Caffe della Vita. Daniel Morawek
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Am nächsten Morgen erwachte Carla sanft lächelnd neben Maurizio in dessen Bett. Er gab ihr einen Kuss auf die Wange, stand auf und ging ins Badezimmer. Carla setzte sich auf und streckte sich. Sonnenstrahlen kitzelten ihre Nasenspitze. Sie wickelte sich in eine Decke, erhob sich und sah durch das Schlafzimmerfenster auf die belebte Straße hinab. Im morgendlichen Palermo pulsierte das Leben bereits in den frühen Morgenstunden. Der Lärm der hupenden Autos und knatternden Motorroller holte sie mit einem Schlag zurück in die Wirklichkeit. Für eine Nacht hatte sie ihre Sorgen vergessen können – jetzt waren sie wieder da.
Manacchia, Scheiße. Sie hielt sich den Kopf und erinnerte sich an letzte Nacht. Du eigennütziges Ding, Carla. Hättest du nicht einfach an seiner Schulter einschlafen können? Sie fing an, Selbstgespräche zu führen. Ich glaub, ich hab einen ganz schönen Schlamassel angerichtet. Wie komme ich hier bloß wieder raus, ohne zu viele Scherben zu hinterlassen?
Aus dem Bad hörte sie das Rauschen der Dusche. Sie sah an ihrem Körper hinunter. Vielleicht sollte ich mir erst mal was anziehen. Sicher würde es die Sache nicht besser machen, wenn Maurizio aus dem Bad käme und sie ihn splitterfasernackt begrüßen würde.
Carla lief ins Wohnzimmer, um ihre Kleidungsstücke zusammenzusuchen. Dabei fiel ihr Blick im Vorbeigehen auf den Schreibtisch, den Maurizio gegenüber der Couch stehen hatte. Eher zufällig bemerkte sie die Mappe mit der Aufschrift Aktuelle Recherchen, die auf einem hohen Ordnerstapel thronte. Sie hatte keine Hintergedanken, als sie die Unterlagen aufschlug, eigentlich war sie nur ein wenig zu neugierig. Doch als sie die Gesprächsnotizen überflog, kam ihr eine Idee.
Hat Maurizio nicht gestern Abend von einem interessanten Artikel gesprochen, an dem er arbeitet? Sie las bruchstückhaft einige der Notizzettel. Zwischen den Zetteln fand sie eine Bahnfahrkarte für den heutigen Tag, Abfahrt 12.03 Uhr am Hauptbahnhof von Palermo. Anscheinend war er noch nicht an den Ort gefahren, dessen Name in den Unterlagen immer wieder auftauchte. Sie hasste sich für die Idee, die ihr kam, trotzdem konnte sie sie nicht einfach vergessen. In ihrem Kopf ging es in etwa wie in einem dieser alten Zeichentrickfilme zu, die sie als Kind immer gesehen hatte. Auf der einen Seite in ihrem Kopf das Engelchen, das ihr sagte, sie dürfe das nicht tun, sie könne Maurizio unmöglich erst das Herz und dann auch noch die Unterlagen stehlen. Carla gab sich geschlagen. Dann tauchte auf der anderen Seite das Teufelchen auf. Denk auch mal an dich, Carla. Maurizio hat alles schon vorbereitet. Er ist doch sowieso schon erfolgreich, so schlimm ist es nicht, wenn ihm eine Story durch die Lappen geht. Eine kleine Geschichte für ihn, aber die große Chance für dich.
Das Rauschen der Dusche verstummte. Carla zögerte nicht lange und nahm sämtliche Papiere sowie das Zugticket aus der Mappe und stopfte alles zusammen in ihre Handtasche. Die leere Akte legte sie wieder an die Stelle auf dem Schreibtisch, auf der sie zuvor gelegen hatte.
Jetzt nur schnell abhauen, dann bin ich am Bahnhof, noch bevor er etwas merkt.
Sie fand ihren BH zwischen den Kissen des Sofas, die anderen Kleidungsstücke lagen auf dem Fußboden verstreut. Hastig zog sie sich an und stieß dabei ein Cocktailglas vom Couchtisch.
»Carla?«, rief Maurizio aus dem Bad. »Bist du schon aufgestanden?«
»Ja.« Sie zog sich ihre Bluse über.
»Hör mal, wenn du willst, kannst du noch liegen bleiben. Ich muss mich nur vorbereiten – ich muss heute noch verreisen«, sagte Maurizio und band sich ein Handtuch um. Er öffnete die Badezimmertür und trat ins Schlafzimmer.
»Carla?«
Er hörte seine Wohnungstür zuschlagen. Wieder einmal war Carla aus seinem Leben verschwunden.
So kam es, dass Carla jetzt im Zug saß, um zu einem kleinen Dorf zu fahren, dessen Namen sie noch nie gehört hatte: Cattolica. Schuldgefühle hatte sie keine.
Ob er mir nachreisen wird? Vielleicht, aber ich habe sein Ticket und seine kompletten Unterlagen, was soll er ohne die schon erreichen?
Selbst wenn er ihr folgen würde, Carla hatte gerade noch den Zug um 10.03 Uhr erwischt, sie hatte also einen Vorsprung. Abgesehen von ihrer Handtasche hatte sie kein weiteres Gepäck bei sich, was nicht weiter schlimm war, da sie am liebsten noch am selben Abend oder, wenn sie keinen Zug mehr bekommen würde, am folgenden Morgen zurückreisen wollte. Vielleicht würde sie dann direkt nach Rom durchfahren, dort in die Redaktion des Il Messaggero oder der La Repubblica hereinplatzen und den Stoff verkaufen. Die Geschichte eignete sich sowieso besser für eine Boulevardzeitung als für ein Nachrichtenblatt, was Carla nicht weiter störte.
Vielleicht entdecke ich einen neuen Wallfahrtsort! Wäre doch witzig.
Wenn sie ehrlich zu sich war, hielt sie den Inhalt des Interviews, das Maurizio (anscheinend telefonisch) mit einem Kellner in einer Bar namens Caffè della Vita geführt hatte, für reichlich unglaubwürdig. Sie wusste aber auch, dass viele Menschen eine derartige Story gerne hören würden. Die Menschen brauchten Geschichten, an die sie glauben konnten, da war sie sich sicher. Sie würde bereit sein, ihnen eine solche Geschichte zu liefern.
Sie nahm einen Stift aus ihrer Handtasche und notierte Fotoapparat kaufen. Ein paar Bilder würden den Artikel abrunden.
»Diesmal wirst du es schaffen«, sagte sie laut zu sich selbst, als sie den Stift zurück in die Tasche fallen ließ. Sie schaute wieder aus dem Fenster und abermals sah sie nichts als verbrannte Felder. Es bestand kein Zweifel – sie hatte die Großstadt hinter sich gelassen.
Cattolica war ein ruhiges und verträumtes Dorf im Süden Siziliens. Die Küste lag etwa fünf Kilometer entfernt, und deshalb lebten dort nicht nur Bauern, sondern auch ein paar Fischer. Zu den besten Zeiten hatten hier um die neuntausend Menschen gewohnt, doch nach und nach waren die jungen Leute ins Ausland oder in die Städte gezogen, um Arbeit zu finden. Geblieben waren etwa dreitausend Einwohner, viele von ihnen bereits im Rentenalter. Nur im Sommer, da blühte der Ort für ein paar Wochen wieder auf, dann, wenn die Studenten aus Palermo in den Semesterferien ihre Eltern besuchten und wenn die Gastarbeiterfamilien aus Deutschland, Österreich oder auch aus England kamen, um ihre alte Heimat zu besuchen.
Aber jetzt im Juni, da war von dieser Lebhaftigkeit noch nichts zu spüren. Lediglich ein paar alte Männer saßen an den Hausecken und diskutierten den ganzen Tag über die alten Zeiten. Und natürlich saßen auch in den Cafés rund um die große Piazza immer ein paar Leute, aber ansonsten war das Städtchen ruhig, beinahe totenstill.
Niemandem fiel der fremde Mann auf, der schon den ganzen Vormittag durch die Straßen lief und der mit der Fototasche, die an seiner Schulter baumelte, leicht für einen Touristen gehalten werden konnte. Doch das harmlose Auftreten täuschte. Er war nicht einfach ein Urlauber. Es mochte sein, dass Gaetano bei seiner ersten Reise auf die Insel der Götter gerne mehr Zeit für Besichtigungen und andere Dinge, die Touristen gewöhnlich auf Sizilienreisen unternahmen, gehabt hätte. Er hatte sogar mehrere Reiseführer und Geschichtsbücher gelesen, bevor er seine Fahrt vom Festland aus angetreten hatte, und das, obwohl er eigentlich nur zum Arbeiten hierhergekommen war. Dennoch, die kulturellen Schätze der Insel hatten sein Interesse geweckt. Er begann sich bei seinen Studien über sich selbst zu wundern, dass er zuvor noch nie auf die Idee gekommen war, den südlichsten Teil seines Heimatlandes zu bereisen. Und nicht die jahrhundertealten Sehenswürdigkeiten waren es, denen seine Aufmerksamkeit galt, vor allem die lebhafte Geschichte des Inselreiches weckte seinen Forscherdrang. Denn die verschiedenen Völker, die in den letzten dreitausend