Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil

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Der Flügelschlag des Zitronenfalters - Martin Scheil

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Weile und einem langen Schluck von dem Rotwein, „was machst Du denn jetzt? Also ich meine, wie hast Du Dir das alles vorgestellt? Wie soll das weitergehen? Willst Du das für immer so durchziehen?“

      „Ich weiß nicht“, antwortete Briefke und machte eine wegwischende Handbewegung in den Raum hinein. „Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, bis zur Rente hier in Flensburg zu versauern. Vielleicht gehe ich noch mal woanders hin. Momentan überlege ich, ob ich mir vielleicht noch einen Dr. phil. zulege. Diese ganze Amtsarzterei ist einigermaßen mühsam, wie Du Dir vorstellen kannst. Na ja, wie gesagt. Ich weiß noch nicht, mal sehen!“

      „Aber ist das nicht anstrengend? Ich meine, die ganze Zeit zu lügen?“

      Briefke schien entsetzt! „Ich muss doch nicht lügen, Richard. Ich bin Dr. Clemens Bartholdy. Ich trage nicht nur seine Schuhe oder so, ich bin es! Das ist doch keine Lüge! Ich will Dir mal was über Lüge und Wahrheit erzählen, Richard. Kennst Du Dich mit dem Herzen aus?“

      „Es geht, nein eigentlich nicht. Ich befürchte, ich habe einige gebrochen, aber mehr auch nicht!“

      „Casanova! Aber wie auch immer, das Herz ist die zentrale Versorgungsstelle des Körpers, eine leistungsfähige Pumpe, Blut strömt rein, Blut strömt raus. Ein absolut neuralgischer Punkt und neben Darm und Hirn eine der drei Schaltzentralen unseres Körpers. Ohne Blut, könnten wir nicht existieren, aber auch Blut wäre nutzlos, wenn es nur so in den Venen und Arterien herumdümpeln würde wie das Brackwasser in der Bremer Förde. Also pumpt das Herz fleißig im Rhythmus zu Systole und Diastole, das sind die beiden Vorgänge: Systole – Blut strömt raus, Diastole - Blut strömt rein. Und könnte es etwas Gegensätzlicheres geben als das? Der eine Vorgang füllt das Herz mit Blut, mit Leben, mit Vitalität, nur damit der andere Vorgang es ihm nur eine halbe Sekunde später schon wieder entzieht. Welch tantalusischer Vorgang, nicht wahr? Immer nur für den Bruchteil einer Sekunde bekommt das Herz seinen Treibstoff, die Essenz seiner teleologischen Existenz zu Gesicht, nur um es dann gleich wieder verabschieden zu müssen. Es wird geschenkt, und im selben Moment bereits wieder entzogen. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen! Nun könnte man sagen: das ist ja furchtbar, wie gemein! Aber als Fachmann, als Mediziner weißt Du, dass es nicht aus Niedertracht geschieht, sondern weil etwas viel Größeres, Bedeutenderes damit am Leben erhalten wird, nämlich der Organismus, den das Herz versorgt. Der Körper, die Krone der göttlichen Schöpfung! Systole und Diastole dienen, obwohl grundverschieden und absolut gegensätzlich, demzufolge beide derselben Sache. Sie stellen sich in den Dienst von etwas Größerem und werden dadurch untrennbar miteinander verbunden, wie die beiden sprichwörtlichen Seiten ein und derselben Medaille, ja, sie sind sogar vollständig abhängig voneinander, da gibt es nicht gut oder schlecht. Genau so wie bei der Wahrheit und der Lüge. Wenn alles Wahrheit wäre und nichts mehr Lüge, dann verliert die Wahrheit zwangsläufig jedwede Bedeutung. Oder ums es ganz poetisch zu sagen, mein lieber Richard: Wahrheit und Täuschung liegen wie Systole und Diastole immer nur einen Herzschlag weit auseinander!“

      Nachdem Briefke im letzten Teil des Gesagten noch eine bedeutungsschwangere Pause eingelegt hatte, bevor er auf den poetischen Herzschlag zu sprechen kam, lehnte er sich mit dem Selbstverständnis des Wissenden abermals in seinem Clubsessel zurück, nahm einen Schluck Wein und stopfte sich erneut seine Pfeife, die er kurz darauf entzündete. Pfeffer indes war nunmehr, wie es schien, vollständig in den Bann des Dr. Bartholdy geraten und nachhaltig beeindruckt von seinem Gegenüber. Ganz weggewischt waren mittlerweile all die Zweifel, mit denen er das Haus betreten hatte. Und so kam es, dass er sich zu einem Ausdruck der Bewunderung hinreißen ließ, der einem Rick Pfeffer sonst nicht so leicht über die Lippen zu kommen pflegte.

      „Gert, Du bist ein Genie!“

      „Ach was Genie, Richard. Ich liebe das, was ich tue. Und genial muss man gar nicht sein, nein, nein. Weißt Du, hier in Deutschland schlägt sich die Bedeutung von Menschen in Titeln und Gehaltsgruppen nieder. Deswegen meine ganzen Auszeichnungen und der Doktor-Titel. Aber wenn Du wie ich mit einer Behörde arbeitest, als Amtsarzt, ich sage Dir, dann musst Du nicht genial sein. Gerade in der Politik und auf den Behörden kannst Du mit einer gewissen Kenntnis der Hierarchien und einem gesunden psychologischen Einfühlungsvermögen optimale Wirkungen erzielen. Die ganze Amtsbürokratie ist total subaltern. Da sind Aktenvermerke und Dienstanweisungen die beste Sprache, die die Mitarbeiter verstehen. Gib Befehle, und die Leute befolgen sie, weil Sie annehmen, dass nur der Befehle gibt, der dazu befugt ist. Das wird gar nicht hinterfragt. Wie bei einer Köpenickade, verstehst Du? Genau so mit meinen Gutachten. Wenn einer ein Gutachten vorlegt, dann fragt keiner, ob derjenige überhaupt dazu befähigt ist. Und wenn Du daneben liegst, ist es auch nicht per se falsch, sondern Du bist dann eben offiziell einer anderen medizinischpsychologischen Auffassung. So ist das! Die größten Erfolge sind für mich, wenn irgendein namhafter Gutachter zur selben Erkenntnis kommt wie ich, ohne mein Gutachten zu kennen. Dann weiß ich, dass ich den richtigen Beruf ergriffen habe. Man muss sich halt nur trauen!“

      „Weißt Du was, Gert? Du solltest das alles aufschreiben. Ja, Du solltest ein Buch darüber schreiben, halb Enthüllungs- halb Entwicklungsgeschichte. Das würde laufen wie geschnitten Brot, das schwöre ich Dir!“

      „Habe ich schon dran gedacht. Aber soll ich Dir was sagen? Mittlere Reife, Lesen und Schreiben gerade eben ausreichend!“, schmunzelte Briefke über den Tisch zu Pfeffer.

      „Im Ernst? Aber Du sprichst wie ein Professor!“

      „Ich habe mir vieles angewöhnt, und einige Sachen brauchst Du jeden Tag. Das ist im Grunde reines Auswendiglernen. Aber eins kannst Du mir glauben, ich bin froh, dass ich einen Beruf ergriffen habe, der sich viel darauf einbildet, dass seine Egiden alles immer nur so hinkritzeln. Schön geschmiert. Kein Mensch kann solche Rezepte lesen. Bei uns gilt die Devise: Je unlesbarer die Schrift, desto mehr Arzt bist Du. Und in der Klinik diktiere ich sowieso fast alles. Aber ein Buch? Na ja, meine Talente in allen Ehren, aber dazu wird es wohl nicht reichen.“ Er nahm einen tiefen Zug aus seinem Weinglas, derweil Richard genannt Rick Pfeffer die zündende Idee kam.

      „Ich aber. Ich kann sowas!“

      „Was?“

      „Na schreiben! Ich war immerhin Chefredakteur, schon vergessen? Pass auf, wir machen das so: Wir treffen uns und unterhalten uns ganz normal, so wie jetzt. Nebenbei lasse ich das Diktiergerät laufen. Dann erzählst Du alles, genau so wie eben gerade, und ich mache dann hinterher einen fertigen Text daraus! Was hältst Du davon?“

      Briefke wirkte ehrlich angetan und ein sichtbarer Ausdruck der Begeisterung machte sich in seinem Gesicht breit!

      „Das ist die beste Idee des Tages!“

      Aber Pfeffer war sogar schon einen Schritt weiter. „Hast Du einen Stift und ein paar Blätter? Schnell, ich habe schon eine Idee!“

      Gert Briefke alias Dr. Clemens Bartholdy hatte beides schnell zur Hand und Pfeffer begann zu schreiben:

      „Die Abenteuer des Dr. Clemens Bartholdy! Vorwort: Nur der Betrug hat Aussicht auf Erfolg! Auf Erfolg und lebendige Wirkung in den Menschen, der den Namen des Betruges gar nicht verdient, sondern nichts anderes ist, als die Ausstattung einer vorhandenen Wahrheit mit denjenigen materiellen Merkmalen, deren sie bedarf, um von der Welt anerkannt und gewürdigt zu werden. Und in diesem Sinne ist mein Tun eben doch die Wahrheit, so seltsam es klingen mag, zugegebenermaßen. Das Reich der Freiheit ist eben das Reich der Täuschung!“3

      Er reichte es Briefke über den Tisch. „Und?“, fragte Pfeffer, „Was sagst Du?“

      „Ich muss Dir das Kompliment zurückgeben, Richard!“

      „Welches?“

      „Nicht

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