Bilanz einer Lüge. Christopher Stahl
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Er schüttelte irritiert den Kopf.
„Sehen Sie, und ich weiß nicht, was ein Fortdruck ist.”
Gero Arnold versuchte gar nicht erst, seinen Unmut zu verbergen: „Wenn´s denn hilft, erkläre ich Ihnen das halt.” Dann schob er aber doch noch ein „gerne” hinterher. „Zuerst kommt der sogenannte Andruck. Das ist ein Probedruck, mit dem die Qualität der Druckvorlagen überprüft wird, besonders bei mehrfarbigen Arbeiten an einer Druckmaschine. Wenn der Andruck dann vom Auftraggeber genehmigt ist, dient er dem Drucker an der Fortdruckmaschine als Vorlage für ein möglichst ähnliches Druckergebnis.”
„Wenn ich es richtig verstehe, ist ein Fortdruck der Druck der vereinbarten Auflage, nachdem alle vorbereitenden Arbeiten abgeschlossen sind und die Genehmigung zum Fortdruck durch den Besteller vorliegt.”
„Exakt!”
„Na, da war meine Nachfrage doch gar nicht so dumm.” Diese Spitze musste ich loswerden. „Die verpfuschten Aufträge, die Sie erwähnten, um was ging es dabei?”
Mit einem Seufzer ließ er sich wieder in seinen Sessel fallen. „Wir mussten komplette Produktionschargen vernichten. Mal stimmte die Schrifttype oder Schriftgröße nicht. Mal gab es Abweichungen in der Farbgestaltung. Bilder wurden an den falschenStellen platziert oder gar verwechselt. Fotos von Auftrag X landeten plötzlich im Auftrag Y. Sehen Sie selbst.”
Er wies auf zwei aufwändig gestaltete Flyer. „Das ist zu Mamas Zeiten nie vorgekommen.”
Ich begutachtete die Flyer: Eine Eröffnungsanzeige eines griechischen Restaurants – mit einem Bild von einem chinesischen Koch vor seinem Wok. Der andere Flyer warb für ein Toyota-Autohaus – mit einem Logo von Mercedes.
„Makulatur – beide Chargen. Mal eben Material und Arbeitszeit für 5.000 Euro durch den Kamin gejagt. Puff. Und das sind nur wenige Beispiele.”
„Aber Sie gehen doch den Mängelursachen nach, oder?”
„Klar doch. Wir haben ein Qualitätsmanagement-System und sind sogar ISO-zertifiziert. Wir halten uns an die Vorgaben.”
„Also betreiben Sie eine systematische Suche nach den Fehlerursachen”, stellte ich fest.
„Na ja”, er wog bedenklich den Kopf, „das ist so ein Schwachpunkt. Wir sammeln zwar erst einmal die Fehler, aber die Reparaturen und Neuauflagen der verpfuschten Aufträge haben natürlich Vorrang. Wenn wir die verärgerten Kunden überhaupt bei der Stange halten können. Der Flyer für das Autohaus ist in diesem Zustand”, er hielt ihn mir nochmals hin, „sogar ausgeliefert worden. Und zwar nicht an den Kunden, sondern an die Vertriebsgesellschaft, die für die Verteilung sorgt. Da”, er legte mir einen Zeitungsausschnitt vor, „das war natürlich ein gefundenes Fressen für eine Glosse. Und hier sogar verhöhnende Leserbriefe. Klasse Werbung, kann ich da nur sagen.”
„Sie müssen aber doch wenigstens eine Ahnung haben, wo die Ursachen liegen!”
„Ich sagte ja schon: Fehler bei den Mitarbeitern und bei der Software. Wir haben ein komplexes EDV-System. Von der Anfrage über Kalkulation, Angebot, Kundenauftrag, Produktionssteuerung bis hin zur Rechnungsschreibung läuft alles über die EDV.”
„Und?”
„Manche Aufträge verschwanden komplett nach ihrer Fertigstellung. Es kam auch vor, dass nur Teile davon, zum Beispiel Nachträge oder Änderungen, nicht mehr vorhanden waren. Sie waren einfach nicht mehr im System.”
„Mal abgesehen von der Chose mit dem Autohaus – wann stellen Sie so etwas fest? Oder besser, wer stellt das fest?”
„Meist erst dann, wenn der Kunde einen Liefertermin oder einen Mangel reklamiert. Und wenn dann noch Mitarbeiter ausfallen oder gar nicht mehr da sind, die den Kunden kennen oder den Auftrag ausgeführt haben, wird es ganz kritisch. Es ist hochnotpeinlich, beim Auftraggeber mit fadenscheinigen Erklärungen um eine Kopie der Auftragsbestätigung zu bitten.”
„Lässt sich das eingrenzen, zum Beispiel auf bestimmte Kunden, Auftragstypen oder Mitarbeiter?”
„Es handelte sich immer um größere Aufträge. Und um solche mit einem hohen Materialeinsatz. Bei Spezialpapier, Sonderformaten, aufwendiger Bindetechnik oder Ähnlichem.”
„Also dort, wo ein maximaler Schaden entsteht. Nicht nur für Ihre Reputation, sondern auch materiell. Um es betriebswirtschaftlich auszudrücken: Laufender Umsatz, potenzieller Umsatz und Materialeinsatz belasten den Ertrag.”
„Nicht zu vergessen die anonymen Anzeigen.” Er knallte mehrere Schriftsätze vor mir auf den Tisch. „Hier: Beschäftigung von illegalen Arbeitskräften. Und: Steuerhinterziehung wegen nicht deklarierter Bargeschäfte. Und hier: Verstoß gegen die Hygienevorschriften im Aufenthaltsbereich. Und da habe ich etwas besonders Feines: Strafvereitelung gemäß § 258 StGB, weil ich einem polizeilich gesuchten Straftäter Zuflucht gewährt und ihn bei mir beschäftigt haben soll. Aber damit nicht genug, hier habe ich noch eine Anzeige wegen des Verstoßes gegen die Arbeitssicherheit. Zoll, Gewerbeaufsicht, Finanzamt und sogar die Polizei gingen bei mir ein und aus. Und natürlich war auch immer die Presse sofort zur Stelle. Weiß der Teufel, wer die informiert hatte. Ein anonymer Anrufer, erklärte man mir.”
„Und sind das alles erfundene Anschuldigungen? Bei der Richtigstellung wegen der angeblichen Steuerhinterziehung konnten wir ja helfen.”
„Nichts, aber auch gar nichts von alledem stimmte. Aber Sie kennen ja den blöden Spruch: Wo Rauch ist, ist auch Feuer. Wer will denn mit so einem noch Geschäfte machen?”
Er entschuldigte sich: „Der Wein will raus” und verschwand mit hängenden Schultern durch einen Rundbogen in der Bücherwand.
Ich blickte resigniert auf die Unterlagen vor mir. Was sollte ich tun? Wie vorgehen? Ich wollte ihm ja helfen und herausfinden, was hinter den Vorkommnissen steckte. Aber dieses Gewirr von Ereignissen … Das konnte doch nicht nur eine Person angerichtet haben!
Natürlich blieb ihm mein Anflug von Mutlosigkeit nicht verborgen, als er wieder Platz nahm.
„Und ich habe keine Ahnung, wie das alles geschehen kann”, jammerte er, „außer …”
„Ja, das stinkt nach Sabotage. Aber da auch Mitarbeiter demotiviert sind und sich umorientieren, dürfen wir Abwerbung oder auch Mobbing nicht ausschließen. Herr Arnold, kann es …”, ich überlegte, wie ich es diplomatisch ausdrücken könnte und entschied mich dann doch für den direkten Weg, „… könnte es sich nicht eventuell auch um ein Führungsproblem handeln?”
„Herr Schäfer”, sein bis dahin eher larmoyanter Tonfall nahm plötzlich eine Schärfe an, die mir bedeutete, dass ich wohl in den Busch geschossen hatte, „ich benötige wasserdichte Fakten. Sabotage, Mobbing, wie soll ich denn das beweisen? Und von wegen Führungsproblem!” Aus seiner pointierten Wiederholung ließ sich selbst für den Unsensibelsten heraushören, dass er meine neutral gemeinte Frage als Vorwurf aufgenommen hatte.
„Ich kann doch nicht überall gleichzeitig sein. Konnten Sie das früher? Man muss sich doch auch auf seine Leute verlassen können. Und sie dürfen nicht außer Acht lassen, wie viel Zeit ich alleine dadurch verloren habe, dass ich mich mit der Polizei, dem Zoll,der Gewerbeaufsicht und dem Finanzamt rumschlagen musste. Das waren ja nicht nur die Befragungen und die Telefonate.