Bilanz einer Lüge. Christopher Stahl
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„Na ja, ich habe schon bessere komödiantische Ergüsse erlebt. Aber nicht von dir. Ziemlich laienhaft, aber dafür war es schon ganz gut. Einfach üben.”
Ich nahm das Protokoll vom Tisch, erhob mich und ging zur Tür. Dort drehte ich mich noch einmal um und wedelte mit dem Papier.
„Damit das von vornherein klar ist: Ich entscheide, wie ich vorgehe! Die Kompetenzen liegen bei mir”, bestimmte ich.
„Genauso, wie du die Verantwortung trägst. Bis hin zu etwaigen haftungsrechtlichen Konsequenzen. Du bist schließlich weiterhin Berufsständler und weißt, in welchem gesetzlichen Rahmen du dich zu bewegen hast.”
„Soweit es meine Verschwiegenheitsverpflichtung betrifft”, schränkte ich ein.
„Klar doch. Bei allem anderen bist du ja sowieso nicht zu bremsen. Ich sage nur Hausfriedensbruch, Fälschung von Dokumenten, Zurückhaltung von Informationen bei der Staatsanwaltschaft und so weiter.”
„Wenn du auf die Mittel anspielst, derer ich mich ab und zu bei der Aufklärung bedienen musste, dann solltest du dabei aber nicht vergessen, wie erfolgreich diese den Zweck heiligten. Immerhin habe ich in den letzten sieben Jahren mehrere unnatürliche Todesfälle und eine Entführung aufgeklärt, Familien zusammengeführt und nicht zu vergessen … ach, was rede ich denn. Ich muss mich doch vor dir nicht rechtfertigen.”
„Deine Erfolge ändern nichts daran, dass du dich abseits der Legalität zu bewegen pflegst. Und ich habe den Eindruck, dass dir das sogar Spaß macht.”
„Alles Definitionssache”, frotzelte ich.
„Wie belieben?”
„Nimm nur mal das, was du in deinem konservativen Sprachgebrauch als Hausfriedenbruch bezeichnest. Was für ein böses Wort! Für mich handelt es sich dabei nur um eine banale Besitzstörung. Und das, was du Dokumentenfälschung nennst, ist in Wirklichkeit eine legale Eigeninterpretation.”
„Ach ja. Und Informationszurückhaltung nennst du dann wohl selektive Kommunikation.”
„Siehst du, du hast es kapiert. Das klingt nicht nur schöner, sondern es handelt sich auch nicht um strafbare Tatbestände.”
„Nach deiner Auslegung, Darius. Wenn es nicht deinen Freund Heribert Koman, seines Zeichens Kriminalhauptkommissar bei der Polizeiinspektion Alzey gäbe, hätte man dich schon zig Mal am Kanthaken gekriegt.”
Carlos abwertende Handbewegung brachte mich wieder in die Realität zurück und ich verließ ohne weitere und zwecklose Erwiderung sein Büro.
Im ehemaligen Prüferzimmer war eine Art Notarbeitsplatz für mich eingerichtet. Ein Schreibtisch voller Prospekte und Fachzeitschriften, dahinter ein Sessel für mich und davor einen für eventuelle Besucher, eine Schreibtischlampe, ein Bildschirm, den ich an meinen Laptop anschließen kann, ein alter Drucker, ein antiquiertes Regal mit ebensolchen Fachbüchern und anderen Druckwerken. Dieses Ensemble kennzeichnete auf eindrückliche Art meine berufliche Endstation. Ich ließ mich in den Sessel fallen. Das Schriftstück mit der Problem-Chronologie der BEWAG GmbH ließ ich auf die Tischplatte flattern. An der Wand gegenüber hing, kostbar eingerahmt, meine Bestallungsurkunde.
„1976, mein Gott”, murmelte ich. „Seit 33 Jahren bin ich jetzt Steuerberater.”
Was hatte sich alles seitdem geändert. Nicht nur im Beruf, nein auch privat hatte ich dramatische Umwälzungen zu verkraften gehabt. Die Kanzlei, damals noch in Wiesbaden, hatte ich von meinem Vater übernehmen müssen. Quasi in Erbfolge. Widerspruch war zwecklos gewesen! Schließlich hatte er mir das Studium bezahlt. Wie nicht anders zu erwarten, hatte es ab dem ersten Tag Meinungsverschiedenheiten über die Kanzleiführung gegeben. Damals war ich schon drei Jahre mit Beatrice verheiratet gewesen und Mark, unser erster Sohn, war gerade zur Welt gekommen. Drei Jahre später war Marius dazugekommen. Kurz danach war mein Vater gestorben und meiner Mutter nachgefolgt. Ich hätte nie gedacht, dass er mir einmal so fehlen würde. Ich hatte mich in die Arbeit gestürzt, die Kanzlei war rasant gewachsen und die 80-Stunden-Wochen hatte Einzug gehalten. Mit ihnen waren die ersten Konflikte mit Beatrice gekommen, die sich rasch verschärft hatten. Genauso oft wie ich Besserung und Reduzierung meiner Arbeitszeit gelobt hatte, hatte ich meine Versprechen gebrochen. Acht Jahre lang hatten wir versucht, unsere Ehe zu retten – dazu waren wir umgezogen nach Bernheim, Beatrice Heimat. Ich hatte die Kanzlei verkleinert. Wir hatten unser kleines Weingut gekauft, da man dann etwas anderes zu tun hat, als nur im Büro zu sitzen.Die Arbeit war jedoch an Beatrice hängen geblieben. Wir hatten uns zwei Hunde angeschafft, da man dann gezwungen ist, mit ihnen an der frischen Luft spazieren zu gehen. Aber lediglich Beatrice und die Jungs hatten sich um sie gekümmert. 1997 war es zur Scheidung gekommen. Gedankenlos hatte ich meinen Anspruch an berufliche Verfügbarkeit übertrieben und dafür mein weiteres Zusammenleben mit Beatrice und meinen Söhne geopfert.
Die drastische Änderung meiner Lebenseinstellung, ausgelöst durch die aufrüttelnden Erlebnisse bei der Aufklärung des Mordes an Horst, meinem besten Freund, sie kam zu spät. Der Verkauf der Kanzlei an Carlo war nur noch eine logische Konsequenz gewesen. Ein Notverkauf. Nicht in finanzieller Hinsicht, sondern als lebenserhaltende Maßnahme.
Carlo, ich musste schmunzeln. Hier in diesem Zimmer hatte er früher gesessen. Beauftragt mit Betriebsprüfungen. Ein wenig übergewichtig war er damals gewesen. 85 Kilo bei einer Körpergröße von 1,72 Metern. Seine einleuchtende Erklärung dafür: „Ich bin net zu schwer, Herr Schäfer, ich bin zu klaa für mei Gewicht.” Idiomatisch Geübte konnten die sprachliche Vermengung heute noch heraushören: Ein Hesse in Rheinland-Pfalz. Carlo war zudem ein lebendes Chronometer. Mit absoluter Zuverlässigkeit konnte man die Uhr nach ihm stellen. Auch sein Tagesablauf war systematisch geregelt. Von acht bis zwölf Uhr und von ein bis sechs Uhr. Montags bis freitags. Abweichungen davon würde ihm Irene, seine Frau, auch verübeln. Und ich wusste, wie sie sein konnte. Ich hatte ihre diesbezüglichen Dispositionen lange genug genießen dürfen, als sie noch Dengler hieß und meine Sekretärin war. Integer, zuverlässig, schlagfertig, kompetent. Aber auch launenhaft. Nun war sie Carlos Sekretärin und Ehefrau in Personalunion.
Dennoch ließ sie es sich heute nicht nehmen, mich aus alter Gewohnheit mit ihrem einmaligen Cappuccino zu verwöhnen. Sanft stellte sie die Tasse auf dem Schreibtisch ab. Zuvor hatte sie noch störenden Papierkram (ihre Bezeichnung) zur Seite geschoben. Statt anschließend wie üblich wieder an ihren Arbeitsplatz zugehen, bleib sie dieses Mal stehen.
„Danke für den Cappuccino.” Beinahe hätte ich gedankenversunken vergessen, mich zu bedanken. Doch das schien es nicht gewesen zu sein, sie schien etwas loswerden zu wollen. „Ist noch etwas?”
Sie setzte sich und strich sich eine Strähne ihrer blonden Haare aus dem Gesicht.
„Es geht um Arnold. Ich möchte dir nur einen Tipp geben. Mit Carlo konnte ich darüber nicht sprechen. Er wollte nichts davon hören. Er meinte, wir sollten uns nicht am Dorfklatsch der Siefersheimer beteiligen.”
Ich sah Irene aufmunternd an. „Ich höre?”
„Da ist seit einiger Zeit eine Kampagne gegen Gero