Art of Fake.. Zulehner Christoph

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Art of Fake. - Zulehner Christoph

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Gelegenheit auch junge Talente an, bei denen sie noch nicht sicher sind, ob es für einen „Draft“ reicht. So ist es auch bei John.

      Der schüchterne, nicht besonders groß gewachsene, aber muskulöse Jugendliche steht also im Umkleideraum seines persönlichen Dream Teams, der Minnesota Vikings. Nichts erinnert an die „Locker Room Scenes“ aus den Hollywoodfilmen: keine Mannschaftskameraden mit Handtüchern um den Hüften, keine Schwaden von Wasserdampf aus den Duschen, keine schlüpfrigen Witze. John ist allein im Umkleideraum. Als er sich komplett ausgezogen hat, greift er in seine Sporttasche. Er holt eine fast drei Kilogramm schwere, verchromte Eisenkette und ein Vorhängeschloss hervor. Beides hat er am Tag zuvor bei einem örtlichen Eisenwarenhändler erstanden. John legt sich die schwere Kette um die Hüften und zieht sie so fest wie möglich zu. Dann fixiert er die Kette mit dem Vorhängeschloss. Anschließend zieht er seine Unterhose und seine Trikothose darüber. Ein banger Kontrollblick vor dem Spiegel: Sieht man etwas? Nein, man sieht nichts. John kann sich auf den Weg zur Waage machen.

      GEWOGEN UND FÜR ZU LEICHT BEFUNDEN

      John Randle – denn von niemand Geringerem berichte ich hier – war in den Neunzigerjahren einer der Superstars der National Football League. Als Jugendlicher musste er sich immer dasselbe anhören: „Für einen Football-Verteidiger bist du zu klein und zu leicht“, meinten die Trainer. „Vergiss es, Junge!“ Nur den guten Beziehungen seines älteren Bruders Ervin, der es bereits zum NFL-Profi gebracht hatte, verdankte es John, dass sich die Spitzenvereine überhaupt mit ihm beschäftigten. Doch das Urteil lautete zunächst immer gleich: zu leichtgewichtig für einen Verteidiger auf der angestrebten Position. Weil Johns großer Bruder aber unbeirrbar an das Talent des jüngeren Bruders glaubte, nutzte er stets aufs Neue seine Kontakte innerhalb der NFL. So kam John Randle schließlich in Kontakt mit Floyd Peters, der zwischen 1986 und 1990 Co-Trainer und „Defensiv-Koordinator“ der Minnesota Vikings war. Die Vikings standen damals in dem Ruf, die schwächste Defensive der NFL zu besitzen. Sie brauchten dringend neue Verteidiger. Peters, ein Football-Urgestein, blieb trotzdem wählerisch. Was nützten ihm auch irgendwelche Verteidiger? Er brauchte die besten, damit eine sichere Defensive die Basis für den erneuten Erfolg der Mannschaft sein konnte.

      Als John Randle zum ersten Mal nach Minneapolis reiste und Floyd Peters vorgestellt wurde, wog er 245 amerikanische Pfund. Das sind immerhin 111 Kilogramm, ein stolzes Gewicht für einen Jugendlichen. Zumal, wenn er, wie in diesem Fall, kaum ein Gramm Fett mit sich herumschleppt und es die Muckis sind, welche die Waage nach unten drücken. Doch Floyd Peters hatte für den dunkelhäutigen Jugendlichen nur ein mitleidiges Lächeln übrig. 245 Pfund? Ein Witz! American Football ist schließlich nicht so eine Warmduscher-Sportart wie Fußball. Hier laufen Kleiderschränke von Männern frontal aufeinander zu und versuchen, den Gegner einfach umzurennen. Und das ist vollkommen regelkonform!

      „Komm in einem Monat wieder“, sagte Peters. „Wenn du dann 250 Pfund wiegst, bekommst du eine Chance, dich zu bewähren.“

      Vier Wochen später war der junge John Randle zurück in Minneapolis und den Tränen nahe. Trotz aller Anstrengungen, noch mehr Muskelmasse aufzubauen, wog er unverändert 245 Pfund. Da kam er am Tag vor dem entscheidenden Training an einem Eisenwarengeschäft vorbei und hatte die Idee mit der Kette.

      Zurück zur „Locker Room Scene“: John hat den Bereich mit den Spinden verlassen und steht nun auf der Waage. Er atmet flach. Seine Nerven sind aufs Äußerste angespannt, kleine Schweißperlen treten ihm auf die Stirn. Der für das Wiegen zuständige Assistent des Trainerstabs kennt so etwas. Etliche junge Männer bekommen hier nur eine einzige Chance – und sind vorher fast immer so nervös, dass sie sich fast in die Hosen machen. Dass John ein Faker ist, der gerade panische Angst vor seiner Entlarvung hat, ahnt der Assistenztrainer nicht. Der amerikanische Puritanismus spielt John jetzt übrigens in die Karten: Denn man wiegt sich nicht etwa textilfrei, um das exakte Körpergewicht zu ermitteln. Nein, die Hosen bleiben an, damit niemand sündigen Gedanken verfällt. Unter der locker sitzenden Trikothose übersieht der Assistenztrainer die schwere Kette um Johns Hüften.

      Nach dem Wiegen geht John zurück zu seinem Spind, nimmt die Kette wieder ab – gefühlt sicher um weit mehr als drei Kilo erleichtert – und zieht sein Trikot komplett an. Dann geht er hinaus auf den Rasen. Floyd Peters hat ihn sofort im Auge.

      „Wie viel wiegt er?“, ruft Peters grantig in Richtung des Assistenztrainers, der John gerade gewogen hat.

      Der Assistent lakonisch: „251.“

      Floyd Peters geht zu dem jungen John Randle und schaut ihm in die Augen. Der Blick des Defensiv-Trainers ist immer noch voller Misstrauen.

      „Okay“, grummelt Peters schließlich, alles andere als begeistert. „Du bekommst eine Chance, dich zu bewähren.“

      Noch bevor John grinsen kann, fügt der Trainer hinzu: „Los, ab zum Warmlaufen!“

      DIE KORREKTUR DES SCHICKSALS

      Im Französischen gibt es die schöne Redewendung corriger la fortune. Sie lässt sich mit der deutschen Entsprechung „dem Glück auf die Sprünge helfen“ nur unzureichend übersetzen. Denn im Deutschen fehlt das Element der „Korrektur“ – und das ist in meinen Augen das entscheidende. Corriger la fortune taucht als Wendung zum ersten Mal in einer Satire des französischen Schriftstellers Nicolas Boileau aus dem Jahr 1665 auf. Es geht darin um einen heruntergekommenen Adeligen, der heimlich die Porträts seiner Ahnen verhökert, damit man ihm den finanziellen Niedergang nicht anmerkt. Berühmt gemacht hat den Ausdruck dann Gotthold Ephraim Lessing in seinem Lustspiel „Minna von Barnhelm“. Auch hier geht es um eine finanziell abgebrannte Existenz, die ihr scheinbar schon besiegeltes Schicksal mit Minnas Hilfe noch einmal zu „korrigieren“ versucht. Für die kleine Täuschung, die John Randle in seiner Jugend begangen hat, um Defensivspieler in der National Football League werden zu können, finde ich den Ausdruck „das Schicksal korrigieren“ sogar noch treffender als angesichts eines drohenden finanziellen Ruins. Solch eine kleine „Korrektur“ bei den Voraussetzungen für eine Karriere vorzunehmen, die einem geradezu schicksalhaft vorbestimmt erscheint, ist auch das prototypische Verhalten eines Fakers.

      Der jugendliche John Randle wusste, dass er das Zeug zu einem Spitzenverteidiger hatte. Mehr noch: dass er nur auf einer ganz bestimmten Position – „Defensive Tackle“ genannt – sein größtes Leistungspotenzial abrufen konnte. Ein ungeschriebenes Gesetz des American Football wollte es aber, dass diese Position ausschließlich mit hünenhaften Muskelpaketen besetzt wurde. John Randle war zwar kräftig, aber eher klein und brachte entsprechend weniger Gewicht auf die Waage. Eine andere Position kam für den jungen Mann aus Texas jedoch nicht infrage. Wie alle meisterhaften Faker war er zutiefst von seinem Potenzial überzeugt. Er wusste auch genau, wo er es am besten einbringen konnte. So war der Jugendliche zu seinem Fake geradezu gezwungen. Der Fake eröffnete ihm einen Weg, eine aus seiner Perspektive unsinnige Regel zu umgehen, damit Wirklichkeit werden konnte, was seine Bestimmung schien. An dieser Stelle wird noch einmal deutlich, was den Faker vom Betrüger und vom Hochstapler unterscheidet: Auf den ersten Blick wirkt die Sache mit der Kette wie ein Betrug. Doch auf den zweiten Blick zeigt sich: Der Faker räumt lediglich ein Hindernis aus dem Weg, das ihn davon abhält, sein Können unter Beweis zu stellen. Im Gegensatz zum Betrüger und zum Hochstapler strebt der Faker etwas an, das ihm moralisch zusteht.

      Wie alle Faker gab auch der jugendliche John Randle ein Versprechen an sich selbst und an den Markt ab. Nachdem er sich seine Chance erschummelt hatte, musste er liefern, und zwar schnell. Wörtlich sagte sein Trainer Floyd Peters zu ihm: „We’ll give you a shot.“ Diese amerikanische Redewendung bedeutet nicht, dass man es geschafft hat. Sondern dass man eine – kleine – Chance bekommt, sich zu bewähren. Man hat „einen Schuss frei“. Was tat Randle, um diese Chance zu nutzen und sein Versprechen möglichst

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