Die Vier-in-einem-Perspektive. Frigga Haug

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Die Vier-in-einem-Perspektive - Frigga Haug

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       Der Arbeitsbegriff

      Das Selbstverständliche und beim Reden über Arbeit zugleich immerfort Vergessene scheint mir, ihren Formcharakter zu beachten. Die unterschiedslose Weise, in der über Arbeit gesprochen und gedacht wird, ist Quelle der meisten Missverständnisse. Wir sprechen über Lohnarbeit, nennen sie Arbeit und kritisieren die Rede von der Arbeit als erstem Lebensbedürfnis. Und umgekehrt: Die Erziehung zu diesem ersten Lebensbedürfnis ist nicht nur in sich widersinnig, sondern zumeist auch nur Erziehung zur Lohnarbeit in den verschiedenen Ausprägungen, ununterscheidbar von einem Unterwerfungskonzept in Industriebetrieben. Wenn wir die »Substanz« meinen, die in unserer heutigen Gesellschaft hauptsächlich die Gestalt der arbeitsteiligen Lohnarbeit angenommen hat, sollten wir vorläufig umständlich von der »Selbstbetätigung in der Erzeugung des materiellen Lebens« sprechen.

       Arbeit als Systembegriff?

      Die Versuche, insbesondere von Offe (1984) und Habermas (1985), Arbeit aus dem Zentrum von Gesellschaftstheorie zu rücken, werden verständlicher, wenn man zuvor unterstellt, Marx habe eine Gesellschaftstheorie hegelscher Art entworfen, in der er an die Stelle des Geistes die Arbeit setzte (so etwa Rüddenklau 1982, aber auch Bischoff 1973, 323: »In der Entwicklungsgeschichte der Arbeit liegt der Schlüssel zum Verständnis der gesamten Geschichte der Gesellschaft.«). Marx schrieb dagegen über die Verhältnisse, durch die die Selbstbetätigung der Menschen verschiedene Formen annimmt: solche der Verkümmerung der Individuen, ihrer äußersten Entfremdung in der Arbeit, deren Verkehrung in Negativität. Wesentlich ist dabei die Arbeitsteilung. In der Herrschaftsanordnung wird solche Teilung naturwüchsig, heftet sich an zufällige körperliche Eigenarten. D. h., sie verbindet sich mit den Personen ein Leben lang, gehört ihnen an wie eine Sache, sodass selbst das Bewusstsein einer »freien Tätigkeit« verschwindet. Die Arbeitsutopie habe keine Kraft mehr, sagt Habermas, ins Zentrum rücke die Lebensweise. In allen marxschen Schriften wird deutlich, dass es Marx um die Revolutionierung der Lebensweise ging, die er allerdings durch die Produktionsweise bestimmt sah. Ersetzt man den schillernden Arbeitsbegriff durch seine »Substanz«, so hören sich solche Marx-Verabschiedungen so seltsam an, wie sie sind. Es ginge jetzt nämlich darum, die Erzeugung des materiellen Lebens, also des Lebens selbst und der Lebensmittel, nicht mehr so wichtig zu nehmen, dass Gesellschaftstheorie von dieser Grundlage ausgehe. Hinter den Verabschiedungen steckt die Frage, ob die Erzeugung des materiellen Lebens u. U. herrschaftsförmig geregelt bleiben könnte und gleichwohl menschliche Entwicklung und menschliches Glück möglich wären, Befreiung also auf Lebensausschnitte beschränkt bleiben könne. Das Problem, auf das so geantwortet wird, ist, dass man sich nicht vorstellen kann, dass in unseren kapitalistischen Gesellschaften revolutionäre Umgestaltung möglich sei und horizontale Vergesellschaftung machbar. Die Wirklichkeit von neuen sozialen Bewegungen mit Alternativprojekten hier und heute scheint den Ausschnitt-Lösungen recht zu geben. Die sich stets zuspitzende Katastrophenlogik kapitalistischer Gesellschaften im Weltmaßstab zerschlägt aber die Illusion, eine lebenswerte Zukunft ohne Einfluss auf die Rahmenbedingungen des Handelns im Großen zu haben. Es scheint mir dabei übrigens kein Zufall zu sein, dass die Frauenbewegung zwar zunächst immer als eine der sozialen Bewegungen genannt, bei der weiteren Diskussion aber sogleich vergessen wird. Denn ihre Fragen sind ohne die Aufhebung aller Herrschaft und Arbeitsteilung nicht lösbar.

       Die Frage an die Kritische Psychologie

      Es bleibt die Frage des frühen Milchholens. – Aus meinen arbeitsbiographischen Notizen wie aus meinen theoretischen Studien bin ich zu dem Resultat gekommen, dass die Lust zur Arbeit ebenso wie ihre Meidung, dass die Subbotniks und die Drückebergerei aus dem gleichen Stoff gemacht sind. In den Strukturen des gesellschaftlichen Lebens entwickelt sich eine blinde Dialektik. Unversehens und unkontrolliert schlägt die Begeisterung für die Arbeit um in ihr Gegenteil. Die praktische Lösung, das Leben außerhalb der Arbeit zu suchen, stößt allenthalben an Grenzen und ebenso an Überschreitungen. Die theoretische Lösung, Arbeit und Lebensweise getrennt zu denken, verrät die Perspektive der freien Selbstbetätigung, indem sie sie außerhalb der entfremdeten Arbeit einzulösen verspricht. Der Begriff der (verallgemeinerten) Handlungsfähigkeit in der holzkampschen Wendung könnte eine Bewegungsform für die blinde Dialektik von Arbeit und Faulheit sein, in der eine bewusste Entwicklung gedacht werden kann; das Auseinanderfallen von Arbeit und Lebensweise kann hier als historisches Produkt mit der Perspektive seiner Überwindung gefasst werden. Voraussetzung dafür wäre allerdings, die Dimensionen aufzunehmen, die Marx mit »Arbeit als erstem Lebensbedürfnis« vortrug. Die Erweiterung der Handlungsfähigkeit ist sicher Vorbedingung dafür, dass »freie Tätigkeit« möglich wird, aber wie und unter welchen Verhältnissen können die Menschen ihr materielles Leben so gewinnen, dass sie es nicht zugleich verlieren, sondern dass es Genuss, Lust, Liebe, Entwicklung, Gemeinwesen ist? Arbeit und Genuss sind durch Arbeitsteilung auseinandergetreten, heißt es in der Deutschen Ideologie (vgl. MEW 3, 32). Sie wieder zusammenzubringen bleibt Befreiungsperspektive.

      Wie viel dazu nötig ist, beschreibt in literarischer Verdichtung Volker Braun, der zu der Dimension des Lustvollen in der Arbeit – soweit sie möglich wird durch die Entwicklung der Produktivkräfte – die Schwierigkeit des sinnhaften Tuns formuliert:

      »Wenn die Arbeit nicht mehr das Leben kostet, verliert sie den Ernst und die Leute machens aus Vergnügen. Dann reißt sich jeder darum, aber die Möglichkeiten sind begrenzt, das gibt neue Probleme. Man muss die Leute abhalten von den Maschinen, wo sie flippern wollen und optimieren. Da braucht es ein ganz anderes Bewusstsein. Im Kampf wie jetzt langt der Zwang und der materielle Anreiz, aber in einer ganz friedlichen Zeit müsste auch ein Sinn darin sein.« (Braun 1985, 106)

       Die Frauenfrage

      Was ist mit den feministischen Zweifeln, Marx habe ein Arbeitskonzept entwickelt, das die Frauen ausschloss und die Erkenntnis von Frauenunterdrückung verhindere? Feministische Kritik beruft sich insbesondere auf die marxschen Ausführungen im Zusammenhang mit dem Begriff des »Doppelcharakters der Arbeit«. Solcher Blick auf die Arbeit als einer Kraft, die zugleich Gebrauchswerte bilden kann und Tauschwerte schaffen, ist fundamental für Marx’ Analyse des Kapitalismus und seiner Dynamik und damit ebenso grundlegend für seine Revolutionstheorie. Eine Gesellschaft, deren treibendes Motiv darin besteht, lebendige Arbeit in tote zu verwandeln (um in marxscher Metaphorik zu sprechen) und so die tote Arbeit in ihren Formen von Kapital, Maschinen, Fabriken Macht über die lebendige werden zu lassen, eine solche Gesellschaft manövriert sich in eine Katastrophe, wenn kein radikaler Eingriff erfolgt. Dieser muss die Grundstrukturen des gesellschaftlichen Handelns umstürzen: den Profit als treibendes Motiv und das heißt die Herrschaft des sich verwertenden Wertes über die lebendige Arbeit auf der Grundlage von Arbeitsteilung und Eigentum. In der Analyse des Doppelcharakters der Arbeit geht es um die Lohnarbeit als dominante Form der Verkehrung der Lebenstätigkeit. Im ersten Schritt der Veränderung geht es um die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Diese Bestimmungen haben den Blick auf den männlichen Arbeiter in seiner historischen Gestalt als Ernährer der Familie und auf die Arbeiterbewegung als politisches Subjekt verengt. Der Protest der Frauen scheint zunächst gerechtfertigt. Denn selbst wenn wir unterstellen, dass es die kapitalistische Gesellschaft ist und nicht die marxsche Analyse, welche die Positionen in dieser Weise anordnet, bleibt doch in solcher Zurechtlegung eine eigentümliche Leere und Sprachlosigkeit, wenn über Frauen gesprochen werden soll. Statt Marx eilig abzuschwören, sollten wir einen Schritt zurücktreten und prüfen, ob aus seiner perspektivischen Formulierung von der »genussvollen Selbstbetätigung bei der Erzeugung des materiellen Lebens« für die Frauenfrage nicht doch vieles zu gewinnen ist. Tatsächlich stellt Marx selbst Frauenunterdrückung genau in den Kontext von entfremdeter Arbeit:

      »Die freilich noch sehr rohe, latente Sklaverei in der Familie ist das erste Eigentum, das übrigens hier schon der Definition der modernen Ökonomie entspricht, nach der es die Verfügung über fremde Arbeit ist.« (MEW 3, 32)

      Selbst die angeblich ganz und gar vernachlässigte Arbeit im Hause bei der Reproduktion der Ware Arbeitskraft fasst Marx an

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