Moderationstraining. Eckart D. Stratenschulte
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9. Ärgern Sie sich nicht über Störungen, sondern nehmen Sie sie souverän als Herausforderung!
10. Verlassen Sie die Veranstaltung nicht sofort nach dem offiziellen Ende, sondern stehen Sie noch für Gespräche zur Verfügung!
1. KAPITEL
Das Ziel der Veranstaltung
Niemand organisiert eine Talk- oder Diskussionsrunde, um „nur mal darüber zu reden“, jeder Veranstalter verfolgt damit eine Absicht. Als Moderator sollte man diese Absicht kennen, andernfalls kann man kräftig daneben tappen.
Bei allen Podiumsdiskussionen gibt es neben den offiziellen Zielen auch inoffizielle. Das ist ja immer so, wenn Menschen miteinander in Kontakt treten. Wenn Kollege A der Kollegin B im Betrieb öffentlich zum Geburtstag gratuliert, will er ihr einen Glückwunsch aussprechen (offizielles Ziel), er will ihr aber vielleicht auch gefallen oder den anderen zeigen, dass er ein besserer Redner ist als die Herren C und D, er will vielleicht demonstrieren, dass er im Team der primus inter pares ist und deshalb die Glückwünsche von ihm übermittelt werden. Das alles sind mögliche inoffizielle Ziele – und die spielen immer eine Rolle, oftmals sogar die entscheidende.
Bei organisierten Diskussionen ist das nicht anders: Eine Partei will ihre Positionen unters Wahlvolk bringen, die Europäische Union will zeigen, was sie Gutes für die Menschen tut, ein Unternehmen möchte auf die segensreiche Wirkung eines neuen Produkts hinweisen (und dieses auch verkaufen), ein Verlag möchte eine Autorin bekannt machen, na und so weiter. So werden Podiumsdiskussionen über ein Sachthema oftmals angesetzt, um einer bestimmten Person, beispielsweise aus der Politik, ein Forum zu bieten. Mag sein, die besagte Person will sich bald in einem Wahlkampf um ein Parlamentsmandat bewerben und sich bekannt machen, mag sein, sie möchte sich in einem innerparteilichen Machtkampf positionieren. Es kann auch darum gehen, einen Ort zu profilieren, indem dort etwas stattfindet – und dabei ist dann ziemlich egal, worum es sich handelt, Hauptsache es zieht Publikum und eventuell die Presse an. Das alles ist völlig legitim.
Als Moderator sollte man diese Ziele aber kennen und einschätzen können, in welchem Spannungsverhältnis das offizielle und das inoffizielle Ziel stehen und was für die Veranstalter wie (ge)-wichtig ist. Leicht erkennbar ist das, wenn eine politische Stiftung eine Podiumsdiskussion zu einem aktuellen Thema anbietet und einer der Podiumsteilnehmer ein Abgeordneter der Partei ist, der die Stiftung politisch verbunden ist. Die Vermutung liegt nahe, dass es der Stiftung nicht (nur) darum geht, ein bestimmtes Thema in die öffentliche Diskussion zu bringen, sondern vielmehr, den Kandidaten zu positionieren. Es kann auch die Absicht der Veranstalter sein, eine bestimmte inhaltliche Position zu bewerben.
Der Moderator hat in der Regel auf die Zielformulierung keinen Einfluss. Er wird vielmehr „eingekauft“, wenn die Veranstaltung mehr oder weniger vollständig geplant ist. Er wird allerdings bei seiner Moderation sowohl die offiziellen als auch die oftmals wichtigeren inoffziellen Ziele im Auge haben müssen, wenn seine Moderation erfolgreich sein soll. Erfolgreich in diesem Sinne ist sie, wenn sowohl das Publikum, das eine bestimmte inhaltliche Erwartung hat, als auch der Veranstalter, der eben mehrere Ziele im Blick hat, das berechtigte Gefühl haben, dass ihren Interessen entsprochen worden ist.
Die Analyse der Ziele beginnt für den Moderator ganz simpel damit, etwas über die Veranstalter herauszufinden. Das ist bei den Parteien oder den politischen Stiftungen sehr einfach, aber auch bei allen anderen Organisationen möglich. Bevor man sich mit ihnen direkt in Kontakt setzt, sollte man die allgemein zugänglichen Quellen anzapfen, was in der Regel eine kleine Internetrecherche bedeutet. Auch ein Herumfragen im Bekannten- und Kollegenkreis kann hilfreich sein: Kennt jemand die Prometheus-Stiftung? Wer steckt dahinter? Wer finanziert sie? Wer sitzt im Vorstand, im Kuratorium, im Beirat? Daraus lassen sich Schlüsse auf die politischen oder materiellen Interessen des Veranstalters ziehen. Hierzu ein – verfremdetes, aber reales – Beispiel: Da widmet sich ein gemeinnütziger Verein der Verbesserung der Wohnverhältnisse in einem Teil Europas. Zu diesem Zweck organisiert er Seminare und Konferenzen. Die Mitglieder sind, der Internetseite des Vereins zufolge, Experten für die Bereiche Wohnungswirtschaft, Technik, Energiewirtschaft und Banken- und Versicherungswesen. Das ist sicherlich verdienstvoll, aber ist es die ganze Wahrheit? Die Internetrecherche zeigt, dass der Verein professionell aufgestellt ist, er verfügt über eine Geschäftsstelle und über Personal. Wer sind die Geldgeber? Abgesehen davon, dass der Verein sich um öffentliche Mittel bewirbt, hat er Unternehmen der Wohnungswirtschaft als Finanziers, die verständlicherweise ihr Know-how in andere Länder verkaufen wollen. Das ist in keiner Weise anrüchig oder unehrenhaft. Wenn dieser Verein jedoch Diskussionsveranstaltungen durchführt, wird er die materiellen Interessen seiner Förderer im Auge haben müssen. Diese Interessen wiederum können unterschiedlicher Natur sein: Mindestens ein Diskutant wird Lösungen vorschlagen, die den Verein tragende Unternehmen „zufälligerweise“ anbieten, oder: Ein Diskutant bzw. seine Firma sollen in der Veranstaltung als besonders kompetent positioniert werden, vielleicht auch: Der Inhalt der Veranstaltung dient nur dazu, die richtigen Leute zusammenzubringen.
Wenn Sie sich vorher kundig machen, vermeiden Sie auch, dass Sie einem obskuren Verein aufsitzen, der vielleicht einen Allerweltsnamen trägt, aber eine Ideologie vertritt, mit der Sie nicht in Verbindung gebracht werden wollen. Nehmen Sie als Beispiel den Titel „Junge Freiheit“. Gegen Jugend und Freiheit kann man ja eigentlich nichts haben. Im konkreten Fall verbirgt sich dahinter jedoch eine Zeitschrift aus dem sehr rechten Spektrum, mit der man nicht in einem Atemzug genannt und für die man nicht als „nützlicher Idiot“ eingespannt werden möchte.
Apropos: Natürlich muss ein Moderator sich nicht mit dem Veranstalter identifizieren oder eine besondere Nähe zu ihm haben. Wer eine Diskussion der SPD moderiert, muss nicht Genosse sein, und wer eine Debatte bei der Sparkasse leitet, darf sein Konto auch bei einer anderen Bank haben. Aber es gibt auch Spinner und Extremisten, die sich gerne mit „bürgerlichen Namen“ schmücken, um sich so salonfähiger zu machen. Daher Vorsicht: Mit dem guten Ruf eines Moderators ist es wie mit dem guten Ruf generell. Er ist schneller zerstört als aufgebaut.
Bevor man also als Moderator „in den Ring“ steigt, sollte man – durchaus auch im Gespräch mit dem Veranstalter – klären:
1. Wer ist der Veranstalter?
Was sind seine generellen Ziele?
Was ist seine „Philosophie“?
Das geht heute im Allgemeinen recht leicht. Meistens gibt es eine Selbstdarstellung auf der Website der Organisation (, ,Über uns“), oftmals auch ein – allerdings immer sehr allgemein formuliertes – Leitbild. Aufschluss geben auch die Veröffentlichungen und die sonstigen, im Netz dokumentierten Ereignisse.
Allerdings sollte man sich nicht allein auf die Angaben des Veranstalters beschränken, sondern seinen Namen in eine Suchmaschine eingeben, wodurch man noch einmal einen anderen Blick erhält. Manchmal ist die Position des Veranstalters auch allgemein bekannt. Nehmen wir ein Beispiel: Wenn die Katholische Kirche eine Diskussion über die Abtreibung organisiert, geht es ihr nicht darum, das Pro und Contra einer Abtreibung aufzulisten, um die Teilnehmerinnen der Diskussion anschließend mit einer „Checkliste“ nach Hause zu schicken, anhand deren sie sich dann für oder gegen eine Abtreibung entscheiden. Die Katholische Kirche positioniert sich sehr stark gegen die Abtreibung. Sie wird also die Diskussion nutzen, gegen Abtreibungen zu argumentieren, um Menschen auch in diese Richtung zu beeinflussen. Wer