Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil

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Der Flügelschlag des Zitronenfalters - Martin Scheil

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halt. Ich kann nicht so richtig darüber sprechen, Sie verstehen schon.“

      „Nein, tue ich nicht.“

      „Na ja, etwas über das man nicht spricht. Nicht öffentlich zumindest. Ich helfe gewissermaßen mit, für den Frieden, also ... ich kann wirklich nicht darüber reden.“

      „Dann kommen Sie mit. Wir gehen irgendwo hin, wo Sie es können“, sagte sie und begann, ihn am Ärmel hinter sich her zu ziehen. Nun war die Bauernkate aber rappelvoll mit Trauernden, so dass sich einfach kein ruhiger Ort finden wollte. Irgendwann wurde es der hübschen Unbekannten dann zu bunt. Sie öffnete die Tür zur Garderobenkammer und zog Pfeffer hinein.

      „So. Heimlich genug? Jetzt sagen Sie schon: was machen Sie denn nun so geheimnisvolles?“

      „Ich bin vom Bundesnachrichtendienst!“, imitierte Pfeffer Hans Müller gekonnt und hoffte damit ebenso großen Eindruck zu schinden, wie es Müller bei ihm gelungen war.

      „Ach Quatsch, Mann. Erzähl doch keine Märchen, Bundesnachrichtendienst. Das denkst Du Dir doch jetzt aus, weil wir hier in der Rumpelkammer stehen, und Du mich abschleppen willst!“

      „Nein, das ist kein Witz. Sieh’ mal“, er war jetzt auch ins „Du“, gewechselt, „die Expansion des Kommunismus ist nach wie vor die größte Gefahr für unser Land. Hast Du das von Gorbatschow gelesen? Über Glasnost und Peres..“, weiter kam er nicht, denn sie hatte auf einmal stürmisch seinen Kopf gepackt und fing an ihn direkt auf den Mund zu küssen. „Was denn.“, entfuhr es ihm noch, aber ihre Zunge ließ seiner keine Zeit, zu fragen. „Gorbatschow hat.“, stammelte er an ihren Lippen vorbei und sie sagte ganz ordinär: „Halt’s Maul und mach’s mir einfach, ja? Ich will heute zumindest einmal etwas Schönes erleben!“

      Er hörte einen aggressiven Ton in ihrer Stimme, was ihm jedoch egal war, weil sie in eben diesem Moment ihren Gürtel öffnete, die Hose im Umdrehen herunterstreifte und ihn beinahe unmittelbar von hinten gewähren ließ. Sozusagen. Hüstel. Sie wissen schon. Oh Mann. Und Rick Pfeffer? Der hatte nun auch die Hose unten, verrichtete ungelenk das Verlangte und fing sofort an zu schwitzen. So, dass er merkte, wie ihm bei jeder Bewegung dicke Schweißperlen erst über die Stirn und dann auch unter seinem Hemd am Rücken hinunterliefen. Auf einmal rutschte seine Brille von der Nase und fiel zu Boden. „Scheißegal!“, dachte er, der schon gar nicht mehr wusste, wo er war. Aber wild entschlossen, jawohl, das war er und der Trieb hatte ihm denselben Befehl gegeben, wie seine unverhoffte Liaison. Schnauze halten und die Sache durchziehen. Und sei es eben im Blindflug.

      Doch dazu kam es nicht.

      Denn gerade als Pfeffer sich dem seligsten Punkt dieser unerwarteten Intimität näherte, gerade als ihm ein leises Krächzen die Kehle hinaufschlich, als er die Augen fest zusammenkniff und den Gipfel erwartete, gerade da wurde die Tür der Garderobe geöffnet. Nein, nicht geöffnet. Aufgerissen. Pfeffer spürte, wie der Schreck und das peinliche Entsetzten seinen Pulsschlag noch einmal steigerten, zumal er ohne Brille nicht einmal erkennen konnte, wer sie in diesem denkbar ungünstigsten Moment ertappt hatte. Er sollte es aber postwendend herausfinden.

      „Mama!“, schrie die ihm noch immer Unbekannte, und zog rasend schnell ihre Hose wieder hoch. „Scheiße, was soll das?“ Pfeffer verstand die Welt nicht mehr. Unter der Gürtellinie noch immer völlig nackt, bückte er sich erst einmal, um seine Brille zu suchen, wobei er den sich vor der Garderobe sammelnden Menschen seine unbedeckte Kehrseite zuwandte.

      „Ziehen Sie sich was an, Mann. Das ist ja ekelhaft!“, hörte er einen Mann brüllen. Und Pfeffer unterbrach seine Suche, um genau das zu tun, denn der Mann klang wirklich, wirklich wütend. Pfeffer zog also blitzschnell die Hose hoch und schnallte mit gelernter Bewegung den Gürtel zu, wobei er aus Versehen mehr Löcher übersprang als gut für ihn war. Sofort spürte er das Kneifen an der Taille und wurde wiederum kurzatmig. Pfff pfff ging sein Atem, aber er konnte noch immer nichts sehen und ein klarer Durchblick war jetzt wichtiger als seine Atemnot. Er bückte sich also abermals, wobei sich der Hosenbund wie Stacheldraht in sein Bauchfleisch schnitt. Er suchte suchte suchte und gerade als die Peinlichkeit nicht mehr auszuhalten war, fand er zu seinem Erstaunen dann doch die Brille und setzte sie auf. Und dann?

      „Scheiße“, sagte er, denn vor ihm stand die Witwe. Nur, dass sie jetzt gar nicht mehr traurig wirkte, sondern eher rasend vor Wut. Neben ihr standen außerdem der Fettsack von vorhin sowie einige andere Männer. Und es wurden zusehends mehr. Über ihre Schultern hinweg erkannte Pfeffer, dass sich im Saal Unruhe breit zu machen begann. Er wollte etwas sagen, irgendetwas, aber er brachte einfach nichts heraus. Schließlich war es die Witwe, die sich allerdings an die unbekannte Schönheit wandte und nun endlich das Schweigen brach. Jetzt weinte sie wieder, während sie die andere anschrie. „Wie kannst Du nur!“ Sie ohrfeigte die Unbekannte. Und noch mal „Wie kannst Du nur! Michaela, wirklich!“

      „Aha“, dachte Pfeffer, „Michaela also!“

      Aber die Witwe war noch nicht fertig.

      „Dein Vater ist noch nicht mal eine Stunde unter der Erde. Und Du ... Du machst hier so was. Vor all den Leuten!“

      Au Backe! Das konnte auch nur einem Rick Pfeffer passieren.

      „Du bist Rebschlägers Tochter. Warum hast Du denn nicht bei den anderen in der ersten Reihe gesessen?“, entfuhr es ihm vor lauter Erstaunen in einer ähnlichen Lautstärke, wie jene, in der zuvor die Witwe geklagt hatte.

      Die Frau, die nun Michaela hieß, patzte in einem Tonfall, der wohl eher ihrer Mutter galt: „Weil mich die ganze Scheiß-Familie am Arsch lecken kann!“, woraufhin sie sich noch eine schallende Ohrfeige von der Witwe einfing. Dies blieb jedoch beinahe unbemerkt, hatte sich doch die Aufmerksamkeit der umherstehenden Menge nach ihrem Ausruf Pfeffer zugewandt. Der Dicke machte den Anfang. Er konnte also doch sprechen.

      „Ich glaube, Sie sollten hier mal schön die Schnauze halten und zusehen, dass Sie Land gewinnen. So eine verlogene Sau! Erst übern Jupp so rumschwafeln und ne halbe Stunde später fällt er über seine Tochter her!“ Und bei diesen wenigen Sätzen hatte sich der Dicke so in Rage geredet, dass er nicht mehr zu bremsen war. Sein ganzer beleibter Körper schien ihm Schwung zu verleihen als er ausholte und Pfeffer mitten eins in die Schnauze haute. Peng, voll auf die Zwölf. Das Nasenbein war hin, soviel war sicher. In Sekunden schossen ihm Tränen in die Augen und beraubten ihn abermals der Sehkraft. Außerdem sah er tatsächlich Sterne. Wer hätte das gedacht. Die Brille? Knirsch, Knack und nicht mehr zu gebrauchen.

      „Heinz!“, herrschte die Witwe den Dicken an „jetzt mach das alles nicht noch schlimmer!“ Sie packte Pfeffer am Arm und sprach ihm direkt ins Ohr. „Und Sie verschwinden jetzt hier. Sofort. Und eins können Sie sich merken: das hier wird für Sie ein Nachspiel haben!“

      Das hatte es.

      Er hatte der Witwe nicht widersprochen und zugesehen, dass er möglichst schnell möglichst viele Kilometer zwischen sich und die Bauernkate brachte. Handschuhfach, Reservebrille, Vollgas. „Mann, Mann, Mann, da habe ich ja schön was angerichtet!“, sagte er im Auto zu sich selbst. Je weiter allerdings die zurückliegende Entfernung maß, die hinter ihm lag, desto mehr amüsierte ihn die ganze Angelegenheit. „Die Tochter. Ich hab’ echt die Tochter auf der Beerdigung von Ihrem Alten ... oh Mann!“ Und als er zu Hause ankam, war er bereits in ein herzerwärmendes Gelächter verfallen. Nur die Nase, die tat noch immer weh!

      Das mit dem Gelächter änderte sich, als er am nächsten Morgen, noch bevor er sich anziehen konnte, einen Anruf aus dem Beerdigungsinstitut erhielt, in welchem der Inhaber ihm mitteilte, dass man sich aufgrund der Vorkommnisse bei der Bestattung Joseph Rebschlägers von ihm trennen müsse. Es tue ihm leid, aber sicher verstehe Pfeffer, dass gerade

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