Make the Fake.. Zulehner Christoph
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Ich bin mir sicher, jedem von Ihnen fällt eine Fake-Geschichte aus Ihrer Vergangenheit ein. Vielleicht beim Bewerbungsgespräch, als Sie gefragt wurden, ob Sie die Datenbanksoftware XY beherrschen. Als Sie Ihren ersten Kunden bedient haben. Als Sie zum ersten Mal ohne Fahrlehrer Auto gefahren sind … Wenn Ihnen eine solche Geschichte einfällt, dann denken Sie doch einmal darüber nach, was anschließend passiert ist – als Sie das nächste Mal in eine solche Situation kamen und wieder faken mussten. Da waren Sie schon deutlich entspannter, oder? Das war bei mir ganz genauso: Nicht lange nach dem Ende meiner Ausbildung als Krankenpfleger packte mich die Lust, das, was ich gelernt hatte, auch weiterzugeben. Ich fand das zwar sehr kühn, mich frisch diplomiert als Lehrer vor Schüler hinzustellen, die zum Teil älter waren als ich. Und ja, auch die Angst flammte wieder auf. Aber meine Entscheidung traf ich freiwillig, sehr bewusst und auch mit einer gewissen Lust. Denn ich hatte ein Ziel: Ich wollte vorwärtskommen. Mich weiterentwickeln. Nicht nur Krankenpfleger bleiben. Und ich hatte gelernt, dass das ohne den Fake ein Ding der Unmöglichkeit sein würde.
Also schlüpfte ich in die Rolle des Lehrers und agierte nach dem Motto: If you want to reach it, you´ve got to teach it. Die dafür vorgesehene Uniform – weiße Hose, weißes Hemd, weißer Mantel – gab mir das Gefühl, eine Ritterrüstung zu tragen, so sicher und geschützt fühlte ich mich darin. Mit dem weißen Mantel zog ich mein Selbstvertrauen an. Er war wie eine Maske für mich, hinter der ich mich leichter zu dem entwickeln konnte, der ich sein wollte. Mein damaliges Ziel – ein guter Lehrer an der Krankenpflegeschule zu werden – blieb hinter dieser Maske verborgen. Meine Botschaft an meine Schüler war nicht: Seht her, ich werde irgendwann einmal ein guter Lehrer sein. Sondern meine Botschaft lautete: Seht her, ich bin ein guter Lehrer. Ich habe das drauf, was ihr lernen wollt. Mein weißer Mantel ließ mich fast vergessen, wie leuchtend grün ich hinter den Ohren noch war.
WER KEIN EXPERTE IST, BEKOMMT KEINEN FUSS MEHR AUF DEN BODEN
Der Fake an sich ist keine neue Erfindung. Seit jeher geben Menschen vor etwas zu sein, wovon nicht sicher ist, ob sie es einlösen können. Die Inszenierung hat nicht Shakespeare erfunden, sondern ein Mensch, der in seiner Umgebung eine bestimmte Rolle einzunehmen hatte. Auch umgekehrt war es schon immer so: Menschen haben anderen Menschen aufgrund dieser Inszenierung Vertrauen geschenkt. Die Kulturtechnik Fake besteht aus dem Wechselspiel von Zutrauen und Vertrauen. „Der wird das schon richtig machen, immerhin ist er der Arzt!“ „Ihr vertrauen wir, sie ist die Staranwältin!“ „Auf ihn verlassen wir uns, er ist der Kapitän!“ „Sie ist die beste Projektmanagerin, die es für dieses Vorhaben gibt!“
Zu diesem Schein gehören übrigens nicht nur die entsprechende Kleidung und vielfältige Statussymbole, sondern auch ganz bestimmte Rituale. Wer beispielsweise in einer Arztpraxis lange im Wartezimmer gewartet hat, schließlich ins Arztzimmer gebeten wird und noch einmal warten muss, bis der Arzt dann endlich auch erscheint, der fühlt: Ich bin hier nicht der Maler, sondern die Leinwand. Gleich ist es so weit, der Herr Doktor kommt. Er schenkt mir seine wertvolle Zeit. Nur er kann mir helfen!
Zum Fake gehören immer beide Seiten: einer, der dank seiner Uniform und seines Auftretens den Anschein erweckt, als könne er das, was er tut. Und einer, der dem Gegenüber mit dem richtigen Auftreten, dem richtigen Habitus, den richtigen Ritualen zutraut, das gut zu können, wofür er ihn braucht, ihn engagiert, sich ihm anvertraut. Verantwortungsgefühl auf der einen Seite, Vertrauen auf der anderen: Das ist der gesellschaftliche Nährboden für den Fake.
Unsere Arbeitswelt spezialisiert und subspezialisiert sich immer stärker. In meinem Bereich, dem Gesundheitswesen, ist das ganz offensichtlich. Vor wenigen Jahren gab es noch Allgemeinchirurgen oder Allgemeininternisten. Heute gibt es nur noch Kniechirurgen, Handchirurgen, Wirbelsäulenchirurgen, Rheumatologen, Kardiologen oder Nephrologen. Und das ist auch kein Wunder: Unser Wissen verdoppelt sich alle vier bis fünf Jahre. Nicht nur das der Mediziner, sondern auch das aller anderen Fachrichtungen. Als arbeitender Mensch haben Sie genau zwei Möglichkeiten: Entweder Sie verdoppeln Ihr Fachwissen ebenfalls alle vier bis fünf Jahre – zeigen Sie mir den, der das schafft, und ich gebe Ihnen einen aus! – oder Sie spezialisieren sich.
Je mehr wir uns also in Richtung einer Dienstleistungsgesellschaft entwickeln, die von Wissen lebt, umso mehr sind wir gezwungen, zu Spezialisten für unsere Fachgebiete zu werden. Und diese Spezialisierung mündet letztendlich in die Expertise.
Wer sich spezialisiert, kommt früher oder später zwangsläufig an den Punkt, an dem er die Fahne hochzieht, auf der steht: „Ich bin Experte!“ Diese Expertenbeflaggung ist nicht nur als Signal für Arbeitgeber oder Kunden wichtig. Sondern auch als Signal an Kooperationspartner. Denn Spezialisierung geht automatisch mit Kooperation einher. Je allgemeiner ich tätig bin, je mehr Fähigkeiten ich selbst bis zu einem gewissen Grad abdecken kann, weil mein Business nicht so sehr in die Tiefe geht, desto weniger muss ich mit anderen kooperieren. Je spezialisierter ich allerdings arbeite, desto mehr muss ich kooperieren, mich mit anderen koordinieren – und akzeptieren, dass ich mich in Ko-Kompetenz mit anderen befinde.
Das heißt wiederum: Ich muss mich aus der Deckung trauen. Ich muss die Fahne hochziehen und mich als Experte oder Spezialist für dieses oder jenes Fachgebiet sichtbar machen. Und ich muss Kulturtechniken entwickeln, um mich als Spezialist oder Experte zu präsentieren und in diesem Feld zu bewegen – damit andere auf mich aufmerksam werden und auch wissen, wofür ich Experte bin. Selbstvermarktung ist die Devise. Und sobald ich das tue, beginnt der Fake.
Der Fake ist so etwas wie die Vertriebstechnik des Experten. Er dient dazu, die im Entstehen befindliche Expertise an einer Person zu „befestigen“. Wer sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten will, der kann gar nicht anders, als zu einem gewissen Zeitpunkt ein Faker zu werden. Der eine früher, der andere später. Es gibt keine Alternative zum Fake. Jedenfalls ist mir keine bekannt. Der Fake macht Karrieren. Er ist keine hinreichende, aber eine notwendige Bedingung des Erfolgs. Er ersetzt nicht die Qualifikation – das wäre Hochstapelei. Doch er schafft die Voraussetzungen dafür, dass die Qualifikation überhaupt zum Tragen kommt. Das gilt übrigens branchenunabhängig. Ganz egal, wo Sie hinschauen, ob in der IT, in der Medizin, bei Steuerberatern oder auch den Rechtsanwälten: All diese Berufsbezeichnungen gibt es in ihrer ursprünglichen Form kaum noch. Dafür gibt es heute: Verkehrsrechtsexperten, Strafrechtsexperten, Scheidungsexperten und Zivilrechtsexperten. Nicht anders in den nichtakademischen Berufen: KFZ-Mechaniker? Das ist so letztes Jahrtausend! Heute gibt es Automobil-Mechatroniker für Personenkraftwagentechnik, Nutzfahrzeugtechnik, Motorradtechnik, System- und Hochvolttechnik oder Karosserietechnik.
Ganz gleich, in welcher Branche Sie sich umschauen: Experten, soweit das Auge reicht.
Besonders ausgeprägt ist der Expertenwahn in der Berater- und Coaching-Branche. Weil es heute nun mal nicht ohne geht, durchlaufen alle Berater und Coaches Positionierungsworkshops, entwickeln ihre Ich-Marke und werden dann Experte für Kundenbegeisterung, Experte für Körpersprache, Experte für Selbstoptimierung, Experte für krause Ideen oder Experte für den Weg zurück. Geben Sie bei Google einfach mal „Experte für“ als fest vorgegebene Wortfolge ein – Sie werden staunen, was Ihnen die Suchmaschine alles als Ergänzung anbietet. Ich versichere Ihnen: Die Beispiele, die ich Ihnen hier schon genannt habe, gehören noch zu den geläufigeren Varianten!
Der Zwang, als Experte auftreten zu müssen, hat einer anderen Spezies fast schon die Existenzberechtigung geraubt: Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass man sich als Generalist zusehends verdächtig macht?