Der Flügelschlag des Zitronenfalters. Martin Scheil

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Der Flügelschlag des Zitronenfalters - Martin Scheil

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Beine treten. Ihre Lippen zitterten und sie hatte beide Hände zu Fäusten geballt. So starrte sie ihn eine endlose Sekunde an und dann ... Dann drehte sie sich um und ließ Rick Pfeffer stehen. Einfach so.

      Nachdem er die Verhandlung so lässig überstanden hatte, war er nun doch noch Mittelpunkt des Spottes geworden, hatten doch alle um ihn herum die ganze Szene mitbekommen und lachten ihn jetzt aus. Hahaha und alle Finger auf ihn. In Gedanken, ja. Aber auch von dort stechen sie wie Degenspitzen und durchbohren seinen Stolz, seine Würde, seine Ehre. Und so war es nur folgerichtig, als er dachte: „Na warte, Du Schlampe. Dir werd’ ich’s besorgen!“ Hätte, könnte, wäre, wenn. Ach ja. Aber neben viel bemühten Konjunktiven geschah nun, was geschehen musste. Und zwar mit der Vorhersagbarkeit von Steuererhöhungen. Hätte unser guter Pfeffer sich nur seine Avancen gespart ... Wer weiß? Aber es kam, wie es gekommen ist. Ein kleiner Schubs, ein kurzer Tritt, eine einzige Wendung und alles ändert sich. Unumkehrbar und für immer. So ist es halt. Und so wird es immer sein. Solange sich Mutter Erde dreht und windet. Wir wollen also nicht klagen.

      Rick Pfeffer hatte es sich zum Ziel gesetzt, dieses Subjekt, wie er sie nur noch nannte, fertig zu machen. Er wollte sie am Boden sehen. Sie zerstören. Und weil er nichts, aber auch gar nichts über diese nicht nur unbescholtene, sondern auch sozial engagierte Sozialdemokratin ausgraben konnte und weil außerdem Pfeffer so tief gekränkt war, musste er sich etwas einfallen lassen. Mal wieder. Ein Zweifler siegt nicht und ein Sieger zweifelt nicht! Niemals! Und so kam es, dass er in seinem nächsten Artikel aus der Sozialdemokratin eine DKP-Vorsitzende machte, die Ihre Funktion als Jugendclubleiterin dazu benutzte, den Kindern kommunistische Doktrinen einzubläuen. Und weil das bei den aufgeweckten Bremer Kindern natürlich nicht den rechten Eindruck schinden konnte, hatte er noch einen oben draufgepackt. „Sie verabreichte den Kindern Alkohol in rauen Mengen, dann wurde das Lied angestimmt: Wir pfeifen auf den Stress der Kapitalisten!“

      Und das war dann selbst für einen Rick Pfeffer ein bisschen zu dick aufgetragen. Zugegeben, er war nicht mehr so ganz nüchtern, als er den Artikel verfasste und in die Schriftsetzung gab, aber dass diese Sache einen solchen Wendepunkt in seinem Leben markieren sollte, damit hatte er nicht gerechnet.

      Der Artikel erschien und kurze Zeit später traf wie üblich die dazugehörige Klage mit Verfügung zur sofortigen Gegendarstellung in seinem Büro ein. Rick Pfeffer hatte damit gerechnet. Routine. Gähn. Mehr hatten die nicht drauf? Womit er aber nicht gerechnet hatte, geschah wenige Tage später. Als er an einem Dienstagmorgen sein Büro betrat, warteten dort zwei Herren auf ihn. Er kannte sie beide und ihre Anwesenheit verhieß nichts Gutes.

      Der eine war Bernd Plaumann. Kurz, stämmig, mit einer etwas zu großen Brille und einem etwas zu kleinen Schnauzbart stand er am Konferenztisch und schenkte sich gerade Kaffee ein. Plaumann war der Verlagschef, der große Big Boss und damit im Grunde Pfeffers einzig echter Vorgesetzter.

      Der andere, ein stilvoll gekleideter Mann mit ausgezeichnet geschneidertem Anzug und einem gutmütigen Gesicht, das jenen Ausdruck vornehmer Intelligenz hatte, den Pfeffer sich schon sein ganzes Leben lang wünschte, war Bernd Neustädter. Er war der CDU-Chef der Hansestadt und außerdem Mitinhaber des Weser-Land-Blattes. Pfeffer hatte beide schon oft getroffen, aber wenn sie in einem solchen Rahmen gemeinsam auftraten – wie gesagt: das verhieß nichts Gutes. In der Redaktion hatten sie sogar einen Ausdruck für ein derartiges Ereignis: Der Doppelte Bernd. Und gerade an diesem Morgen sollte Richard genannt Rick Pfeffer ein solcher Doppelter Bernd ereilen.

      „Guten Morgen!“, sagte Neustädter, als er Pfeffer eintreten sah, ging mit bedachtem Schritt auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand.

      „Guten Morgen!“, sagte nun auch Plaumann, allerdings ohne Pfeffer die Hand zu reichen.

      „Meine Herren!“, sagte Pfeffer ganz staatsmännisch, so wie er sich bei Helmut Schmidt abgeguckt hatte und nickte. Er ging um seinen Schreibtisch herum, wie jeden Morgen, er legte seine Tasche auf den Schreibtisch und öffnete sie, wie jeden Morgen, atmete tief ein, atmete lange aus und sagte dann:

      „Schön, Sie zu sehen. Haben sie den Artikel gelesen?“

      Der doppelte Bernd hatte mittlerweile Aufstellung auf der anderen Seite des Schreibtisches genommen, als Plaumann sagte: „Ja, das haben wir. Aber deswegen sind wir nicht hier. Nicht nur deswegen.“

      OK. Es war ernst.

      „Herr Pfeffer, lassen Sie uns doch bitte am Konferenztisch Platz nehmen, ja? Wir möchte Ihnen etwas zeigen“, sagte Neustädter in aufrichtiger Ruhe und wandte sich zu eben jenem Konferenztisch. Auch Plaumann nahm jetzt dort Platz, so dass Pfeffer seine Position hinter fester Burg aufgeben und sich ebenfalls zu ihnen setzten musste. Bernd Neustädter begann das Gespräch.

      „Mein lieber Pfeffer, Sie können sich sicher denken, dass wir Sie nicht ohne Anliegen aufgesucht haben. Und, ja, sie erwähnten es bereits, natürlich hat auch Ihr letzter Schriftsatz seinen Teil dazu beigetragen, uns einmal in aller Form Gedanken zu machen, ob wir nicht das persönliche Gespräch mit Ihnen suchen sollten. Es gibt nämliche einige Unstimmigkeiten – gewissermaßen kompromittierender Natur – die unser beider Erscheinen zu einer, sagen wir, Notwendigkeit haben werden lassen.“

      „Ach Bernd jetzt komm’ mal auf den Punkt!“, grätschte Plaumann dazwischen und zog aus seiner Aktentasche, die schon die ganze Zeit neben dem Tisch stand, ein mehrseitiges Pamphlet heraus. Er warf es über den Tisch direkt vor Pfeffers Nase.

      „Tun Sie mir einen Gefallen, Pfeffer!“, sagte er fordernd. „Lesen Sie vor, was da steht!“

      Pfeffer nahm die zusammengehefteten Seiten auf und blickte sie an. Er sah die Buchstaben, aber er kannte sie nicht. War das russisch? Ihm wurde heiß und kalt. Nein, die kyrillische Schrift war so einmalig, die hätte er erkannt. Aber was dann? Arabisch? Griechisch? Doch ihm blieb keine Zeit, zu überlegen, denn schon wieder hielt ihn Plaumann an. Diesmal bereits etwas lauter.

      „Na Los, Pfeffer. Lesen Sie schon!“

      „Ich ...“, begann Pfeffer zu stammeln, „ich weiß nicht ... ich kenne diese Schrift nicht.“ Er legte die Seiten wieder auf den Tisch. Und dann, fast war es eine Erlösung, ein Donnerschlag, der das Gewitter einläutet, denn plötzlich fuhr Plaumann aus der Haut.

      „Sie kennen diese Schrift nicht? Nein? Na, das ist aber merkwürdig Pfeffer! Das ist die Tora, der Anfang des ersten Buch Mose. DAS IST HEBRÄISCH! Und das kennen Sie nicht? Dabei steht doch hier in Ihrem Zeugnis“, er holte ein weiteres Papier aus seiner Aktentasche, „dass Sie das Hebraicum gemacht haben. Mit einer Eins!“ Er schrie jetzt fast. „Und da erkennen Sie kein hebräisch, wenn Sie es sehen?“

      In diesem Moment sauste die Guillotine herunter und Pfeffer spürte, wie ihm der Kopf abgeschlagen und vom Rumpf getrennt wurde. Sie hatten ihn erwischt.

      „Soll ich Ihnen vielleicht auch etwas Altgriechisches vorlegen? Aber da hatten Sie ja nur eine Zwei! Da wissen Sie dann wahrscheinlich noch nicht mal, ob Sie das Papier richtig herum halten!“

      „Mein lieber Bernd“, sagte nunmehr Neustädter in seiner vornehmen Ruhe, „nun wollen wir doch sachlich bleiben. Herr Pfeffer, vorgestern, also zwei Tage nach Ihrem letzten Artikel, erreichte uns eine, ich will sagen recht beunruhigende Nachricht bezüglich Ihrer schulischen Ausbildung. Darf ich Sie fragen, ob Sie sich vorstellen können, was diese Nachricht zum Inhalt hatte?“

      Pfeffer sah keine Notwendigkeit mehr, seine kerzengerade Sitzhaltung beizubehalten und ließ sich mit dem Rücken in die Stuhllehne fallen. Alles war verloren. Aus, Ende, Berlin 45. Russe da, Führer tot. Jetzt war alles egal.

      „Ach das“, sagte er mehr zu sich selbst als zum doppelten

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