Bilanz einer Lüge. Christopher Stahl

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Bilanz einer Lüge - Christopher Stahl

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alle dem kann doch nur einer stecken: der Knober!”

      Zum zweiten Mal schon erwähnte er seinen schärfsten Konkurrenten. Doch als hätte er mit dem Namen ein heißes Eisen angefasst, zuckte er erschrocken zusammen.

      Unvermittelt änderte er anschließend Thema und Tonfall. „Darf ich nachschenken?” Er ergriff die Rotweinflasche, erhob sich und wollte mein inzwischen fast leeres Glas auffüllen.

      „Nein, danke”, ich deckte es mit meiner Hand ab. „Mehr als ein Glas trinke ich nicht, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin.”

      „Aber ich genehmige mir noch eines.” Es war schon sein viertes. Seine Hand zitterte leicht, als er sein Glas füllte. Er erhob es in meine Richtung, nickte mir zu, nahm einen tiefen Schluck und stellte es bedächtig ab. Dann lehnte er sich zurück. Ein oberflächlicher Betrachter dieser Szene hätte Gero Arnold als entspannt bezeichnet. Sein tiefes Einatmen und die kurzfristig geschlossenen Augen ließen jedoch seine innere Belastung erkennen.

      Ich war froh über die weitere kurze Pause. Ich gab vor, mich mit den Aufzeichnungen, die ich während seiner Ausführungen gemacht hatte, zu beschäftigen. Tatsächlich irritierte mich jedoch die Sprunghaftigkeit, mit der er mir seine Situation geschilderte hatte – unsortiert und unstrukturiert. Und vor allem, weshalb wurde er mit seinem Verdacht gegenüber Dieter Knober nicht konkreter?

      „Sie erwähnten, dass Dieter Knober dahinter stecken könnte. Wie ist denn Ihr Verhältnis zu ihm?”

      „Bis vor zwei Jahren gab es keine Berührungspunkte.”

      „Und dann? Was war dann?”

      „Seitdem hat er mich mehrmals angerufen, um sich mit mir zu verabreden. Er wollte mir ein Angebot machen. Für die Druckerei.”

      „Und haben Sie sich …?”

      Er unterbrach mich schroff: „… mit ihm getroffen? Wo denken Sie hin? Ich will mit dem nichts zu tun haben! Das habe ich ihm zig Mal gesagt.”

      „Gibt es Zeugen für die Telefonate?”

      Er überlegte kurz. „Nein, ich glaube nicht. Nein!”

      „Hat er Sie auf Ihre Misere angesprochen? Konnte man aus seinen Worten erkennen, dass er Sie in die Enge treiben will?”

      „Sie meinen im Sinne von: sturmreif schießen?”

      „Ja, das trifft´s.”

      „Direkt nicht, aber er wusste immer ganz schnell, wenn wieder etwas vorgefallen war. Als hätte er einen Zuträger im Betrieb oder beim Finanzamt, bei der Gewerbeaufsicht. Der hat offenbar überall seine Netzwerkkumpel.”

      „Wie wäre es”, fiel mir plötzlich ein, „wenn Sie auf das nächste Angebot eingehen und wir ihm dabei eine Falle stellen? So, dass er sich verrät.”

      „Wie wollen Sie denn das machen?”

      „Weiß ich noch nicht. Da wird mir schon etwas einfallen. Ich werde das mit einem Freund bei der Kripo Alzey besprechen und gebe Ihnen dann Bescheid.”

      „Hhm, klingt gut. Wir schlagen das Schwein mit seinen eigenen Waffen”, freute er sich, relativierte dann aber „wenn er wirklich dahintersteckt” und trank einen großen Schluck Rotwein.

      „Nicht doch noch einen?”

      „Nein, danke”, ich schüttelte den Kopf und wechselte dann das Thema: „Ihre Mutter hatte aber offenbar auch Berührungspunkte, wie Sie es nennen. Allerdings viel früher. Mit Sigurd Knober.”

      „Ja, sie hasste ihn wie die Pest. Aber fragen Sie mich nicht, weshalb! Mir gegenüber hat sie sich dazu nicht geäußert. Es ginge mich nichts an, hat sie gesagt, als ich einmal danach gefragt habe. Und es sei eine alte Geschichte, um die ich mir keinen Kopf machen sollte.”

      Ich nahm die Erklärung schweigend hin, obwohl mir eine innere Stimme sagte, dass Gero Arnold mir etwas verheimlichte. Denn seine Antwort klang zu sehr danach, als habe er meine Frage erwartet und sich vorbereitet. Sein Gesichtsausdruck hatte sich verhärtet. Nur kurzfristig, aber es war mir nicht entgangen. Ich hatte ihn bewusst genau beobachtet. Außerdem irritierte mich, dass er nicht den Grund meiner Frage wissen wollte. Und auch nicht, woher ich überhaupt wusste, dass seine Mutter und Dieter Knobers Vater sich gekannt hatten.

      „Hat Sigurd Knober eigentlich den Betrieb gegründet?”

      „Soviel ich weiß, hat er ihn gekauft.”

      „Im Gegensatz zu Ihrer Mutter. Ich habe sie ja immer bewundert. Ganz alleine, kurz nach dem Krieg und dazu noch als Frau.” Ich blickte ihn forschend an. „Darf ich Sie, bevor ich gehe, noch etwas ganz Persönliches fragen?”

      „Natürlich. Ich bin ja ohnehin fast schon so etwas wie ein offenes Buch für Sie.” Er lachte. Etwas zu gequält wie ich fand.

      „Ihr Vater – haben Sie ihn jemals kennen gelernt?”

      Statt einer Antwort stand er auf, ging zur Bücherwand und kam mit einem Foto zurück, das er mir reichte. Es steckte in einem kostbaren silbernen Bilderrahmen.

      „Das ist er. Oder besser, das war er.”

      Ich hielt das Bildnis eines jungen Soldaten in der Hand. Er trug eine schwarze SS-Ausgeh-Uniform und eine Schirmmütze. Auf dieser waren der silberne Parteiadler und ein Totenkopf zu erkennen. Ich schätzte ihn auf knapp 20 Jahre. Ich drehte das Foto um. Es war am 27. 05. 1939 von Foto Gerber, Dietz an der Lahn, aufgenommen worden. Ich reichte es Gero Arnold zurück, der es vorsichtig, fast liebevoll, entgegennahm.

      „Er ist kurz vor Kriegsende gefallen.” Er blickte dabei auf das Foto. „Bei einem Tieffliegerangriff der Amerikaner in der Nähe von Kronberg, im Taunus. Drei Monate vor meiner Geburt. Wenn man überlegt …”, er schüttelte den Kopf, „nur eine knappe Autostunde entfernt von Bad Kreuznach und einen Monat vor Kriegsendemusste es ihn noch erwischen. Da war er erst 23 Jahre alt.” Er sah mich durchdringend an. Seine Augen waren feucht. „Dieses Jahr wäre er 89 Jahre alt geworden. Er könnte heute vielleicht sogar noch leben. Mama und er waren noch nicht einmal verheiratet. Er war die Liebe ihres Lebens. Sie hat ihn bis zu ihrem Tod vermisst.” Für einen flüchtigen Moment hatten sich seine Gesichtszüge verhärtet. Danach verweilte sein Blick noch für einen Moment zärtlich auf dem Konterfei seines Vaters, bevor er es wieder in das Regal stellte.

      „Und so kam es, dass Mama und ich bis fast zu ihrem Tod alleine geblieben sind.” Er klang jetzt wieder gefasst und dennoch hatten seine Augen etwas Verträumtes, als er mir schilderte, wie sehr ihn seine Mutter geprägt und nach ihren Werten erzogen hatte. „So hätte es auch dein Vater gewollt sagte sie immer. Wenn ich so überlege, war er dadurch doch irgendwie immer mit dabei.”

      „Und Sie hatten nie den Wunsch nach einer eigenen Familie?”

      Er zögerte einen Moment. „Nein. Die Frage hat sich auch nie gestellt. Das heißt aber nicht, dass ich als absolutes Muttersöhnchen wie ein Mönch in Askese gelebt habe. Ich bin zwar Junggeselle, aber meine Bedürfnisse habe ich auch und kann ihnen nachgehen, wie ich will und wann ich will, ohne irgendwem darüber Rechenschaft ablegen zu müssen. Auch als Mama noch lebte, war das völlig unproblematisch. Ich hatte ja immer meinen eigenen Bereich hier im Haus, den sie respektierte. Aber eine dauerhafte Beziehung im Sinne einer Ehe, mit Kindern, das war nichts für mich. Vielleicht scheute ich auch die Verantwortung. Na ja, und heute ist

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