Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil

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Der Flügelschlag des Zitronenfalters - Martin Scheil

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so seine Möglichkeiten. Ärzte unter sich nehmen das mit der Schweigepflicht nicht ganz so genau. Und dann, na, Du weißt ja wie das läuft. Der kennt den, und der spielt mit einem Parteichef Golf, und so weiter.“

      Es machte keinen Sinn mehr, jetzt noch weiter an der Fassade zu mauern, also beschloss Pfeffer, mit offenen Karten zu spielen. Was konnte ihm schon passieren? Man hatte ihn vielleicht rausgeschmissen, obwohl auch das nicht so richtig stimmte, da er ja freiwillig gegangen war. Zumindest offiziell. Vielleicht hatte er es auch mit der Wahrheit nicht immer so genau genommen. Aber sein Gegenüber war schließlich ein Briefträger, der sich als Arzt ausgab, und somit hatte Pfeffer ihn in der Hand. Er war sich sicher, dass Briefke keine Gefahr für ihn darstellte. Und wenn doch, dann musste man halt mal mit einem Oberleutnant Müller sprechen. Der wüsste schon, wie man mit so jemanden fertig werden würde. Also Offensive. Wirkung vor Deckung. Pfeffer schickte die Sturmtruppen los.

      „Ja, Du hast Recht, tut mir leid. Eigentlich lief es gut, es war alles in Ordnung, Ich war Chefredakteur. Ich habe die Auflage verzehnfacht, die Werbeanzeigen etatmäßig verfünffacht, da war es immer egal, ob alles haarklein stimmte, was auf der Titelseite stand. Und das mit den Zeugnissen ist auch erst aufgefallen, als ich diese Schlampe von den Sozis fertiggemacht habe.“

      „Fertig gemacht?“

      „Prozess läuft noch. Man wird sehen.“

      Beide nahmen einen Schluck Wein.

      Dann fragte Briefke: „Welche Methode hast Du benutzt?“

      „Methode?“

      „Na welche Methode? Als Du die Zeugnisse gefälscht hast. Welche Methode hast Du da benutzt? Hast Du Dir einen Kartoffelstempel geschnitzt oder hast Du die gute alte Gekochte-Eier-Roll-Technik angewendet?“

      Pfeffer war über die Offenheit Briefkes geradezu verdutzt, antwortete aber wahrheitsgemäß.

      „Die Eier-Rolle. War alles wie im Original. Ich habe mir ein Zeugnis von einem Gymnasium in Bad Bentheim besorgt. Vom Missionsgymnasium, da kommt doch niemand drauf. Dann habe ich mit dem Skalpell die entsprechenden Stellen ausgeschnitten und alles wieder so geflickt, dass es mein Abitur-Zeugnis wurde. Am Schluss noch ein paar astreine Kopien vom Ganzen und gut. Das war idiotensicher. Selbst die vom Gymnasium haben gesagt „Jawoll, das ist ein Zeugnis von uns!“, außerdem war das richtig viel Arbeit. Ich habe fast sechs Stunden darüber gesessen, bis alles perfekt war. So habe ich es auch mit den anderen Sachen gemacht. Hat aber nichts genützt, wie Du weißt.“

      „Und warum nicht?“ Briefke hatte die Frage so provozierend gestellt, dass es Pfeffer schon wieder irritierte.

      „Warum nicht? Na ja, weil ich eben nie da war!“

      „Genau!“, sagte Briefke und stellte sein Glas ab. Pfeffer erkannte nun ein hintersinniges Funkeln in Briefkes Augen und als sich dieser ein wenig zu ihm herüberbeugte, hatte sein Tonfall eine Mischung aus Konspiration und professoraler Gelehrtheit. „Es ist nur aufgeflogen, weil Du eben nie da warst. Auch die raffinierteste Fälschung wird Dich nicht in ein Klassenzimmer in Bad Bentheim teleportieren. Mach Dir nichts draus. Ist ein klassischer Anfänger-Fehler! Wenn Du ein Zeugnis von irgendeiner Schule fälschst, aber nie da warst, wird es immer ein überprüfbarer Punkt bleiben. Und damit ein Risikofaktor. Irgendwann wird dann einer von diesen Maulwürfen heiß und gräbt es aus, da hast Du keine Chance. Du musst immer versuchen, möglichst viele Risikofaktoren auszuschließen. Und zwar von vornherein.“

      „Ja klar, aber was soll ich machen? Ich habe nun mal kein Abitur!“

      „Ja und? Ich habe auch kein Abitur, und ich bin immerhin Arzt!“

      „Du bist kein Arzt“, sagte Pfeffer erneut, Briefke jedoch überging es ganz sachlich und dozierte einfach weiter.

      „Weißt Du, was Du machen musst? Du erfindest es einfach. Du erfindest einfach alles! Pass auf: Du bist meinetwegen bis dann und dann zur Schule gegangen, hast aber kein Abitur gemacht. Das ist nicht gut, aber Probleme sind dazu da, um gelöst zu werden, nicht? Du schreibst also in Deinen Lebenslauf: Schule da und da bis dann und dann und legst Deine echten Zeugnisse dazu. Wenn Du dann aber ein Abitur dazudichtest, musst Du Dir was einfallen lassen. Einfach ein Skalpell kaufen und ein Ei kochen, das kann jeder, das reicht nicht aus. Du musst den ganzen Werdegang erfinden, mein Lieber. Was denkst Du, was passiert wäre, wenn Du folgendes gesagt hättest. Schule bis dann und dann, also die echte, dann sind wir nach Kanada gezogen. Du denkst Dir irgendein Kaff aus, das keiner kennt und sagst Du hast da Abitur gemacht. In Sasquatchovia von mir aus, keine Ahnung.“

      „Gibt es das wirklich?“

      „Oh Gott, das ist doch scheißegal. Hauptsache es steht oben auf Deinem Zeugnis!“

      Pfeffer konnte dem falschen Doktor noch nicht so ganz folgen. „Aber das zählt doch ganz anders als das deutsche Abitur.“

      „Siehst Du? Ganz genau! Kein Mensch wird sich dafür interessieren, ob Du ein Abitur hast oder nicht, niemand wird da anrufen und fragen, ob mal irgendwann irgendein Deutscher namens Ricki-Ficki da sein Abi gemacht hat. Außerdem gibt es die Schule ja gar nicht. Was sollen die denn machen, wenn am anderen Ende der Leitung „Kein Anruf unter dieser Nummer“, kommt? Da hinfahren? Wegen eines Schulabschlusses? Wohl kaum. Als nächstes entwirfst Du Dir Dein eigenes Zeugnis mit allem drum und dran. Du kannst Dir sogar selbst ein Wappen ausdenken und einen Stempel machen lassen! Alles ganz offiziell, verstehst Du? Und wenn einer nach der Anerkennung in Deutschland fragt, sagst Du so was wie, dass es ganz und gar nicht einfach war, und dass es am Ende, Gott sei Dank, unbürokratisch gelöst wurde, Du willst da aber nicht näher drauf eingehen, um keine schlafenden Hunde zu wecken, und so weiter und so fort. Außerdem wäre es nicht so wichtig gewesen, weil Du ja im Ausland geblieben bist!“

      „Im Ausland geblieben?“

      „Na klar! Auslandserfahrung macht sich immer gut! Ich war zum Beispiel zwei Jahre forensischer Psychologe im Zentralklinikum von Johannesburg!“

      „Im Ernst?“ Pfeffer war jetzt wieder völlig elektrisiert von der mitreißenden Dynamik des Dr. Bartholdy, „Du warst in Südafrika?“

      „Natürlich nicht, Richard! Aber wer soll das wissen? Kein Mensch kann das jemals wirklich nachprüfen, und außerdem: keiner hat dazu Lust! Im Gegenteil. Die finden es alle richtig geil, wenn sie erzählen können, dass Ihr Oberarzt schon in Südafrika praktiziert hat. Verstehst Du? Wenn Du wirklich so ein Ding durchziehen willst, dann musst Du es mit dem ganz großen Plan machen, dann musst Du am ganz großen Rad drehen!“

      Pfeffer war nun ehrlich erstaunt. So hatte er das alles noch nie betrachtet. Aber hatte er nicht eine ähnliche Aktion mit den Firmen gehabt, bei denen er vorgegeben hatte, gearbeitet zu haben? Er berichtete Briefke davon und dieser klopfte ihm mit anerkennender Geste auf die Schulter „Na also, sag ich doch! Dann ist ja bei Dir doch noch was zu retten! Noch mehr Wein?“

      Natürlich noch mehr Wein.

      „Verstehst Du jetzt, Richard? Je größer das Rad ist, an dem Du drehst, desto weniger wird den Leuten auch nur der geringste Verdacht kommen, dass irgendetwas daran faul sein könnte. Und wenn der Damm doch mal einen Riss zeigt, dann erfindest Du halt irgendeine noch größere Sauerei, die davon ablenkt. Du kannst aber auch einfach irgendwelchen Quatsch machen, um die Leute zu beeindrucken. Die glauben einfach alles. Weißt du, was ich mache? Ich schalte manchmal Anzeigen in irgendwelchen Zeitungen. Nur so zum Spaß.“

      „Und was steht da drin?“

      „Keine Ahnung, alles mögliche. Sachen halt. Jetzt

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