Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil
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Читать онлайн книгу Der Flügelschlag des Zitronenfalters - Martin Scheil страница 6
„So. Jetzt mal von Mann zu Mann, Pfeffer. Ich werde hier nichts zurücknehmen. Sie haben mich beschissen. So wie Sie diese Geschichte an mir vorbeigeschleust haben, das war unter aller Kanone. Sie haben den Schichtleiter von der Schriftsetzung belogen und uns dann auch noch gegeneinander ausgespielt. Noch so ein Unding. Und die Geschichte selbst – ich kann nicht begreifen, wie Sie darauf gekommen sind. Zumal ich nichts von irgendwelchen Beweisen gelesen habe in diesem ... diesem Artikel.“
Er zeigte auf die zusammengeworfene Zeitung.
„Das ... das ist doch alles nur Geschwafel, Pfeffer. Und Sie schwadronieren da über den Klassenfeind als wären Sie Walter Hallstein persönlich. Aber wissen Sie was?“ Er machte eine bedeutungsschwere Pause und musste sich abermals sammeln, um nicht wieder zu schreien. „Aus zwei Gründen, haben Sie heute ungeheures Glück. Erstens: es ist nur der beschissene Lokalteil von einem Käseblatt. Okay, scheiß’ drauf, das ist der Grund, warum ich hier so ruhig bleiben kann. Und zweitens: ich weiß nicht, wie Sie das gemacht haben, aber es ist so: Fiete Weiler – ja genau – Sie Idiot kennen nicht einmal seinen Namen, aber Fiete Weiler ist hier einer der größten Landwirte in der Gegend. Der hat nicht nur zum ersten Mal seit dem Krieg nur den zweiten Platz bei diesem Zuchtbullen-Miss-Germany gemacht, sondern der hat auch einen Sohn bei der Polizei. Und weil Fiete heute Morgen glatt die Brücke aus der Schnauze gefallen ist, als er gelesen hat, was Sie da verzapft haben, hat er in guter alter Blitzkrieg-Manier seinen Sohn angerufen, dass der sich diesen Hof mal ansieht. Gerade auch, weil der ihm den Ersten Platz vor der Nase weggeschnappt hat. Ist ja auch alles scheißegal. Wie auch immer: vor einer halben Stunde haben die Bullen den Hof vom Mattis Reimann durchsucht und wirklich irgendwelche Mittel gefunden. Die stehen auf so einer schwarzen Liste oder was weiß ich, sind aber auf jeden Fall verboten, und jetzt haben die bei dem Bullen ... oh Mann, das muss man sich mal anhören ... die Bullen haben bei dem Bullen eine Blutprobe genommen und alles. Der Veterinär sagt, alles spricht dafür, dass das Tier mit illegalen Substanzen getrimmt und hochgespritzt wurde. Und wissen Sie was?“ Bangemann entfuhr ein Lachen voller Verzweiflung. „Wissen Sie, was das für Sie bedeutet, Pfeffer?“
Der konnte nur langsam den Kopf schütteln.
„Das bedeutet, dass Ihre Geschichte damit tatsächlich wahr wäre.“
Und auf einmal wurde Rick Pfeffer wieder warm ums Herz. Alles nur ein Traum! Alles gar nicht wahr, was sich hier gerade kurz zuvor abgespielt hatte! Er hatte also Recht. Natürlich hatte er das. Und dann überkam es ihn, nach und nach, aber doch unaufhaltsam, indem er dachte „Was meint der eigentlich, wer er ist! Was erlaubt der sich mit mir? Den müsste man mal ... „. Und fast hätte er dies auch laut ausgesprochen, wenn nicht in diesem Moment wieder Werner Bangemann das Wort ergriffen hatte. Diesmal klang seine Stimme eiskalt und doppelkornklar.
„Damit wir uns richtig verstehen, Pfeffer: wenn ich sage, dass Ihre Geschichte damit wahr wäre, dann betone ich nicht ohne Grund das Wort Geschichte!“
Er hielt jetzt wieder die Zeitung in der Hand und schwenkte damit umher. Gemeinheit. Aber Richard genannt Rick Pfeffer hatte wieder Oberwasser, das ließ sich jetzt nicht mehr rückgängig machen. Vorerst allerdings war noch eine gewisse Vorsicht geboten. Deswegen lediglich: „Aber der Ostblock-Arzt, dieser Typ da im Anzug!“, entfuhr es ihm.
„Scheiße Pfeffer, das ist sein Alter!“ Und schon war es wieder laut.
„Das ist der Vater von Mattis Reimann. Der hat ‘77 rübergemacht und ist ‘ne ganz arme Sau. Jeder Volltrottel im Dorf weiß das, jeder! Aber sie schreiben hier was von DDR-Arzt und geheimen Olympia-Medikamenten. Sie haben sich diese ganze Sache, diese ganze Scheiße einfach ausgedacht! Oder wollen Sie hier allen Ernstes das Gegenteil behaupten?“ Bangemann atmete tief ein und gleich wieder aus. Dann begann er wieder ruhiger.
„Sie sind dumm wie ein Sack Schrauben, Pfeffer, und um es ganz deutlich zu sagen, neulich, ...also ich habe Sie wegen Ihrer guten Noten und Empfehlungen eingestellt. Ja, das stimmt. Alles sauber soweit. Top. Aber ich hatte auch Mitleid mit Ihnen. Als Sie da vor meinem Tisch standen und fast gewinselt haben, wie sehr Sie den Job brauchen würden mit Ihrer kranken Mutter und so, da taten Sie mir leid, und ich dachte, mit den Zeugnissen und so weiter, na ja, ist ja auch egal. Aber seit heute halte ich Sie offiziell nur noch für einen Idioten! Für einen Rosstäuscher. Sie hatten entweder unfassbares Glück mit dem Döntjes, den Sie sich da zusammengereimt haben oder aber sie verfügen über einen ganz speziellen Riecher, keine Ahnung. Falls ja, hat das wahrscheinlich der liebe Gott in seiner ganzen perversen Abartigkeit arrangiert, um mir – mir ganz persönlich – das Leben zu verkürzen. Egal, wie auch immer. Auf jeden Fall haben Sie den Kopf noch einmal aus der Schlinge gezogen, Pfeffer.“ Kurze Pause. Dann: „Ihr Glück.“
Das mit seiner Mutter damals war natürlich gelogen. Auch egal.
Jetzt atmete Bangemann auf einmal wieder schwerer, und als Pfeffer die Adern an der Schläfe des Redaktionsleiters pochen sah, ahnte er, dass es nun abermals laut werden würde.
„Aber was zur Hölle sollte der Scheiß mit den Kommunisten? Mann, wir sind hier in Bremen. Hier gibt’s keine Kommunisten! Die Roten steigen mir sowieso bei jeder Kleinigkeit aufs Dach, und dann kommen Sie mit so einer Räuberpistole um die Ecke. Das ist hier nicht der Völkische Beobachter!“
Aber Rick Pfeffer war beruhigt. Spätestens jetzt wusste er, dass er über den sprichwörtlichen Berg war, und er empfand eine tiefe Genugtuung dabei. Sogar so was wie einen ersten Anflug von Freude über die Situation.
„Und dieses debile Grinsen, Pfeffer, das können Sie sich schenken. Was ich Ihnen sagen will ist Folgendes: wenn Sie das hier wirklich recherchiert haben“, hierbei machte er mit den Fingern Anführungszeichen in der Luft, „dann gut. Wenn nicht, auch egal. Wenn die Blutwerte von dem Bullen Ihre Story stützen, sind Sie drin, wenn nicht, sind Sie raus. Im Moment sieht es so aus, als ob Sie drin sind.“
Und Pfeffer musste tatsächlich grinsen. Seine erste große Story, Wahnsinn! Sollten sie alle sagen, was sie wollten, er hatte den Skandal aufgedeckt, den sonst keiner gesehen hatte. Er war das. Er allein. Er hatte das gemacht. Niemand würde ihm das je wieder wegnehmen können. Der Redaktionsleiter wies ihn zum Abschluss noch einmal etwas mürrisch an, nun gehen zu können und beinahe selig steuerte Pfeffer in Richtung Bürotür.
„Pfeffer!“, rief es dann doch noch einmal hinter ihm her.
„Noch was. Sollte ich mich ausnahmsweise mal irren, und sollte das hier kein Glück gewesen sein“, er macht eine kurze Pause, „dann bringen Sie mir mehr davon. Aber vernünftig recherchiert.“ Hoppla! Das klang jetzt immerhin neutral. Und weiter: „Mit Beweisen und Zeugenaussagen und so weiter.“ Rick Pfeffer konnte sich nun doch freuen. Ganz aufrichtig und ehrlich. Er nickte und wollte schon gehen, um endlich ein paar Tiefe Züge Cherrie aus seinem silbernen Flachmann zu nehmen, da rief Bangemann ihn ein zweites Mal zurück.
„Pfeffer?“
„Ja?“, fragte dieser sich wendend in den Raum hinein.
„Sie verstehen, was ich meine, oder? Lassen Sie diesen Scheiß mit dem Klassenfeind. Mit diesem ganzen Kommunisten-Quatsch, und mit dem Ostblock und diesem ganzen Mist. Verstanden? Wir sind hier in Deutschland! Diesmal haben Sie Glück gehabt, aber wer weiß. Ich hoffe Sie haben aus diesem ganzen verkorksten Zinnober etwas gelernt“.
Ja, das hatte er.