Bilanz einer Lüge. Christopher Stahl
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„Anfangs und alleine für sich gesehen, waren es scheinbar nur Belanglosigkeiten. Oder besser: Dinge, die halt im Geschäftsleben vorkommen. Aber im zeitlichen Verlauf und unter Beachtung der Häufigkeiten ergibt sich ein ganz anderes Bild. Es wird schlecht über ihn geredet. Er sei unzuverlässig. Kunden springen ab und auch bei den Mitarbeitern gibt es eine hohe Fluktuation. Seit er alleine lebt, soll er angefangen haben zu trinken. Er ließe sich häufig nachts Frauen von zweifelhaftem Ruf – du weißt schon – ins Haus kommen.”
„Und, ist da etwas dran?”
„Das ist es ja. Ich glaube das stimmt hinten und vorne nicht. Er ist einfach nicht der Typ dazu. Ich kenne ihn recht gut durch unsere Theatergruppe. Er ist für die Kulissen, die Plakate und unser Programmheft zuständig. Ich habe ihn jedenfalls noch nie alkoholisiert gesehen. Und uns Frauen und den Mädchen gegenüber verhält er sich zwar kameradschaftlich, aber stets korrekt. Da versucht jemand, ihn gezielt mit Gerüchten zu diskreditieren.”
„Hast du eine Idee, wer das sein könnte und weshalb?”
Sie schüttelte zögernd den Kopf und erhob sich.
„Ich habe eine Vermutung. Ich habe das Gefühl, da steckt noch mehr dahinter. Eine Riesenschweinerei. Aber ich will nicht, dass du eventuell in eine falsche Richtung recherchierst. Falls du eine Spur hast, kannst du gerne mit mir darüber sprechen. Vielleicht kommst du auf dasselbe Ergebnis wie ich.”
Nachdem Irene die Tür hinter sich geschlossen hatte, wandte ich mich dem Protokoll zu. Es war ordentlich strukturiert und dank Carlos gestochener Handschrift sehr gut lesbar. Neben seinem penibel geordneten Schreibtisch ein weiteres Indiz für seine fast schon pathologische Ordnungsliebe, für die ich ihn jedoch insgeheim bewunderte. Meine Hieroglyphen konnte ich nämlich manchmal selbst nicht mehr entziffern. Gedankenverloren rührte ich in meinem Cappuccino, während ich mich mit dem Inhalt des Protokolls befasste. Ich versuchte es in Einklang zu bringen mit dem, was sich aus dem Gespräch mit Carlo und aus Irenes Hinweisen ergeben hatte.
Zahlen:
Seit 2009 überproportionaler Umsatzrückgang. Prognose 2011 2,1 Mio EUR/Ist 2009 3,3 Mio EUR = Rückgang um fast 30 % |
gleichzeitig Anstieg der Materialkosten von 29 % 2009 auf prognostiziert 38 % 2011 |
2011 wird erstmals in der Geschichte des Unternehmens ein Verlust erwirtschaftet, geschätzt 150.000 EUR |
Ereignisse:
Auftragseingang geht zurück |
Altkunden gehen zur Konkurrenz (meist zu Knober, Hunoldsheim) |
sie springen sogar von vertraglichen Vereinbarungen ab, sodass sich auch die Auftragsvorlage verschlechtert |
ähnliches Bild bei Neukunden |
bei der Suche nach Gründen über direkte Nachfragen geben sie an, dass Knober preiswerter sei oder |
sie flüchten sich in Ausreden oder erzählen von Informationen über das Unternehmen, aufgrund derer sie kein Vertrauen mehr in Qualität der Produkte und Zuverlässigkeit haben |
wichtige Mitarbeiter kündigen |
die Gewerbeaufsicht kommt aufgrund anonymer anzeigen und findet Unregelmäßigkeiten |
beim Finanzamt gehen anonyme Anzeigen wegen Steuerhinterziehung und Zollvergehen ein |
die Presse veröffentlicht Leserbriefe, in denen Unwahrheiten über Unternehmen und Unternehmer stehen |
Vermutung:
Bereits vor vielen Jahren hatte es Querelen zwischen Gisela Arnold und dem Vater ihres Konkurrenten, Sigurd Knober, gegeben |
Dieter Knober versucht, Gero Arnold zum Verkauf seines Unternehmens an ihn zu bewegen und unterbreitet ihm immer drängender Angebote, die im Laufe der Zeit nötigende Ausmaße annehmen – nur im Vier-Augen-Gespräch, ohne Zeugen. |
Eine Einschaltung der Kriminalpolizei Alzey scheitert daran, dass kein strafbarer Tatbestand zu erkennen ist. Man empfahl, sich mit einem Rechtsanwalt oder einem Privatdetektiv zu beraten. |
Donnerstag, 14. Juli 2011, Siefersheim
Gero Arnold war sofort bereit, sich mit mir zu treffen. „Sie glauben gar nicht, wie viel mir das bedeutet und wie sehr mich das erleichtert! Ich setze voll auf Sie und Ihr kriminalistisches Gespür. Sie haben es ja schon mehrmals erfolgreich unter Beweis gestellt. Herr Schäfer, Sie sind meine letzte Rettung!”, hatte er unsere telefonische Terminabsprache beendet.
Erst wollte ich ihn in seiner pathetisch gefärbten Erwartungshaltung bremsen. Schließlich hatten wir auch schon seit einigen Jahren keinen Kontakt mehr miteinander gehabt. Ich hatte jedoch den Eindruck, dass ihn seine Euphorie öffnen würde. Ich brauchte alles an ungefilterten Informationen, was nur irgendwie mit seinen Problemen zu tun hatte. Er sollte nicht lange überlegen, sondern alles heraussprudeln, was ihm so einfiel. Das Filtern durfte er getrost mir überlassen.
Von Bernheim bis Siefersheim hatte ich mit dem Pkw etwa fünf Kilometer zurückzulegen. Die idyllische Weinbaugemeinde gehört mit ihren knapp 1.300 Einwohnern zur Verbandsgemeinde Wöllstein. Der Ortsname leitete sich aus der fränkischen Zeit, Mitte des 5. Jahrhunderts, ab. Die Franken bevorzugten, im Gegensatz zu den abgezogenen Römern, ländliche Siedlungen. Sie gründeten und besiedelten jene Dörfer, deren Ortsnamen auf „-heim” enden. Die Baustruktur der bäuerlichen Anwesen ließ im Ursprung die fränkischen Hofanlagen heute noch deutlich erkennen. Hofreiten, Bruchsteingebäude aus regionalen Sandstein-Steinbrüchen, Kuhtempel und Gewölbekeller charakterisierten die archaische Architektur. Und nicht nur die bestimmten den Charme von Siefersheim. Hof- und Dorffeste, kulturelle Veranstaltungen, thematisch besetzte Weinbergwanderungen, Bauernmärkte, aber auch attraktive Angebote zur sportlichen Betätigung waren das bestätigende Pendant zur aufgeschlossenen Lebensart des Rheinhessen – falls es ihn überhaupt in Reinform gab.
Bekannt ist Siefersheim jedoch weit über seine Grenzen hinaus durch die hervorragenden Weine, die von annähernd zehn Weingütern angebaut und produziert werden.
Ich