Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil
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Читать онлайн книгу Der Flügelschlag des Zitronenfalters - Martin Scheil страница 10
Stille.
„Nein“, sagte Pfeffer dann und wie nach einem guten Stich beim Skat schlug nun Plaumann mit der Faust auf den Tisch.
„Da haben wir es!“, sagte er in einer Mischung aus Triumph und Verzweiflung. Neustädter machte eine beruhigende Geste und wandte sich abermals an Pfeffer, der immer weiter in seinem Stuhl versank.
„Und sagen Sie, Herr Pfeffer, dieses Abiturzeugnis ist ausgestellt vom Missionsgymnasium St. Antonius in Bad Bentheim. Darf ich fragen, ob Sie jemals dort waren?“
„Nein“, sagte Pfeffer leise. „War ich nicht.“
„Haben Sie überhaupt ein Abitur, Herr Pfeffer?“ Neustädter sprach jetzt sehr ruhig und beinahe väterlich.
„Volksschule.“ Pfeffer flüsterte beinahe.
Und Neustädter: „Sie haben das alles erfunden, nicht wahr?“
Pfeffer nickte, ohne einen der beiden anzuschauen.
„Und Sie haben ebenso diese Zeugnisse gefälscht?“
Wieder Nicken. Immer noch Blick nach unten auf seine Hände. Zusammengesunken auf seinem Stuhl war er jetzt nurmehr ein armes Häufchen Elend. Als Bernd Plaumann ihn so sah, tat er ihm fast schon wieder leid und doch musste er sagen, was zu sagen war.
„Pfeffer, Sie wissen, was das bedeutet, oder?“
„Ich bin gefeuert“, flüsterte Pfeffer.
„Sind Sie wahnsinnig?“, entfuhr es Plaumann, „Wissen Sie wie das aussehen würde? Das hier ist ein CDU-Blatt! Wenn wir Sie jetzt feuern, wirkt das wie eine Kapitulation für die Sozis! Und vor den Sozis! Wie ein Schuldeingeständnis! Nein, nein, Sie werden schön kündigen!“
„Ist gut.“ Wieder nickte Pfeffer. Jetzt war noch einmal der andere Bernd an der Reihe, und langsam kam es Pfeffer so vor, als würde die beiden Guter Bulle, böser Bulle mit ihm spielen, denn Neustädter legte seine Hand auf Pfeffers Unterarm, sah ihn an und sagte:
„Herr Pfeffer, sie waren doch Pressesprecher bei der Polizei, bevor Sie nach Bremen kamen. War das auch alles gelogen?“
„Nein, das nicht.“ Und das war es wirklich nicht.
„Und Ihre Stellen als Pressesprecher bei den Unternehmen, die Sie in Ihrem Lebenslauf angegeben haben - wenn wir da nachfragen, was werden die uns Ihrer Meinung nach erzählen?“
„Gar nichts. Die werden das wohl bestätigen, was da steht“, sagte Pfeffer, und auch das war nicht gelogen. Zumindest nicht so richtig. Denn die erste Stelle hatte er tatsächlich angetreten und dort auch als Pressesprecher gearbeitet. Das Zeugnis war ebenfalls gut. Weil ihm eine einzige Stelle in der Wirtschaft für einen Lebenslauf aber viel zu wenig erschien, hatte er sich außerdem noch zwei Firmen ausgedacht, inklusive Pressestelle und einer Anstellung für Richard genannt Rick Pfeffer. Die Zeugnisse hatte er dann höchstselbst nachgeliefert. Aber wenn Sie dort anriefen, würden Sie in der Tat nichts Gegenteiliges erfahren, da die genannten Telefonnummern natürlich nie wirklich existiert hatten. Aber das war jetzt nicht kriegsentscheidend, und auch Neustädter sagte, die Hand noch immer auf Pfeffers Arm: „In Ordnung. Ich glaube Ihnen. Aber sehen Sie Pfeffer“, und nun ließ er seinen Arm los, faltete erneut die Hände und legte sie auf den Tisch „Sie waren dann auch bei uns Pressesprecher. In der CDU-Fraktion. Bevor Sie hier beim Blatt angefangen haben. Und auch diese Zeitung ist im Grunde ja nicht viel mehr als ein Parteiorgan. Wenn nun bekannt wird, dass die Bremer CDU all die Jahre einen Hochstapler beschäftigt hat“, er machte eine kurze bedeutungsschwere Pause, „glauben Sie, das wäre gut für unsere Position?“
Pfeffer schüttelte den Kopf.
Nun ergriff Plaumann wieder das Wort. „Es ist ja nicht nur das, Pfeffer. Wären Sie irgendeiner von diesen Schreiberlingen“, er deutete mit dem Daumen über seine Schulter zur Bürotür, „dann würden wir hier nicht sitzen. Aber Sie sind hier der Chefredakteur. Und außerdem haben Sie sich in den vergangenen Jahren mächtig exponiert. Mehr als uns je lieb gewesen ist, das möchte ich hinzufügen! Und das sage ich! Ich! Der auch kein Kind von Traurigkeit ist, wenn es um die Sache geht. Jeder gute General muss halt mal eine Division ins russische Feuer geschickt haben, um zu wissen, wie sich das anfühlt. Und ein Journalist, der nie verklagt wird oder der nie eine Gegendarstellung bringen muss, der macht seinen Job nicht richtig. Aber das hier“, und dabei zog er aus seiner scheinbar unerschöpflichen Aktentasche die Ausgabe mit dem Jugendclub-Artikel, „ganz ehrlich, Pfeffer: das hier war die Krönung!“
Plaumann machte eine kurze Pause, während er die Zeitung auf den Tisch warf.
„Wir wissen, dass Sie Probleme haben, Pfeffer. Das mit Ihrer Trinkerei ist ein offenes Geheimnis und das mit den Frauen und den Spielcasinos – also es geht uns ja im Grunde auch nichts an, was Sie in Ihrer Freizeit machen. Aber das hier“, er tippte hart mit dem Zeigefinger auf den Artikel, der nun vor ihnen lag „ich meine wissen Sie eigentlich, wie viele Klagen hier eingegangen sind, seit Sie auf dem Sessel da drüben sitzen? Dutzende. Dazu insgesamt fast 38.000 Mark Schmerzensgeld, die übrigens immer der Verlag bezahlt hat. Von den unzähligen Gegendarstellungen ganz zu schweigen. Aber wir haben das immer mitgemacht. Immer! Und wir haben auch immer beide Augen zugedrückt. Auch dann noch, als wir schon wussten, dass Sie es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Es war ja alles für die gute Sache. Aber wenn jetzt rauskommt, dass Sie selbst eigentlich nie der waren, für den Sie sich ausgegeben haben, was denken Sie denn, wie wir dann alle dastehen! Blamiert! Für alle Zeit! Mann Pfeffer, warum müssen Sie denn nur immer lügen?“
Plaumann wurde jetzt wieder laut, und Neustädter konnte gerade noch eingreifen, um einen weiteren Ausbruch des Verlagschefs zu verhindern, indem er ansetzte:
„Sie haben hier insgesamt gute Arbeit geleistet, Pfeffer, und das werden wir auch jetzt, bei allem verständlichen Unbill nicht vergessen. Aber Sie müssen verstehen, dass Sie zu halten bedeuten würde, uns verwundbar zu machen. Angreifbar. Das Blatt, die Fraktion, die Partei und am Ende natürlich auch uns selbst. Ich will Ihnen daher einen Vorschlag machen.“
Neustädter sah ihn jetzt direkt an, aber aus seinem Gesicht waren Güte und Verständnis auf einmal gewichen. Die vornehme Noblesse jedoch war geblieben.
„Sie haben damals den Seifriz zu Fall gebracht. Sie haben den Apparatschicks mit Ihren Geschichten ordentlich die Bürste durch den Filz getrieben, außerdem haben Sie die Umlage auf 280.000 gebracht. Deswegen werden wir Ihnen nicht die Kündigung aussprechen. Sie aber, mein lieber Pfeffer, Sie werden ihr Gesuch über den Rücktritt als leitender Chefredakteur noch heute einreichen. Dafür erhalten Sie im Gegenzug eine Verabschiedung aller Ehren halber und ein sehr ordentliches Zeugnis, welches ich selbst erstellen und persönlich unterzeichnen werde. Herr Plaumann ebenfalls, selbstredend. Diese unsägliche Sache mit Ihren Zeugnissen bleibt unser Geheimnis, auch wir haben kein sachliches Interesse daran, dass es in dieser Causa zu einer Öffentlichkeit kommt. Es wird überdies keine Klageschrift gegen Sie eingereicht, weder von uns, dafür garantiere ich, noch von dritter Seite, dafür sorge ich.“
Er machte eine kurze Pause.
„Einen Haken hat dieses Angebot allerdings, Herr Pfeffer. Es besteht ab jetzt für genau sechzig Sekunden und ist, ganz hanseatisch, mit Handschlag zu bestätigen.“