Weiberröcke und Leichen. Hans-Hermann Diestel
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„Seemannschaft“, die Unfälle beim Betreten eines Feederschiffes geradezu herausfordert
Im Zusammenhang mit dem Untergang des ehemaligen DSR-Lehr- und Ausbildungsschiffes GEORG BÜCHNER in der Danziger Bucht sprach ein Rostocker Schifffahrtsexperte davon, dass einer der Gründe für den Untergang des Schiffes mangelnde Seemannschaft gewesen wäre. Nun müssen sich auf einem zu verschleppenden toten Schiff durchaus keine Seeleute befinden, und dort, wo keine Seeleute sind, kann es beim besten Willen auch keine Seemannschaft geben. Welch grausame Auswirkungen das Fehlen des unbedingt erforderlichen seemännischen Könnens hat, bewies die Kollision des Hamburger Vollschiffes MARGRETHA mit dem norwegischen Dampfer MASCOT am 13. März 1909. Das Seeamt Hamburg schrieb in seinem Spruch: „Nach der Kollision haben die neun Seeleute der ‚Margretha‘, welche sich in das Steuerbordrettungsboot begeben hatten, einen hohen Grad von Kopflosigkeit und Mangel an seemännischen Eigenschaften gezeigt, indem sie es versäumt haben, den an Bord Zurückgebliebenen und später mit dem Schiff Untergegangenen, insbesondere der Frau und dem Kind des Kapitäns, nach Möglichkeit Hilfe zu bringen … Inzwischen eilte der Kapitän mit seinem Kinde wieder an die Reling und bat nochmals die Leute in dem nahen Boot, doch wenigstens sein Kind zu retten. Die in dem Boot befindlichen neun Leute haben dann auch nach ihrer nicht widerlegten eidlichen Aussage den ernstlichen Willen gehabt, an die Schiffsseite heran zu manövrieren, um das Kind aufzunehmen, haben auch gerufen: ‚Wir kommen!‘ Es gelang ihnen aber nicht, das Boot an das Schiff heranzubringen, da sie in ihrer Kopflosigkeit auf der einen Seite mit drei, auf der anderen mit einem Riemen ruderten und niemand mit einem der noch vorhandenen Riemen steuerte. Das Boot drehte sich daher im Kreise und es verging kostbare Zeit, während welcher die ‚Margretha‘ sich so mit Wasser füllte, dass ihr Sinken und Kentern jeden Augenblick bevorstand. Schließlich gaben die Bootsleute ihre Versuche, an das Schiff zurückzurudern, auf und flüchteten, um nicht in den Sog des sinkenden Schiffes hineingezogen zu werden … Vollends unbegreiflich erscheint aber das Verhalten dieser neun Leute, nachdem die ‚Margretha‘ untergesunken war. Trotzdem sie wussten, dass acht Menschen an Deck gewesen waren, welche jetzt im Wasser um ihr Leben rangen, haben sie ihr Boot, wie sie zugeben, einen Augenblick treiben lassen und sind dann, da sie keine Hilferufe hörten, fortgerudert.“
Bei der Hamburger Bark APOLLO befand sich die Seemannschaft, vor allem die Schiffsführung, auf keinem höheren Niveau. Der Kapitän wurde von der Reederei völlig zu Recht zum Ersten Offizier degradiert. Vielleicht ist ihm in einer ruhigen Minute der Spruch unserer Vorfahren En Schipp oewer See to bringen, dor hüürt väl to eingefallen. Seine Seemannschaft reichte jedenfalls dafür nicht aus. Die erst acht Jahre alte Bark brachte auf einer außerordentlich langen Reise von 192 Tagen Kohle von Sunderland nach Valparaiso. Am 19. Dezember 1885 versegelte sie nach Tonala am Golf von Tehuantepec. Unterwegs übernahm sie in Callao noch 300 t Steine als Ballast, die weder durch Längs- noch durch Querschotten gesichert waren. So etwas konnte nur ein außerordentlicher Dummkopf oder ein Lebensmüder machen. 260 sm vor dem Bestimmungsort warf der Erste Offizier eigenmächtig Ballast aus der sich an Backbord befindenden Ballastpforte. Wenn es dunkel wurde, schloss der Erste sie, dichtete sie aber nicht ab. Dadurch drang Wasser ein und der Ballast ging über. Erst nach drei Wochen wurde die Pforte wieder abgedichtet. Am 13. Januar hatte man sich bis auf 80 sm Tonala genähert, wurde aber durch flaue Winde abgetrieben. Am 25. Januar sichtete man zum ersten Mal die Küste und am 30. hatte man sich bis auf sechs Seemeilen dem Ziel genähert. Der Wind frischte auf und am 4. Februar waren es sieben bis acht Seemeilen bis Tonala. Am nächsten Tag hatte man sich dem Land so weit genähert, dass das Schiff mit einem Boot davon wegbugsiert werden musste. Am 7. Februar stürmte es, der Ballast löste sich. Das Schiff wurde vor den Wind gebracht und war am 8. Februar über 260 sm vom Ziel entfernt. Als sich Sturm und See legten, wollte man Acapulco zur Reparatur anlaufen. Nachdem der Kurs für kurze Zeit geändert worden war, wollte der Kapitän auf einmal Guayaquil ansteuern. Er wollte wohl unbedingt Napoleons Spruch Das Schlimmste in allen Dingen ist die Unentschlossenheit bestätigen. Mit NO-Wind segelte man nun nach Süden. Es setzte der S-Passat ein und der Kapitän segelte mit ihm bis zum 22. Februar nach Südwest. Dann entdeckte die Besatzung, dass die Wassertanks leck gesprungen waren. Da sie befürchtete, dass das Wasser knapp werden könnte, wurde der Kurs nach Hawaii abgesetzt, wo man am 24. März in Honolulu einlief. Die Besatzung hatte die Nase endgültig voll und verweigerte die Weiterreise. Das wurde damals als Meuterei eingestuft, woraufhin der Konsul die gesamte Mannschaft ins Gefängnis brachte. Die Mannschaft begründete ihre Haltung damit, dass der Schiffer Groth nachts nicht an Deck gewesen wäre, der Erste häufig auf seiner Wache geschlafen hätte usw. Irgendwann kamen die „Lords“ wieder aus dem Gefängnis, was einige nutzten, um zu desertieren. Ein amerikanischer Kapitän brachte das Schiff nach San Francisco, wo es ein neuer, von Hamburg geschickter Kapitän übernahm. Der vorherige „Alte“ blieb als Erster Offizier an Bord und der vorherige Erste wurde gefeuert. Nicht umsonst hatte Harry Morton in seinem Buch „The Wind Commands“ geschrieben: Genaue Navigation war für den Tiefwasser-Seemann auf allen Ozeanen wichtig. Aber auf dem Pazifik war sie durch seine Größe, die selbst die Breite des Atlantik unbedeutend erscheinen lässt, lebenswichtig. Aber selbst auf dem weniger großen Atlantik konnten die Seeleute böse Überraschungen erleben. 1957 berichteten die Schifffahrtszeitungen „De Zee“ und „Hansa“ über einen ungewöhnlichen Seeunfall. Im Februar 1956 strandete ein neuer Tanker rund 200 sm von seinem Loggeort. Hätte sich die Besatzung an den Spruch Der Pessimismus der Überlegung ist die Vorbedingung zum Optimismus der Tat gehalten, wäre ihr zweifellos in den Sinn gekommen, dass ein Kompass versagen kann. Dagegen hilft immer die optimistische Tat der Kompasskontrolle, die der Kapitän angewiesen, die aber nicht einer seiner drei Wachoffiziere durchgeführt hatte. Anscheinend kannte der Kapitän auch Lenin nicht, von dem der folgende Spruch stammen soll: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Die unterlassene Kontrolle dürfte der Kapitän bereut haben. Das Schiff verließ den Delaware River und begab sich auf die Reise nach Südamerika. Gegen Mittag wurde letztmalig ein Schiffsort festgestellt und das Schiff auf den Kurs von 118 Grad eingesteuert. Zehn Minuten später gab es in der Übertragung der Signale vom Mutter- auf die Töchterkompasse eine unbemerkt gebliebene Unterbrechung. Nach einer Viertelstunde setzte die Übertragung, ebenfalls unbemerkt, wieder ein. Der Rudergänger hatte zwar mit Verwunderung bemerkt, dass das Schiff die ganze Zeit eisern auf dem Kurs von 118º lag, dies aber nicht seinem Wachoffizier gemeldet. In der Viertelstunde änderte sich der Kurs des Schiffes um 111º. Die Kreiseltochter am Ruder nahm ihren Dienst mit 118º wieder auf, steuerte aber in Wirklichkeit 7º. Dieser Kurs führte sie direkt auf Fire Island, das der Insel Long Island bei New York vorgelagert ist. Am Tage hatte man durch das verhangene Wetter, das die Sonne verdeckte, die Kursänderung nicht bemerkt. In der Nacht müssen die Wachen tief und fest geschlafen haben, denn es wurde nicht vermeldet, dass die US-Küste an dieser Stelle abgedunkelt gewesen wäre. Um 1.50 Uhr in der Nacht kam dann das große Erwachen und beendete alle Träume vom schönen Südamerika.
Die Beachtung des lateinischen Seemannsspruches
Glücklich, wen fremde
Gefahren vorsichtig machen
hätte viele Seeunfälle sowohl früher als auch heute verhindern können. Außerdem haben die Seeleute nicht umsonst über Jahrhunderte das Wetter beobachtet und ihre Beobachtungen den mit Wind, Wetter und Strom beschäftigten Instituten, wie der Deutschen Seewarte von 1875 bis 1945, zugeschickt, damit diese sie verallgemeinern und den Seeleuten in Segelanweisungen und Monatskarten zur Verfügung stellten. Diese Daten, neben den aktuellen