Majdanek. Mordechai Strigler

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Majdanek - Mordechai Strigler страница 10

Majdanek - Mordechai Strigler

Скачать книгу

Tag. Sie erfuhren, dass dies ein besonderer Fall sei, denn gewöhnlich wurde man hier schnell ins »Bad« geführt. Aber genau in dieser Woche war ein größerer Transport Juden angekommen, und mit denen war das »Bad« ausgelastet. So lagerten und warteten sie schon den dritten Tag ohne einen Bissen zu essen und ohne Wasser.

      Nachts hatte es schon etliche Male geregnet und alle wurden durch und durch nass. Es gab ein paar umsichtige Leute, die Bettwäsche und Essenspakete mitgeschleppt hatten, für alle Fälle. Es waren die Optimisten, die gern Vorkehrungen trafen. Jetzt legen sie sich in den Dreck, decken sich mit dem Bettzeug zu und überleben die Nacht. Am Morgen ziehen sie ein Stück zerdrücktes Brot aus einem Beutel, der auch als Kissen dient, und bleiben auf diese Weise am Leben. Schlecht geht es denen, die geglaubt haben, man führe sie gleich in den Tod. Sie haben deshalb gar nichts mitgenommen. Sie fallen bei Nacht hungrig und müde auf die feuchte, matschigdurchweichte Erde und fühlen, wie die nächtliche Kälte sie in jeder Minute wie mit Spießen sticht.

      Am ersten und zweiten Tag waren sie wild vor Hunger. Es gab unter ihnen auch solche, die sich im Zorn auf diejenigen warfen, die noch etwas in ihren Beuteln hatten; aber sie waren zu schwach gegenüber denen, die noch zu essen hatten und mussten deshalb resigniert und müde nachgeben. Jetzt liegen sie hilflos da, ohne den Wunsch, noch einmal ihr »Glück« zu versuchen, und ohne den geringsten Willen, noch einmal einen Blick auf die Welt zu werfen.

      Die, die noch etwas zu essen haben und ein Päckchen mit Wertsachen, fühlen sich noch mit etwas auf der Welt verbunden, das schade wäre, es zurückzulassen. Sie klagen noch, weinen, raufen sich die Haare und ringen die Hände:

      Was wird sein? Was wird sein, was? Werden sie uns hier verhungern lassen? Sie beißen die Nägel voller Zorn und schmerzhafter Sorge. Jeder Einzelne von ihnen hätte sich verstecken können, fliehen, sich retten. Jetzt zerfrisst es ihn vor Zorn, er schlägt sich mit den Fäusten an den Kopf, als ob er sich deswegen selbst erschlagen wollte. Einer will dem anderen sein bitteres Herz ausschütten:

      Was war los mit mir? Warum bin ich nicht in den Wald? Solch ein gutes Versteck hatte ich!

      Ein anderer geht noch weiter mit seiner Abrechnung: Er hätte nach Eretz Israel fahren können, selbst unter den Deutschen hätte er es noch gekonnt. Aber das verfluchte »Glück« der ersten Kriegsjahre hatte ihm die Augen verblendet. Er ist wütend auf sich selbst: Ich könnte mich ohrfeigen! Aber es hört sowieso keiner dem anderen zu. Jeder schreit nur für sich, um den eigenen Schmerz rauszulassen.

      Ein großer Teil dagegen ist schon entrückt in eine andere Welt. Der Tod hat ihnen bereits seinen Vorboten in die Glieder geschickt, eine lähmende Schläfrigkeit. Er spielt mit ihnen, will sie nicht in einem Zug verschlingen. Sie schauen mit gleichgültigen Augen, als ob sie die ganze diesseitige Welt betrachteten.

      III

      An den Rändern des Platzes liegen aufgehäuft Berge menschlicher Exkremente. Unwillkürlich umfasst der Blick den ganzen Kot. Es fällt mir auf, dass jede Stelle mit menschlichen Ausscheidungen merkwürdig verschmiert aussieht, als ob Finger lange darin herumgewühlt hätten.

      Einer der Schwächeren steht plötzlich auf und beginnt zu laufen. Etliche der noch Aktiveren bemerken das, eilen zu ihm hin und stellen sich um ihn herum. Sie tun es sehr achtsam und schauen sich dabei nach allen Seiten um, ob ein SS-Mann von der Aufsicht es womöglich bemerkt. Zuerst vermute ich, dass sie es deshalb tun, weil es hier verboten ist, den Platz zu beschmutzen. Deshalb wollen sie jemanden, der sein menschliches Bedürfnis erledigen muss, vor den zornigen Blicken verbergen. Ich bemerke aber, dass sie ihn länger als gewöhnlich umstellen. Der Kreis steht schon zehn, fünfzehn oder zwanzig Minuten da. Jedes Mal dreht jemand aus dem Kreis den Kopf herum und redet nervös auf den ein, der etwas tut, vermutlich, um ihn …

      Ich näherte mich und sah etwas, das in mir einen Schreck, gemischt mit Ekel hervorrief. Der Mensch in der Mitte saß da und presste das Letzte aus sich heraus. Neben ihm lag schon ein frischer Haufen, in welchem er verzweifelt mit beiden Händen wühlte.

      Ich erinnerte mich an schon vorher wahrgenommene Zeichen und ein Gedanke befiel mich:

      Sind womöglich all diese Menschen verrückt geworden in den Tagen solch einer Warterei? Es ist abzusehen, dass auch wir hier noch etliche Tage warten müssen, bis wir an der Reihe sind. Auch wir können so wild werden, wild und machtlos vor verzweifeltem Hunger. Wieder fühlte ich den Schreck: Wird mir beschert sein, meine letzten Tage zwischen Verrückten zuzubringen? Und werde nicht auch ich selber verrückt werden, genau wie alle? Auf den Tod hatte ich mich schon mehr als ein Mal vorbereitet. Ich sah ihn in meiner Fantasie in all seinen Erscheinungsformen und stellte mich darauf ein. Mit diesem Annehmen fiel jede Furcht von mir ab. Eine Sache aber hatte ich nicht vorausgesehen: den Tod im Zustand des Wahnsinns! Und dieses Neue, mit dem du dich noch nicht auseinandergesetzt hast, mit dem du in Gedanken noch keinen Frieden geschlossen hast, hat dich wieder aufgeregt und aufgewühlt.

      Die Menschen sahen aber gerade jetzt eher ruhig aus. Auf ihren Gesichtern war eine andere Art Ausdruck als vorher während des nervösen, verzweifelten Herumlaufens. Ich sah, dass da etwas mit kühler Berechnung gesucht wurde. Das verstärkte in mir das Bewusstsein, dass ich mich in einer Umgebung befand, die ich nicht in der Lage war zu verstehen.

      Irgendjemand der Herumstehenden stellte die Frage:

      Bist du überhaupt sicher, dass du es hinuntergeschluckt hast?

      Die Antwort hörte ich schon nicht mehr. Das Wort traf meine Gedanken und zerriss mit einem Schlag alle meine Überlegungen, die ich dort herumgewälzt hatte.

      »Hinuntergeschluckt!« Und schon öffnete sich mir ein breites Tor zu einer neuen Welt voller Sorgen und verzweifeltem Ringen.

      Es stellte sich heraus, dass am ersten Tag ihrer Ankunft verdächtige Gestalten an den Zäunen auftauchten und mit leiser Stimme durch die schmalen Rechtecke flüsterten:

      Jidden! Seht ihr? Gleich da, nicht weit weg, ist das Bad. Und dort, ein bisschen weiter, ist die Gaskammer. Versteht ihr? Gleich im Bad wird jeder nackt ausgezogen und so von dort hinausgeführt. Deshalb ist das Verbergen von etwas Gold und Wertsachen vergeblich, auch wenn ihr es noch so gut in den Kleidern versteckt.

      Jeder schlug vor, man solle es ihm herausgeben, und wenn man am Leben bleiben sollte, werde er es ins Lager zurückbringen. So oder so gehe man kein Risiko ein.

      Weniger starke Charaktere rissen tatsächlich sofort alle Verstecke an den Ärmeln und Hosenaufschlägen auf und gaben alles heraus. Die Rechnung war eine einfache: Jene leben, sollen wenigstens sie daran Freude haben! Pfiffige Köpfe dagegen beschlossen, nicht so schnell zu kapitulieren.

      So begann das große Verschlingen.

      Man schlang kleinere und größere Brillanten, Ringe und kleine Goldstücke hinunter. Man überlegte sich dabei mit einer gewissen zufriedenen Beruhigung: Bald kann man sogar völlig nackt hinausgehen, ein kleines Vermögen hat man sich einverleibt. Der eigene Leib und das Gedärm werden einen nicht verraten, sondern es verdeckt und in unauffälligster Art und Weise wieder abgeben.

      Aber ein Tag vergeblichen Wartens verging. Die Leute von der SS hatten Zeit. Inzwischen bekam der Magen es mit der Angst zu tun ob des versteckten Vermögens. Schon begann er unzufrieden zu grollen, bald wand er sich gar in quälenden Krämpfen und begann vor Schreck alles aus sich hinauszubefördern, was man ihm anvertraut hatte. Das Teuerste gemischt mit dem billigsten, ekligsten Mist.

      Sorgfältige Hände wühlten stundenlang, rieben jedes Stück Kot durch die Finger, bis sie das Wichtigste wiederfanden, um es später erneut den Eingeweiden als Pfand anzuvertrauen.

      So begann ein irrsinniges

Скачать книгу