Pflegefall – der Weg nach Hause. Gisela Schäfer
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In den ersten Wochen musste er mit Hilfe eines Lifters vom Bett in den Rollstuhl gehoben werden und umgekehrt. Das war immer ein ziemlicher Aufwand. Es war bitter für mich, mit ansehen zu müssen, wie hilflos er in den Gurten hing, wie ein Sack. Aber eines Tages beobachtete die Schwester, dass er bei der Krankengymnastik für einige Momente stehen und sogar an der Laufleiste – mit dem Therapeuten an der Seite – ein paar Schritte gehen konnte. Von da an holte sie den Lifter nicht mehr. „Das schaffen Sie alleine“, sagte sie. Es klappte tatsächlich. Nun ging alles leichter und brauchte weniger Zeit, und die anfängliche Angst, er könnte fallen, verlor sich. Bei ihm und bei mir.
Kurz darauf brauchte auch die Wundstelle am Steiß nicht mehr behandelt zu werden. Es war zwar noch eine Vertiefung zu sehen, aber sie war trocken und kein Problem mehr.
Als mein Mann so weit war, fasste ich den Plan, ihn nach Hause zu holen, näher ins Auge. Da ich keine gelernte Krankenpflegerin bin, musste ich mir einiges aneignen, sonst war ich der Aufgabe nicht gewachsen. Ich sagte niemandem etwas von meinem Vorhaben, hielt jedoch Augen und Ohren offen und schaute genau hin, wenn die Schwestern beispielsweise das Laken erneuerten, während er im Bett lag, wie sie ihn anfassten, wenn sie ihn aus der liegenden Position in die Sitzstellung brachten, wie sie ihm auf der Toilette halfen, wie sie mit dem Katheter umgingen und den Inhalator befüllten. Als ich mir sicher war, wie ich das alles anstellen musste, klingelten wir nicht mehr, wenn er Hilfe brauchte. Ich gab mich selbst daran – und alles klappte. Da wusste ich, dass ich jetzt mit den Vorbereitungen anfangen konnte.
Die Vorbereitungen
Bevor ich es ihm sagte, zog ich Erkundigungen ein, beim Arzt, bei der Krankenkasse, bei der Caritas, im Internet, bei der Pflegekasse, in einer Praxis für Physiotherapeuten. Ich überlegte mit den Kindern, wo wir am besten das Krankenbett unterbringen konnten, was wir umstellen mussten und welche Hilfsmittel nötig waren für die häusliche Pflege. Des Weiteren kam mir der Gedanke, dass ich das Wohnzimmer neu tapezieren müsste; solch eine Prozedur würde später nicht mehr möglich sein, wenn mein Mann sich dort täglich aufhielt. Als ich mir über alle Voraussetzungen klar war, habe ich es ihm gesagt: „Ich möchte dich nach Hause holen. In zwei bis drei Monaten.“ Er schaute mich mit aufgerissenen Augen an. Überraschung, Freude und Zweifel spiegelten sich in seinem Gesicht. „Meinst du, das geht?“
„Ja“, habe ich voll Überzeugung gesagt. „Dein Krankenbett kommt ins Wohnzimmer. Die Couch stellen wir nach nebenan ins kleine Zimmer, die Sessel in den Keller. Der Tisch muss mehr in die Mitte gerückt werden, dann passt das Bett an die Wand. Der Teppich kommt raus, damit besser sauber gemacht werden kann. Es ist dann Platz genug, dass du dich tagsüber an den Tisch setzen kannst.“
Noch war er nicht überzeugt, dass es klappen würde. „Wie soll das auf der Toilette gehen? Da brauche ich doch immer Hilfe.“
„Das ist kein Problem. Der Zugang ist breit genug, so dass du mit dem Rollstuhl hineinfahren kannst. Das WC erhält eine Erhöhung mit Griffen an beiden Seiten, so dass du dich festhalten kannst, und vor dem Fenster und an der Seite lassen wir eine Griffleiste anbringen, die dir Halt gibt.“
Nun strahlte er. Doch noch war da etwas, das ihm Sorgen machte. „Kannst du das wirklich alleine?“
„Wir lassen morgens die Pflege kommen. Dann wirst du gewaschen oder geduscht, angezogen und in den Rollstuhl gesetzt. Tagsüber schaffen wir alles alleine, und abends müssen wir mal sehen. Aber ich gehe davon aus, dass ich dich auch ohne Hilfe ins Bett bekomme.“
Nun lachten wir beide. Ich schlang die Arme um ihn und sagte: „Ich freue mich so.“
„Ich mich noch mehr“, erwiderte er.
Als die Möbel umgestellt waren und der Maler mit der Arbeit begann, erledigte ich zwei wichtige Gänge: Ich meldete meinen Mann im Heim ab, was die Heimleiterin offenbar sehr erstaunte. Es kommt wohl nicht allzu häufig vor, dass Bewohner wieder nach Hause geholt werden. Zweitens ging ich zur Caritas und meldete ihn dort für die mobile häusliche Pflege an. Es wurde mir zugesagt, dass täglich jemand zwischen 9 und 10 Uhr kommen würde.
Es vergingen aber noch einige Wochen, bis alle notwendigen Hilfsmittel da waren. Einen großen Rollstuhl und einen Rollator hatten wir ja schon im Pflegeheim angeschafft. Nun musste ich ihm vom Hausarzt mehrere Artikel als notwendig aufschreiben lassen und diese Verordnung bei der Pflegekasse einreichen. Nach und nach wurde alles geliefert, ein leichterer Rollstuhl (denn der Multifunktions-Rollstuhl, den er im Heim gehabt hatte, war fürs Haus nicht wendig genug), ein Toilettenstuhl, die Toilettensitzerhöhung mit Griffen, das Krankenbett, die Griffleisten fürs Bad. Letztere waren erst von der Pflegekasse abgelehnt worden; Griffe im Bad gehörten zur Grundausstattung, hieß es. Ich gab aber nicht auf. Als mein Mann schon daheim war, habe ich ihn vor den Handtuchhalter gestellt, von hinten eine Aufnahme gemacht und dieses Bild bei der Pflegekasse eingereicht mit der Frage, ob sie meinten, dass ein Handtuchhalter geeignet wäre, einem erwachsenen, behinderten Menschen, der noch dazu schwergewichtig ist, Halt zu bieten. Daraufhin wurde die Griffleiste kommentarlos genehmigt und angebracht.
Beim Hausarzt und beim Urologen besorgte ich alles, was für die Pflege an Verbrauchsmaterial und Medikamenten benötigt wurde, und richtete mir zu Hause die Stellen ein, wo ich alles unterbringen wollte. Im Sanitätshaus kaufte ich eine Zange zum Aufheben von Gegenständen, die auf die Erde gefallen waren. Dann war alles bereit für den Umzug.
Der Umzug
Die letzten Tage waren noch voll Hektik, weil zwei Teile, die benötigt wurde, erst im letzten Moment geliefert wurden, nämlich Bett und Rollstuhl, und auch noch einige Fragen bei zwei Ärzten und in der Apotheke zu klären waren. Ich hatte also bis zum letzten Augenblick zu tun. Aber endlich war es so weit.
Unsere Tochter aus England kam am Morgen angereist, um mir beim Umzug zu helfen. Wir fuhren zum Heim und packten alles ein, was ich im Laufe der Zeit hingetragen hatte, Kleidungsstücke, Pflegeutensilien, Bilder, Fernseher, Inhaliergerät, Medikamente, usw. Es war so viel, dass unsere Tochter nicht mehr ins Auto hineinpasste und die neunhundert Meter bis zu unserem Haus zu Fuß gehen musste.
Wir packten alles aus, ohne es wegzuräumen, und gingen zu Fuß zum Heim zurück, um meinen Mann zu holen. Das Wetter war angenehm, und so hatten wir uns entschlossen, ihn im Rollstuhl durchs Dorf zu fahren.
Aber zunächst gab es den großen Abschied mit Küsschen und Umarmungen, Fotos, Überreichen von kleinen Präsenten und einer Urkunde für das beste Heim, von der alle begeistert waren; sie hat heute dort einen Ehrenplatz im Flur.
Danach ging es heimwärts. Wir schoben den Rollstuhl zu zweit, was eine große Erleichterung war; denn alleine hatte ich immer Schwierigkeiten damit, jedenfalls an allen Stellen, wo der Kantstein an Hauseinfahrten abgesenkt war; da drohte mir der Rollstuhl immer Richtung Fahrbahn abzugleiten. Aber zu zweit war es kein Problem. Mein Mann registrierte aufmerksam alle Veränderungen, die sich in den knapp zwei Jahren seines Fortseins vollzogen hatten. Bekannte trafen wir nicht.
Nach zwanzig Minuten waren wir da. Die einzige echte Schwierigkeit – die Stufe vor der Haustür – bewältigten wir zu zweit ganz leicht, und dann schob ich meinen Mann ins Wohnzimmer. Endlich, endlich daheim! Voll Freude nahmen wir uns in den Arm. Nach fast zwei