Caffe della Vita. Daniel Morawek

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Caffe della Vita - Daniel Morawek

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Carla starrte aus dem Zugfenster und versuchte, sich daran zu erinnern, wie lange sie schon nicht mehr aufs Land gereist war. Wahrscheinlich war es irgendwann während ihres Studiums gewesen – vielleicht vor zehn Jahren, vielleicht auch vor elf. Ihr altes Dasein wollte sie für immer hinter sich lassen, damals, nachdem sie ihr Zuhause verlassen hatte, als sie in die Großstadt gezogen war, um etwas aus ihrem Leben zu machen.

      Gedankenverloren griff sie zu der Zigarettenschachtel, die sie auf dem freien Sitzplatz neben sich deponiert hatte, steckte sich eine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und blickte wieder in die Ferne. Unweit der Bahnstrecke entdeckte sie einen Bauern, der eine große brennende Fackel in der Hand hielt. Sie beobachtete, wie er die Flamme an das trockene Gras hielt, das sofort aufloderte. Erinnerungen schossen ihr durch den Kopf. Das war kein ungewöhnlicher Anblick für sie. Wenn es auf den Sommer zuging, war es normal, dass die sizilianischen Landwirte ihre brachliegenden Äcker anzündeten, um die Ausbreitung von Unkraut zu verhindern. Das Feuer wuchs schnell, und trotzdem schien es immer kleiner zu werden, da der Zug beharrlich weiterfuhr. Schließlich verschwand das Schauspiel ganz aus Carlas Blickfeld.

      Sie wandte sich vom Fenster ab und richtete ihre ungeteilte Aufmerksamkeit wieder auf ihre Notizen. Eine gute Vorbereitung würde nötig sein, wenn sie einen anschaulichen Artikel abliefern wollte. Was sie jetzt brauchte, war ein pikantes Werk, eine Geschichte, die das Potenzial hatte, ihren Hintern endlich von dieser Insel wegzubefördern; möglicherweise würde man in Rom auf sie aufmerksam werden oder sogar (aber davon wagte sie kaum zu träumen) im Ausland. Palermo war ihr mittlerweile zu eng geworden – nach all den Jahren war die Stadt für sie trotz ihrer Reize, der prachtvollen Monumente, der exotischen Düfte auf den Märkten und der zahllosen Cafés in der Altstadt, in denen sich die jungen aufstrebenden Palermitaner tummelten, auch nicht mehr als ein Eiland, umgeben von einem Meer aus Bauerndörfern und tristen Hügeln. Eine Veränderung musste her. Vor allem aber hatte sie mehr Talent, als ihr bei ihrer bisherigen Arbeitsstelle abverlangt worden war – da war sie sich sicher.

      Carla sah auf ihre Armbanduhr. Kurz vor zwölf. Am vergangenen Tag um diese Zeit hatte sie noch einen festen Job gehabt, dem sie jetzt schon nicht mehr nachtrauerte. Sie dachte an Giancarlo, ihren (inzwischen) ehemaligen Chefredakteur. Gestern Mittag war sie in sein Büro gegangen. Er saß in der Mitte des Raumes, auf seinem großen Ledersessel, und machte keine Anstalten, die Bilder nackter Frauen, die er sich gerade im Internet ansah, von seinem Bildschirm zu entfernen, als Carla eintrat. Daran hatte sie sich mittlerweile gewöhnt.

      »Ich muss mit Ihnen reden, Giancarlo«, sagte sie und stellte sich dabei so nah vor seinen Schreibtisch, dass er nicht anders konnte, als zu ihr aufzusehen.

      »Was könnte denn so wichtig sein, dass Sie mich stören? Ich dachte, ich habe mich vorhin in der Redaktionssitzung klar ausgedrückt. Sie wissen, was Sie zu tun haben«, erwiderte er und griff zu einer Schale mit Keksen, die auf seinem Tisch stand.

      »Sie meinen die Vorbereitungen zur Prozession der heiligen Rosalia, über die ich berichten soll?«

      »Genau, wo ist denn das Problem damit?«, fragte er, während er einen Keks hinunterschluckte.

      »Das Problem? Das Problem ist, dass Sie mich seit drei Jahren nur über Wohltätigkeitsveranstaltungen, entlaufene Haustiere und Schönheitsoperationen örtlicher Politiker schreiben lassen. Ich will endlich mal eine richtige Story schreiben. Ich habe doch nicht studiert, um Aufsätze für den Lokalteil zu dichten.«

      Sie war aufgebracht, hütete sich aber davor, die Fassung gänzlich zu verlieren.

      »Nun, Carla«, er konnte ihr in den Ausschnitt starren, da sie sich auf seinen Schreibtisch gelehnt und zu ihm vorgebeugt hatte, »niemand hat gesagt, Sie wären blöd, aber wenn Sie meine Meinung hören wollen: Schönheitsoperationen, das ist genau Ihre Welt, Sie haben’s nicht drauf, ernsthafte Geschichten zu schreiben.«

      Carla richtete sich wieder auf.

      »Das mache ich nicht länger mit!«

      »Hören Sie, keiner zwingt Sie, hier zu arbeiten. Wenn es Ihnen nicht gefällt – gut. Sie sehen nicht schlecht aus, versuchen Sie’s doch mal beim Fernsehen. Die suchen immer Frauen wie Sie.« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück.

      Carla war sprachlos, aber nur für einen Moment, dann fing sie sich wieder und schlug auf Giancarlos Schreibtisch – so fest, dass der Teller mit den Keksen ein Stück in die Luft hüpfte.

      »Ach so, ich verstehe! Wie konnte ich nur vergessen, dass ich nur mit dem Arsch wackeln und mir die Haare blondieren kann!« Carlas Stimme zitterte.

      Giancarlo kehrte die Kekskrümel mit einer Handfläche zusammen, ohne dabei zu ihr aufzusehen.

      »Sie werden sich wundern. Ich werde schon beweisen, was ich kann. Aber nicht für Ihre Zeitung. Ich kündige!«, sagte sie und wandte sich Richtung Ausgang.

      Als sie im Türrahmen stand, drehte sie sich noch einmal um und fügte hinzu: »Und übrigens – Sie können mich mal!«

      Giancarlo entsorgte die Krümel im Mülleimer, während Carla aus seinem Büro entschwand.

      Sie verließ das Verlagsgebäude durch den Haupteingang, trat auf die Via Maqueda, schlenderte gen Osten, ohne darüber nachzudenken, wohin sie lief, und hatte die erste Sinnkrise, noch bevor sie den Quattro Canti erreichte.

       Was habe ich getan?

      Als sie den unzähligen Schutzheiligen auf dem kleinen Platz gegenüberstand, realisierte sie, was passiert war. Natürlich glaubte sie an ihre journalistische Begabung – aber was sollte sie damit anfangen ohne Job? Sie spürte, wie das Selbstvertrauen, das sie kurz zuvor in Giancarlos Büro getrieben hatte, sie langsam verließ. Sie setzte sich auf einen der vier Brunnen, die jeweils eine Jahreszeit darstellten. Sie erwischte den Winterbrunnen.

       Was soll ich denn jetzt machen?

      Sie saß noch eine Weile einfach nur da. Sie wusste nicht, wie lange sie dort am Brunnen ausgeharrt hatte, als sie wieder aufstand und ohne Ziel durch die Altstadt Palermos lief. In der Nähe des Teatro Massimo betrat sie eine kleine barcaffè und bestellte sich an der Theke einen Espresso. Alles war besser, als jetzt allein zu Hause zu sitzen.

      Als sie mit der Tasse auf den letzten leeren Tisch zusteuerte, entdeckte sie ein vertrautes Gesicht an dem Bistrotisch, der in der Ecke des Raumes stand. Einen Moment überlegte sie, ob sie sich umdrehen sollte, solange sie noch unbemerkt verschwinden konnte, verwarf diesen Gedanken aber wieder und setzte sich hin. Der Mann, der in die Lektüre eines Magazins vertieft war, sah auf, entdeckte Carla und fuhr zusammen. Dann wandelte sich sein erschrockener Gesichtsausdruck zu einem ungläubigen Lächeln, während er auf Carla zuging. Diese nickte ihm zu, er solle ruhig zu ihr herüberkommen, und zündete sich eine Zigarette an.

      Der Mann war Mitte dreißig, nicht sonderlich groß gewachsen, aber auch nicht klein für einen Sizilianer. Er trug schwarze Jeans und ein dunkelrotes Hemd, das zwar nicht modisch, aber ebenso wenig hässlich war. Seine Frisur war nicht ungepflegt und dennoch hätte er gut einen frischen Haarschnitt vertragen. Carla fiel positiv auf, dass er sich seit ihrer letzten Begegnung ein neues Brillengestell zugelegt hatte.

      »Ciao, Maurizio. Lange nicht gesehen«, sagte sie und hauchte eine Rauchwolke aus ihrem Rachen.

      »Eigentlich ist es gar nicht so lange her – lediglich acht Monate und zwei Wochen.« Er setzte sich ihr gegenüber.

       Armer Maurizio, ist immer noch nicht darüber hinweg.

      Ein bisschen

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