Gesundes Gift. Franz Kabelka

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Gesundes Gift - Franz Kabelka

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den von ihr provozierten Eklat gleich wiedergutmachen zu wollen. Eine spontane Einladung war das Einzige, was ihr auf die Schnelle einfiel.

      „Weißt was, als Entschädigung kommst nächste Woche mit auf unser Symposium, okay? Ich weiß doch, wie du auf so was stehst. Mindestens fünf Stunden Philosophie am Stück. Wer, wenn nicht du, ist dafür der Richtige?“

      VMV, der Vienna Medienverlag mit seinem knappen Dutzend an Zeitungen und Zeitschriften, wollte sein zwanzigjähriges Jubiläum mit einem Symposium feiern. Thema: Risken und Chancen des Unvorhersehbaren. Drei hochkarätige Referenten waren dafür angekündigt sowie eine abschließende Podiumsdiskussion, das volle Programm. God himself, im Zivilberuf Chefredakteur von opinion und gesegnet mit dem zu seiner Statur passenden Namen Fillinger, hatte ausdrücklich betont, dass nicht nur sämtliche Journalisten und Verlagsbedienstete eingeladen seien, sondern auch deren Angehörige, Freunde und Verwandte. Und irgendwo dazwischen war ja wohl auch Friedas knuddeliger Lapp anzusiedeln.

      Leo war selig über die Einladung. Einem Privatgelehrten wie ihm, der seit Äonen Die Zeit abonniert hatte und diese auch las, der etliche Philosophen zu seinen persönlichen Freunden zählte und keinen öffentlichen Diskurs versäumte, konnte man damit echt Freude machen. Frieda selbst hätte auf das Brimborium gut und gerne verzichten können. Mit ihren Kollegen und Vorgesetzten musste sie nicht auch noch am freien Samstagnachmittag zusammenhocken, aber immerhin: So hatte man wenigstens zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Und dass der Veranstalter nur die besten Tröpfchen und ein erlesenes Buffet auffahren lassen würde, galt als gesichert.

       *

      Sie saßen in dem aus architektonischer Sicht nicht einmal üblen neuen Veranstaltungssaal im zweiten Bezirk und lauschten den einleitenden Grußadressen. Zuerst gab ein abgetakelter ORF-Reporter in seiner Funktion als Moderator den Ablauf der Veranstaltung bekannt; danach redeten, natürlich allesamt länger als vereinbart, die grüne Vizebürgermeisterin, ein launiger Vertreter der Gewerkschaft und Minister Steindlinger, der die Bedeutung des Vienna Medienverlags für die österreichische Printbranche nicht genug betonen konnte. Wahrscheinlich hofft der Gute, dadurch künftig ein wenig besser in den diversen Organen des VMV abzuschneiden, spekulierte Frieda. Wegen der leidigen Inseratenkampagne, die im Untersuchungsausschuss abgewürgt worden war, hielten sich die Ministerien derzeit ja etwas zurück mit Einschaltungen, welche die Hofberichterstattung fördern sollten.

      Endlich waren die Grußadressen erledigt, und der Moderator kündigte die erste Referentin an: eine Frau Dr. Riemer aus Deutschland, die ihr Philosophie- und Sprachstudium summa cum laude abgeschlossen habe.

      Als die blonde Dame mit ihrem Headset die Bühne betrat und sich einige Meter vom Rednerpult entfernt platzierte, um zu demonstrieren, dass sie sich nirgendwo anhalten musste, ging ein Raunen durch den Saal: Eine solch hübsche Philosophin hatte man seit der lesbischen Sappho nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Sie charakterisierte sich selbst als praktische Philosophin, die nicht nur ein Beratungsinstitut leite und wissenschaftlich tätig sei, sondern auch einmal pro Woche im Krankenhaus, Sparte Onkologie, arbeite. Nach Eigendefinition eine postanalytische Dekonstruktivistin und, wie sie zu vermitteln versuchte, eine mit unendlicher Erfahrung. Wie alt die Tussi wohl ist, fragte Frieda sich und holte den Programmzettel hervor. Aber das Alter der Referenten war darauf nicht vermerkt, nur deren wichtigste Publikationen.

      DDr. Riemer sprach frei und nach allen Regeln der Kunst. Das heißt nach den Regeln der Rhetorik, die sie zweifellos beherrschte. Sie benötigte keinen Spickzettel, artikulierte klar und deutlich, ihre Stimme kippte nie und sie verstand es, mimisch zwischen ernstseriös und lächelnd-vereinnahmend zu changieren. Ihre Gesten unterstützten das Gesagte, ohne zu übertreiben, und die Pausen setzte sie geschult an der richtigen Stelle. Perfekt, ohne Frage, ein seltener Fall von femininer Selbstsicherheit und Bühnenpräsenz. Aber irgendetwas begann bei Frieda Widerstand zu erregen. Sie blickte zu Leopold hinüber, der sein allzeit bereites Notizbuch, das sie ihm letzte Weihnachten geschenkt hatte, aufgeklappt auf dem Schoß liegen hatte. Offenbar hatte er sich bisher noch kein Wort notiert und blickte unverwandt in Richtung Podium. Ob die Schönheit der Referentin ihn so ablenkte, dass er aufs Mitschreiben verzichtete? Als die doppelte Doktorin davon berichtete, ihre jeweiligen Krebspatientinnen gleich zu Beginn der gemeinsamen philosophischen Diskurse mit der Frage Wofür leben Sie? zu konfrontieren, begannen sich bei Frieda die Haare aufzustellen. Und was machst du, wenn eine deiner Patientinnen dir diese Frage zurückgibt? Oder wenn eine doppelt so alte wie du, mit dem Tod Ringende dich verzweifelt anschaut? Zuckst du dann vielleicht doch ein klein bisschen zusammen, wischst du dir die blonde Mähne dann nicht mehr ganz so kokett aus der Stirn?

      Frieda verspürte den heftigen Impuls, den Saal zu verlassen. Nicht, weil ihr nach einer Zigarette zumute war, sondern aus dem Gefühl heraus, der aalglatten, geschniegelten Atmosphäre entkommen zu müssen, dieser Mischung aus Selbstinszenierung und gepflegter akademischer Zitiermanie (ein bisschen Nietzsche hier, ein bisschen Seneca da). Aber hatte sie sich nicht geschworen, dieses Mal durchzuhalten, komme, was da wolle? Um sich zu beweisen, dass sie noch gesellschaftsfähig war, und, ja vielleicht, auch ein bisschen Leo zuliebe? Sie atmete tief durch. Von Odysseus war jetzt die Rede, von der Unberechenbarkeit seiner Irrfahrt, die er auf sich genommen und trotz aller Fallen und Gefahren glücklich zu Ende gebracht habe. Und wie erging es seinen Gefährten? Kamen sie nicht allesamt dabei ums Leben?

      Als hätte die Referentin Friedas stillen Einwand gehört, erläuterte sie, dass es genau darum nicht gehe. Die von Skylla Verschlungenen oder vom Zyklopen Erschlagenen seien Randfiguren in diesem Mythos, im Zentrum stünde die freiwillige Annahme des jeweiligen, noch so harten Schicksals. Das, und nur das gewähre Freiheit, die Freiheit des Geistes über alle irdischen Bedingtheiten. Das Akzeptieren der eigenen Unzulänglichkeit, der existenziellen Grenzsituation gelte es jeden Tag aufs Neue zu erproben und dem Unberechenbaren, Unerwarteten unerschrocken ins Auge zu sehen. Sich, um im Bild zu bleiben, dem fürchterlichen Blick des Zyklopen auszusetzen, nur um ihm bei der ersten sich bietenden Gelegenheit mutig den Pfahl ins Auge zu rammen. Auch wenn diese Odyssee zehn Jahre dauern möge oder länger. Und so weiter, und so fort …

      Nachdem die schöne Philosophin unter tosendem Applaus die Bühne verlassen hatte, folgte das Referat eines schon leicht ergrauten, aber umso arrivierteren Kriegsberichterstatters, der Frieda sofort an Bernd Lussnig erinnerte. Er erging sich in zahlreichen Anekdoten über die Unwägbarkeiten in arabischen und afrikanischen Kriegsgebieten und betonte, keineswegs aus selbstzerstörerischen Tendenzen heraus immer wieder solch lebensfeindliche Schauplätze aufzusuchen. Warum dann, das sagte er nicht. Nach der dritten Geschichte, in der der edle Held wieder nur um Haaresbreite einem Anschlag oder einer Entführung entkommen war, schaltete Frieda innerlich ab.

      Von welchen verdammten Risken und Chancen war da eigentlich die Rede? Welche Präpotenz brauchte es, nach der glücklichen Heimkehr ins sichere Mitteleuropa vom Umgang der Kriegsopfer mit ihren Ängsten und Nöten zu schwafeln? War das nicht auch das Dilemma aller Promiberichterstatter: dass sie den eigenen Standpunkt, die eigene Wahrnehmung mit jener der direkt Betroffenen gleichsetzten? Dass sie ihr eigenes Davongekommensein mit anekdotengewürzten Referaten zu entschuldigen suchten? Es konnte einem übel werden davon, speiübel!

      Wissend, dass sie soeben wieder einmal im Begriff war, einen Schwur zu brechen, erhob sie sich von ihrem Sitz und bat Leo, sie hinauszulassen.

      „Ich muss nur schnell mal wohin.“

      Aber sie kehrte nicht zurück. Schnappte sich stattdessen im Foyer, wo die Kellner bereits damit beschäftigt waren, das Buffet aufzubauen, ohne zu fragen, ein Glas Weißwein und flüchtete damit hinaus in den begrünten Innenhof. Hier würde sie warten, bis der dritte Vortrag, in dem eine Klimaforscherin über die Grenzen der Wissenschaft sprechen sollte, vorbei war. Bei Leo würde sie sich halt für ihre abermalige Desertion entschuldigen müssen. Vielleicht würde er sie dafür mit dem traurigsten Hundeblick bestrafen, zu dem er fähig

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