Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil

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Der Flügelschlag des Zitronenfalters - Martin Scheil

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Arzt erneut ausgezeichnet“, vor, „das hier, das habe ich gerade als letztes gemacht. Ich schicke denen immer einen Brief, da sind dann tausend Mark drin, außerdem ein Foto, so wie das hier, und der vorgefertigte Artikel. Die drucken das immer. Immer! Und das Beste ist: die überprüfen gar nichts. Von wegen Journalisten und nur der Wahrheit verpflichtet. Was für ein Quatsch! Aber man muss aufpassen, dass man es nicht zu bunt treibt. Der hier, der war schon hart an der Grenze. Hier, lies mal.“

      Und Pfeffer las: „Die Professor-Bürger-Prinz-Stiftung hat dem aus Bremen stammenden Arzt und Wissenschaftler Dr. Clemens Bartholdy den diesjährigen Hauptpreis verliehen für seine Arbeit „Die Pseudologia Phantastica am Beispiel der literarischen Gestalt des Felix Krull.“2 Pfeffer lies die Zeitung sinken. „Das ist das Buch, das bei Dir im Büro steht!“

      „Ja, genau!“ Briefke war so vergnügt, dass er die Beine im Sessel bis vor die Brust zog und vor Freude in seiner Wipp-Bewegung jauchzte. „Verstehst Du? Felix Krull, Pseudologia Phantastica, das ist so bescheuert, dass es knallt, aber die drucken einfach ALLES! Und das kannst Du Dir dann alles in Deinen Lebenslauf schreiben, solange Du zwei Regeln beachtest: Erstens: veröffentliche niemals so etwas in der Stadt, in der Du lebst und arbeitest oder in ihrem Umfeld. Und Zweitens: behalte es erst ein, zwei Jahre im Schrank, bevor Du es jemandem zeigst, oder in Deinem Lebenslauf verwendest. Es darf nie aktuell in Umlauf kommen, sonst sind die Leute, auch die anerkennenden, so scharf darauf, dass sie womöglich noch Nachforschungen anstellen! Wenn Du Dich an ein paar Regeln hältst, dann kannst Du so gut wie alles machen! Ich habe es sogar zum Papst gebracht!“ „Zum Papst? Jetzt hör` aber auf, Gert!“

      „Nein ehrlich! Ursprünglich wollte ich Priester werden. Als wir uns damals, ich meine wir beide, als wir uns in Bremen im Park getroffen haben, war ich ja noch bei der Post, aber andererseits auch gerade dabei mein Abitur-Zeugnis zu erstellen. Ich habe es übrigens genau so wie Du gemacht und erst viel später professionell korrigiert. Aber egal, ich bin dann erst mal Rechtspfleger geworden, aber das war einfach nur langweilig. Als ich mal den Papst im Fernsehen gesehen habe, fand ich das eigentlich ganz gut. Das hatte schon Schneid mit dem ganzen goldenen Pomp, und wie sie ihn alle angehimmelt haben und so weiter. Das war noch, bevor sie auf ihn geschossen haben. Na ja sei’s drum, auf jeden Fall – ich war ja jung – dachte ich mir, dass ich ja wohl auch einen ganz guten Papst abgeben würde und habe mich an der Uni für Theologie eingeschrieben. Irgendwann haben dann die Jesuiten in Mainz eine Audienz vermittelt und ich war dabei. Da bin ich zum Papst, habe ihm die Hand geschüttelt und gesagt: Wissen Sie, Euer Heiligkeit, Ihr Stuhl, der wird mal mir gehören!“

      „Und was hat der Papst gesagt?“

      „Der hat gemeint, es sei der Stuhl des Herren und er sei nur der Platzhalter auf Erden und dieser ganze Quatsch. Ich bin dann auch nicht mehr lange dabei geblieben. Vor allem, weil an der Uni total viel Wert auf Latein und alles gelegt wurde. Das war doch ein bisschen zuviel. Deswegen auch der Entschluss, Arzt zu werden. Und hier bin ich nun!“

      „ABER DU BIST KEIN ARZT!“, prustete Pfeffer heraus.

      Briefke setze erneut sein Glas ab und steckte sich mit langsamen Bewegungen eine Pfeife an. „Ich will Dich mal was fragen Richard: Hast du ein Abitur?“

      „Was soll das! Nein! Das weißt Du doch!“, knurrte Pfeffer und zündete sich nun seinerseits eine Zigarette an.

      „Und warst Du jemals auf einer Journalistenschule?“

      „Nein, war ich nicht!“

      „Hast Du sonst irgendeine Ausbildung gemacht, die Dich zum Redakteur qualifiziert hätte?“

      „Nein.“

      „Und trotzdem warst Du, trotzdem bist Du Journalist!“

      „Ja.“

      „Na eben! Und jetzt ganz im Ernst: Glaubst Du, dass Du ein schlechter Journalist bist?“

      „Nein, das glaube ich nicht!“

      „Ganz genau! Du hast kein Abitur, keinerlei journalistische Ausbildung, und trotzdem bist Du Chefredakteur geworden und hast in Bremen mit Deinen Artikeln für einigen Wirbel gesorgt. Du hast die Auflage verzehnfacht. Die Einnahmen verfünffacht. Das hast Du alles ganz allein geschafft. Eigentlich, wenn man so will, bist Du noch viel mehr Journalist als alle anderen mit Ihren anständigen Lebensläufen, Laufbahnen, Ihren tollen Zeugnissen und Abschlüssen. Jetzt stell Dir nur mal vor, was aus Dir geworden wäre, wenn Du auch noch die entsprechenden Ausbildungen erhalten hättest. Nicht auszudenken. Aber jemand wie Du, Richard ... Menschen wie wir beide brauchen diese Ausbildungen gar nicht. Wir müssen keine Diplome verliehen bekommen, um zu wissen wie es geht. Das ist es, was uns von der ganzen tumben Masse abhebt, die Ihr Leben lang irgendwelchen Auszeichnungen und Titeln hinterher hechelt, anstatt sich lieber auf das Ziel zu konzentrieren! Wir brauchen das alles nicht, Richard. Und weißt Du, warum nicht? Weil es uns im Blut liegt, weil wir dazu geboren sind. Frag’ mal meine Patienten, da wirst Du nur Gutes über mich hören. Keine Kunstfehler, keine falschen Behandlungen, immer astreine Arbeit! Es gab in der ganzen Zeit, in der ich praktiziere nicht eine einzige Beschwerde gegen mich. Und der Mensch an sich ist ohnehin immer bereit, genau das zu glauben, was er sich wünscht. Wenn man die entsprechende Leidenschaft und Intuition mitbringt, wenn man bereit ist, für das was man liebt, alles zu geben, dann braucht man diese ganzen Schriftstücke gar nicht, auf die diese abgehalfterte deutsche Bürokratie so viel Wert legt. Man muss dafür geboren sein. Das können Dir noch so viele Jahre an Schulen und Universitäten nicht geben. Nimm zum Beispiel Adolf Hitler. Der hatte nicht einmal einen Führerschein! Und was war der?“

      „Führer“, sagte Pfeffer.

      „Quod erat demonstrandum!“, rief Briefke und warf seinen Oberkörper vor Lachen mit einem triumphalen Ausdruck in die Lehne des Sessels, nahm sein Weinglas und hielt es Pfeffer zum Prosit entgegen. Pfeffer konnte zwar nur erahnen, was dieses „Quod erat demonstrandum“, bedeutete, aber es reichte ihm, um zu verstehen, was Gert Briefke, was Dr. Clemens Bartholdy versucht hatte ihm zu erklären. Seinerseits nahm er nun sein Glas und stieß mit Briefke klirrend an.

      „Ach und übrigens“ Gert Briefke schien noch eine Kleinigkeit vergessen zu haben, „von wegen Eier-Roll-Methode und so. Weißt Du, wie ich das mittlerweile mache?“

      Pfeffer hatte keine Ahnung.

      „Pass auf, das ist der absolute Oberknaller, besser geht es überhaupt gar nicht. Ich bin drauf gekommen, als ich mal ein paar beglaubigte Zeugnisse abliefern musste, eine Approbationsurkunde und so. Wenn Du da was selbst Gebasteltes ablieferst, merken die das sofort. Die sehen jeden Tag so ein Zeug. Aber dann kam mir die Idee: ich habe in Berlin angerufen, bei irgendeiner größeren Stempelfirma, aber nicht zu groß. Ich habe dann gesagt, ich bin Oberstaatsanwalt Dr. von Berg und dass ich Beauftragter der Materialverwaltung beim Bundeszentralregister bin. Da war der Typ von der Stempelfirma schon so fickerig, der hätte alles gemacht, weil der schon den fetten Auftrag gerochen hat. Ich dann so: Es ist hier an der Zeit, ein paar Dinge neu zu organisieren, und dass wir mit unserem bisherigen Lieferanten total unzufrieden sind und so weiter, also kurz und gut, wir bräuchten einen neuen Generallieferanten und eben seine Firma sei in der engeren Auswahl. Es muss nur noch geprüft werden, ob die Qualitätsansprüche mit seinen Stempel in Einklang gebracht werden können. Du hättest mal sehen sollen, wie schnell der mir einen Termin gegeben hat. Ich bin dann da hin, habe ihm zehn verschiedene Stempel auf irgendwelchen offiziellen Papieren als Probe hingelegt und gesagt, ich brauche von jedem Exemplar erst mal einen Probestempel. Und was glaubst Du? Zwei Tage später hatte ich alle offiziellen Stempel der Bundesrepublik! ORIGINAL! Geil, oder?“

      Briefke war so zufrieden mit sich selbst, dass er die Weingläser erneut füllte und Rick Pfeffer doppelt zuprostete, bevor

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