Majdanek. Mordechai Strigler
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Es gab auch jene, die sich müde ausstreckten und auf das erlösende Verlöschen warteten. Nichts interessierte sie mehr.
Aber ein noch reger Nachbar oder Freund wusste, was in dem eingefallenen Körper schlummerte. Deshalb weckte er ihn immer wieder aus seiner Lethargie:
He du, probier nochmal, vielleicht geht es jetzt? Der Gedanke peinigte ihn, dass bei jenem etwas Wertvolles liegt, das die gestorbenen Glieder ins Feuer mitnehmen werden. Ach, wer kann denn diese Blicke vergessen, mit denen die Gesünderen auf jene schauten, die derweil einen traumversunkenen Erkundungsgang in andere Welten machten! Ach, wer kann denn begreifen, zu was Menschen getrieben wurden inmitten dieser verrückten, sinnlosen Provokation eines verborgenen Vermögens, im Angesicht eines Todes, den man vielleicht mithilfe eben dieses Vermögens vermeiden kann?
Aus so vielen Augen lese ich das wahnsinnige Erschaudern heraus. Hier sehe ich einen über den bewusstlosen Körper des Nachbarn wachen. Er vermutet, dass jener ihm wegstirbt, und er weiß vermutlich, was sich in seinen Eingeweiden tut. Er schaut mit verzweifeltem Zorn und Bedauern: He, was kann man machen? Wie geht man damit um?
Verzweiflung und Ekel packen mich vor den letzten Minuten des Lebens. Ich will wirklich nichts mehr hören und sehen. Es ist nichts geblieben auf der Welt, auf das man noch einen Blick werfen könnte. Deshalb breite ich meine Decke aus, die ich ganz gleichgültig mitgeschleppt hatte, strecke mich in einer Ecke aus und verstopfe in mir alle meine Gedankengänge. Es fühlt sich irgendwie gut an, dass man sich ganz vom Denken befreien und den kleinsten Gedanken mitten im Lauf stoppen kann. So liege ich da und werde still, wie die Erde um mich herum. Über meinem Kopf schindet der Wind den blauen Körper des Himmels. Stücke schmutzig wolkiger Watte reißen sich von allen Seiten los, nehmen sich an den Händen, verkleiden sich mit elfenlockigen Bärten und ziehen sich zur Seite weg. Der blaue Himmel funkelt mit seinen großen weißen Gestirnen und hält meinen Blick fest, der sich in der Unendlichkeit verlieren will.
Kapitel vier
I
Bei den Deutschen muss alles verkehrt herum gehen. Wie absichtlich zur Desorientierung. Just unsere Gruppe geht als erstes ins Bad. Viele von uns haben noch verschiedenes bei sich. Mein Nachbar in der Reihe, Sender, verschlingt in letzter Minute ganz geschickt, damit niemand es bemerkt, drei Goldstücke. Er ist bleich vor Schreck. Ich warne ihn: Du wirst noch ersticken! Günstigstenfalls kannst du Bauchkrämpfe bekommen und man wird dich erschießen. Er lächelt mir mit bleicher Zufriedenheit zu: Keiner hat es gesehen, für mich ist es nicht das erste Mal. Es wird wehtun. Aber für den Fall, dass ich nächste Woche noch lebe, wird es mir vieles leichter machen.
Viel Zeit zum Überlegen bleibt nicht, schnell schlingt jeder hinab, was er kann: einen Brillanten, eine Brosche oder eine kleine bis jetzt »als Notgroschen« gehütete Goldmünze. Schon werden wir in eine hallengroße Baracke geführt, in der Berge von Sachen und Schuhen liegen. Die Türen sind streng bewacht von der SS, aber drinnen stehen Juden, die speziell zum Befehlen angestellt sind:
Ausziehen!
Die Augen suchen nach einem Plätzchen, wo man die Sachen hinlegen kann. Du willst noch eine Minute mit der Illusion leben, dass die Kleider, die an deinem Körper hängen, dir gehören und du dafür sorgen musst, dass sie dir nicht abhandenkommen. Die sonderbaren Juden aber, die da verteilt an allen Seiten stehen, verstehen dich sofort. Sie wenden sich an solch suchende Augen auf Deutsch:
Nein, Freundchen! Alle Sachen gehen auf einen Haufen. Ihr werdet andere Kleidung kriegen.
Verzweifelt greifen die Finger zum Ärmelsaum. Dort sind noch tausend Złoty eingenäht, bereitgelegt für die Stunde, wenn ich die Möglichkeit zur Flucht haben würde. Eine Hand berührt mich von hinten:
Was nützt es dir, Bruder? Wo willst du es verstecken? Wenn die SS sogar mit einem Lämpchen in den nackten Hintern guckt.
Ich schäme mich vor mir selbst: Aufgehoben das Geld! Wofür? Ich hätte in der Zeit besser leben können. Ich hätte einem Freund aushelfen können. Wozu wollte ich für eine Zukunft vorsorgen, zu der mir der Mut fehlte?
Für einen kurzen Moment überkommt mich Bedauern. Ich erinnere mich, wie viele Male ein Stückchen Weißbrot oder ein Ei ins Lager geschmuggelt wurde, und ich es nicht kaufte, weil ich meinte, die letzten paar Złoty könnten mir einmal dazu dienen, einen Revolver zu kaufen. Jetzt lachen sie, vernäht im Ärmel, mich aus.
Ich muss schnell meine Kleidung ablegen. Alle sind schon fertig und ich bin einer von den letzten. Man reißt sie mir schon vom Leib. Jetzt erst fühle ich, dass ich nichts zu bedauern habe. Nein! Nicht aus Geiz habe ich oft keine Lust verspürt, etwas zu kaufen! Ich konnte mich inmitten der tiefen Trauer um die Familie, inmitten der Gefahr, die mich umgab, überhaupt nicht dazu entschließen, mich satt zu essen. Und die Freunde? Auch für sie habe ich doch etwas getan! Während ich nackt gehe, schäme ich mich dafür, dass es mir eben noch leid tat um das Geld. Was macht es schon? Und was ist mit der Familie? Und den Freunden, und dem ganzen Volk? Und was ist mit den niedergeschriebenen Werken, die ich in einen Beutel mit Lumpen gehüllt mit hergebracht hatte?
Nein, hier, wo man das Leben zurücklässt, wenn man nach den Gräueln und dem gestrigen Vorgeschmack des Todes herkommt, muss man sich wegen gar nichts schämen.
Als ich so nackt dastehe, fühle ich mich wie erleichtert. Ich hatte etwas in der Kleidung, das mich hemmte, das meine Gedanken beschäftigte, und jetzt, jetzt hat sich das Denken von allen Fesseln gelöst.
Man muss durch die Tür laufen. Am Eingang inspiziert ein SS-Mann gründlich deine Zähne, schaut dir in den Hals und in die tiefverborgenen geheimen Stellen des Körpers.
Findet man bei einem etwas in einem Backenzahn versteckt, schickt man ihn auf die Seite. Jeder muss schnell hindurchlaufen, nackt, bis zur nächsten Baracke. Es wird jede hochgehobene Wade, jede Ferse inspiziert. Ein Gummistock zeigt stumm, wohin zu gehen ist: rechts oder links. Wir laufen ohne etwas mitzubekommen. Meine Gedanken wachen erst auf, als ich um mich herum feuchtdampfende Luft spüre. Wie? Tatsächlich ein Bad?
Eine träge Haarschneidemaschine lässt all ihren erschöpften Zorn am ganzen Körper aus. Sie zupft nervös die Haare von den intimsten Körperstellen und jeder ziepende Stich meldet all deinen Hirnzellen: Du! Du lebst weiter! Du lebst!
II
Spät am Abend konnte die Schreibstube uns keiner speziellen Baracke zum Schlafen mehr zuteilen. Außerdem waren alle Baracken mit Menschen vollgestopft. Gerade dieser Tage hatte man von Treblinka 15.000 junge Juden nach Majdanek gebracht, die am Aufstand im Warschauer Ghetto teilgenommen hatten. Einen Großteil von ihnen hatte man in das dritte »Feld«. (so nannte man die einzelnen Lagerabteilungen in Majdanek) gequetscht. Deshalb war für uns kein Platz. Ganz unabhängig davon hatte man letztens eine große Anzahl Menschen wegen allerlei Vergehen aus allen europäischen Ländern gebracht. Und alle hineingezwängt in die langen Pferdebaracken.
Unsere Gruppe führte man in das dritte Feld zu den Tausenden Juden aus dem Warschauer Ghetto, von denen der größte Teil vor wenigen Tagen, nach dem Aufstand, von Treblinka hergebracht worden war.
Es gab später verschiedene Meinungen,