Bilanz einer Lüge. Christopher Stahl

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Bilanz einer Lüge - Christopher Stahl

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aus Glas führte. Ich war schockiert, als ich ihn sah. Was war aus dem stets adretten Mann geworden, dessen positiver Ausstrahlung man sich nicht entziehen konnte? Seiner Kleidung nach zu urteilen, war er bereits auf Feierabend eingestellt: Er trug eine ausgebeulte Cordhose in einem undefinierbaren bräunlichen Ton, dazu ein Holzfällerhemd und darüber eine abgewetzte Wollweste. Dieses Ensemble hatte auch schon bessere Tage gesehen. Unfraglich waren Kleidung und sein allgemeines Aussehen absolut authentisch. Der 64-Jährige ewige Junggeselle sah in seiner gebeugten Haltung und mit der fahlen, fast gelblichen Haut gut und gerne zehn Jahre älter aus. Da half es auch nicht, dass er sein noch volles Haar rabenschwarz färbte.

      Das Wohnhaus lag oberhalb der beiden Betriebsgebäude, getrennt durch die Firmenparkplätze und einen etwa 20 Meter breiten, ungepflegten Rasenstreifen. Er wurde aufgelockert durch ein paar vor sich hin kümmernde Rosenstöcke.

      Dem Zeitstil der frühen 60er Jahre entsprechend war das Haus als Bungalow konzipiert worden. Alleine schon die geschwungenen, schmiedeeisernen Gitter vor den Fenstern, die blauen, glänzend gebrannten Hohlpfannendachziegel und die edlen Außenleuchten offenbarten, dass Gisela Arnold damals bei der Ausstattung nicht gespart hatte. Ein Renovierungsstau war allerdings auch nicht zu übersehen. Die kupfernen Dachrinnen und Fallrohre wiesen undichte Stellen auf und schrien geradezu nach Reparatur und teilweise auch Erneuerung. Ebenso die Fensterrahmen, von denen die Farbe abblätterte und bereits verrottete Stellen sichtbarwaren. Auch an der breiten Marmortreppe hätte es an einigen Stellen einer Restaurierung bedurft.

      Gero Arnold forderte mich mit einer einladenden Geste dazu auf, ihm zu folgen. Durch die überdimensionierte Eingangshalle führte er mich ein riesiges, langgezogenes Wohnzimmer. Eine schwere, lederne Sitzgarnitur bestehend aus Couch, drei Sesseln und dazwischen einem niedrigen Tisch verlor sich trotz ihrer Masse im Raum. Über die eine Wand erstreckte sich ein überdimensionales Bücherregal, das wie der Couchtisch aus Eiche rustikal P43 gefertigt war. Ein futuristisch anmutender LED-Fernseher zog meinen Blick auf sich. Darunter entdeckte ich den gleichen Satellitenempfänger mit integrierter Festplatte als Speichermedium, wie ich ihn auch hatte.

      Die gegenüberliegende Seite des Raums hätte ein märchenhaftes Motiv für eine Bildtapete ergeben: Durch die Glasfront, die die gesamte Länge des Raumes einnahm, hatte man einen grandiosen Blick über die Terrasse auf die Siefersheimer Weinlagen, das Goldene Horn und den Höllberg.

      Jetzt erst bemerkte ich den Geruch eines schweren Parfums. Ich empfand ihn als störend. Nicht etwa, weil er unangenehm war. Er passte nur nicht zu einem Mann und schon gar nicht zu Gero Arnold, wie er sich hier präsentierte.

      Wir nahmen jeder auf einem der Sessel Platz. Auf dem Couchtisch hatte Gero Arnold bereits einige Unterlagen, Zeitungsausschnitte, Briefe und Fotos ausgebreitet. Doch bevor wir zum eigentlichen Grund meines Besuches kamen, wurde einem unerlässlichen, rheinhessischen Ritual Tribut gezollt.

      „Rot oder weiß? Ich habe hier einen Riesling, eine trockene Spätlese. Aus der Lage, Siefersheimer Heerkretz. Vom Weingut Gebert.” Gero Arnold deutete auf die Kühlbox, aus der ein grüner Flaschenhals herausragte. „Auf Porphyr angebaut”, betonte er.

      Porphyr? Ich grinste ihn wissend an, als sei mir die Bedeutung bekannt. Ich nahm mir vor, mich im Internet schlau zu machen.

      „Oder lieber den hier?”, unterbrach er meinen Gedanken. „Ein Blauer Frühburgunder? Im Holzfass gereift. Vom Weingut Sommer. Ich kaufe gerne die Weine von hier. Man kennt die Winzer, die Lagen. Ich sehe beim Spaziergang durch die Weinberge, wie sehr auf ökologische Verträglichkeit geachtet wird. Und wenn ich will, kann ich beim Keltern zusehen und im Weinkeller den ersten Jungwein verkosten. Und dann erst den Federweißer.” Er verdrehte genießerisch die Augen nach oben, bevor er mir die bereits geöffnete Flasche mit dem Frühburgunder hinhielt.

      „Welchen nehmen Sie?”, wollte ich wissen.

      „Den Roten. Sie wissen ja: Rotwein ist für alte Knaben …”

      Ich schloss mich seiner Wahl an. Ein Zuprosten, ein nachschmeckendes Verkosten und wir konnten uns endlich dem eigentlichen Thema zuwenden.

      „Herr Schäfer, ich weiß inzwischen nicht mehr, was ich tun soll. Die Polizei kann oder will nicht helfen. Der Rechtsanwalt, für den ich alles aufbereitet habe”, er wies auf die auf dem Tisch ausgebreiteten Unterlagen, „hat die Segel gestrichen. Der beste Rat, den er mir anscheinend geben konnte oder wollte, war, einen Privatdetektiv zu beauftragen. Aber was weiß ich, an wen ich da gerate. Sie aber … wissen Sie, meine Mutter hielt große Stücke auf Sie. Und auch ich habe grenzenloses Vertrauen in ihre Integrität und Verschwiegenheit.”

      Es war mir peinlich und ich winkte ab.

      „Nein, nein”, er lächelte mich an, „was Recht ist, muss Recht bleiben. Sie haben uns niemals enttäuscht und waren immer für uns da.”

      Seine erneute Beweihräucherung war mir inzwischen unangenehm. Ich zog es vor, zur Sache zu kommen. „Was haben Sie denn selbst unternommen, um den Ursachen auf den Grund zu gehen?”

      „Natürlich habe ich versucht, den offenkundigsten Ereignissen nachzugehen. Teilweise waren sie erklärlich, da musste ich gar nicht erst nachfragen. Verpfuschte Aufträge, Liefertermine nicht eingehalten. Dass da selbst langjährige Kunden abspringen, mussich einfach akzeptieren. Aber auch Neukunden zogen ihre Aufträge mit fadenscheinigen Argumenten zurück. Irgendjemand schien Unsinn über mich und die Druckerei zu erzählen. Soweit ich es mitbekommen habe, sind die Kunden dann zu Knober gegangen. So wie einige meiner langjährigen Mitarbeiter. Zu Knober – das ist doch bezeichnend und gibt zu denken. Oder?”

      „Mit welcher Begründung?”

      „Nur ausweichende Antworten, Ausflüchte. Dem einen war die Anfahrtstrecke plötzlich zu lang, ein anderer beklagte die verschlechterten Arbeitsbedingungen.”

      „Und ist das so?”

      „Herrgott nochmal. Wir sind hier nicht auf einem Ponyhof. Es gab immer Probleme. Früher gehörte das zum Tagesgeschäft. Allerdings haben ja, wie Sie wissen, mehrere bewährte Mitarbeiter gekündigt. Die kannten das Geschäft noch von Anfang an und haben alle Entwicklungen mitgemacht. Die neuen Kräfte sind entweder Angelernte oder kennen sich nur noch mit den heutigen Betriebsmitteln aus. Die denken nicht mehr. Denen wird das Denken von den Maschinen weitgehend abgenommen.”

      In seiner Rage war er aufgestanden und ging nun auf und ab.

      „Aber wehe, wenn diese Maschinen nicht reibungslos funktionieren.”

      „Na ja, das haben sie ja auch nicht, oder?”

      „Ich war ja selbst überrascht davon. Ungewöhnliche Maschinenausfälle. Mal spielte die Software verrückt, mal hatten wir es mit mechanischen Ausfällen zu tun. Von der EDV habe ich ja nicht viel Ahnung, der traue ich auch nicht so. Aber die mechanischen Probleme …”, er schüttelte verzweifelt den Kopf und sah mich durchdringend an. „Wissen Sie, ich achte peinlich genau auf die Einhaltung der vorbeugenden Wartung. Das ist so etwas wie ein persönliches Anliegen von mir. Aber was hilft’s, wenn eine Welle steckt. Oder wenn sich plötzlich ein Sicherungsstift löst, obwohl er eigentlich arretiert ist.”

      „Ich würde gerne etwas besser verstehen, was in einer Druckerei abläuft. Was macht ein Drucker eigentlich heutzutage?”

      Seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass ihn meine Frage etwas verwunderte.

      „Also, in Kürze: Wir stellen die unterschiedlichsten Druckerzeugnisse her. Der Drucker bedient dazu ganze Systeme von Druckmaschinen. Zu seinem Arbeitsbereich gehören das Vorbereiten von Druckformen, Bedruckstoffen,

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