm auf den Rücken fiel.

      Ich höre ihn atmen, keuchen; nein, unmöglich – das kann nicht sein.

      Da bewegt sich etwas.

      Er dreht sich um, und ich sehe seine Wangen, farblos, ausgehöhlt, sein Gesicht, seine Lippen, oh, diese furchtbaren Lippen! Und plötzlich die Schreie; sie dringen aus dem Boden, hallen durchs Zimmer – Schreie von Tieren, Menschen, die er vom

Скачать книгу