Die Vier-in-einem-Perspektive. Frigga Haug
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Ist nicht der Rahmen, den Marx für die menschliche Gesellschaft und die in ihr lebenden Individuen skizzierte, so, dass die besondere Unterdrückung der Frauen mit ihren naturwüchsigen Momenten ebenso wie mit den Ergebnissen sozialer Herrschaft darin heute eine ungeheure Dynamik erhält? In der Arbeitsteilung von Lebens- und Lebensmittelproduktion und in der Letzteren noch einmal zwischen Arbeit und freier Tätigkeit, Genuss, ist die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern auf eine teuflische Weise festgeschrieben. Der Bereich des Lebens wird vom Standpunkt der gesellschaftlichen Lebensmittelproduktion randständig und mit ihm diejenigen, die ihn in erster Linie bevölkern. Zugleich wird die Tätigkeit im gesellschaftlich zentralen Bereich entfremdet, sodass Hoffnung auf Befreiung sich auf jenen lebendig randständigen Bereich richtet. Auf die Frauen kommt die unzumutbare Belastung zu, im Stadium der Unterdrückung die Hoffnung auf ein besseres Leben darzustellen, auf Genuss, Sinnenfreude.
Bei Marx finden wir die Anspielung, dass der Arbeiter in der Arbeit nicht zu Hause sei und wo er zu Hause ist, er nicht arbeite (vgl. MEW EB 1, 514). Mit einem gewissen Recht wurde auch dieser Satz vom feministischen Standpunkt für kritikwürdig befunden: Spricht nicht auch er vom Standpunkt des männlichen Arbeiters und übersieht die Lage der Hälfte der Menschheit, die sehr wohl zu Hause arbeitet und mithin zu Hause ist, wo sie arbeitet (vgl. Ivekovic 1984)? Bei dieser Kritik wird allerdings die in der marxschen Version angedeutete Blockierung übersehen. Es ist die doppelte Entzweiung, die Trennung der Sinnenfreude und des Lebenssinns von der Arbeit und die Teilung der Arbeit in solche, die einen Lohn bringt, und solche, die in dieser Hinsicht nichts gilt, die in der Metapher vom »nicht in der Arbeit zu Hause sein« ausgedrückt ist. In dieser Verkehrung besetzen die Frauen das Zuhause, den Randbereich, der gleichwohl Zuflucht ist, ein verkehrter Ort der Hoffnung. Die unterdrückende Überhöhung der Frauen wird überlebensnotwendig für die männlichen Lohnarbeiter. In der familiären Zusammenarbeit beider Geschlechter wird sie dauerhaft befestigt.
Wäre es nicht eine revolutionäre Tat, hier einiges durcheinanderzubringen, um eine neue Ordnung herbeizuführen? Um die Bereiche des Lebens aus ihrer Randständigkeit zu holen, müssten sie allgemein werden und damit aufgewertet. Und im gleichen Zug müsste der Bereich, der als gesellschaftliche Arbeit gilt, von den Frauen besetzt und zugleich in seiner Dominanz entkräftet werden. Wenn beide Geschlechter sich in alle Bereiche teilen, ist eine Dimension, die die bisherige, zerstörende Struktur bestätigte, ist ein Herrschaftsverhältnis aufgebrochen. Dies scheint mir eine Voraussetzung, um die Liebe zurück in die Arbeit zu bringen. Und die Bewegung der Frauen wird damit zentral für die Vermenschlichung der Gesellschaft.
Arbeitsforschung im Zeitalter der Mikroelektronik
Zum Bezug von Arbeitsforschung
Ungefähr 70 Prozent aller Arbeitsplätze sind in den späten 1980er Jahren schon irgendwie von Mikroelektronik betroffen. Daher ist es für Überlegungen zur Aufgabe von Arbeitspsychologie notwendig, die dadurch hervorgerufenen Veränderungen in den Arbeitsbedingungen grundlegend einzubeziehen. Sie betreffen das Verhältnis der Menschen zur Maschine, zur Natur, zur Wissenschaft und damit zu sich selbst und zu anderen. Ich stelle als These auf, dass die mikroelektronische Produktionsweise die Arbeitspsychologie erstmals tatsächlich als psychologische Wissenschaft fordert.
Ich nähere mich dem Thema von der Seite, vom Studium der Arbeitswissenschaften im engeren Sinn. Diese haben durch die Umbrüche in der Produktion und im Dienstleistungssektor einen unerhörten Aufschwung erlebt. Auf dem Weltkongress für Bildschirmarbeit (1986 in Stockholm) konnte man vom Ausmaß der auf diesen Gebieten geleisteten Arbeit eine Ahnung erhalten. 300 Wissenschaftler aus 30 Ländern stellten hier die Ergebnisse umfangreicher und mit großem Forschungseinsatz betriebener Studien in Zahlen- und Datenreihen vor. Die Aufarbeitung solcher Forschungsergebnisse ist von unschätzbarem Wert für kritisches Lernen.
Die Studien zeigen nicht nur schon auf den ersten Blick (vgl. Knave u. Wiedebäck 1987), dass sie die Menschen als Reiz-Reaktions-Mechanismus auffassen; immerhin bringt selbst eine solche Betrachtungsweise brauchbare Informationen über die Schäden einseitiger Nutzung von Menschen als Arbeitskraft. Man kann darüber hinaus die notwendigen Dimensionen kritischer Arbeitspsychologie herausarbeiten, wenn man prüft, was in den ergonomischen Forschungen – etwa über die schädlichen Folgen der Bildschirmarbeit – fehlt. In der Logik der Wirkungen, die im Reiz-Reaktions-Modell vorausgesetzt ist, sind folgende – für eine Forschung mit und über arbeitende Menschen – unerlässliche Dimensionen ausgespart: der Mensch selbst als tätiges Wesen und seine Erfahrungen; seine Stellung im Arbeitsprozess; sein Verhältnis zum Arbeitsmittel (Computer) – bedient er ihn oder sich seiner; der Inhalt der Arbeit; die Arbeitsorganisation; die Stellung in der Gesamtaufgabe und natürlich der gesellschaftliche Kontext, in dem diese Aufgabe steht. Aus den Auslassungen ist in geradezu einfacher Ausfüllung erschließbar, wie Arbeitsforschung vorgehen müsste. Darüber hinaus offenbart das Studium solcher internationaler Forschung ein weiteres interessantes Phänomen: Im Fall der Bildschirmarbeit sind die gemeldeten Schäden beim Einsatz gleicher Arbeitsmittel national und geschlechtsspezifisch verschieden. Sie betreffen überwiegend Frauen.
In Australien geht eine plötzliche Lähmung der Arme um wie eine mittelalterliche Seuche. Diese die Frauen befallende Krankheit wurde zunächst Tendosinovitis genannt, später – allgemeiner – RSI – repetitive strain injury. Die Symptome sind eine oft Monate bis Jahre dauernde Lähmung der Arme; sie sind auf Australien beschränkt; ganze Heerscharen von Wissenschaftlern sind unterwegs, um Erklärungen zu finden. Die betroffenen Frauen haben die »Krankheit« in ihre Zeitrechnung aufgenommen: »Das war, bevor ich RSI hatte …«. Anders in Schweden: Hier werden Fehlgeburten und Missbildungen diskutiert; aus anderen Ländern wird von Hautallergien berichtet. In Finnland scheinen die Augen am meisten betroffen. Auch Schultern und Nacken zeigen sich als Austragungsorte von Unverträglichkeiten. Es wäre sicher von Bedeutung, die methodischen Voraussetzungen kritisch zu überprüfen, die solchen Ergebnissen zugrunde liegen. – So kann man z. B. in einer weiteren Studie zu den Folgen von Bildschirmarbeit aus Schweden lesen, dass die Häufigkeit der Fehlgeburten, deren Veröffentlichung die schwedische Diskussion alarmiert hat, weniger der Bildschirmarbeit als der Berufstätigkeit von Frauen überhaupt geschuldet sei. – Ich möchte an dieser Stelle eine andere Dimension hervorheben und vorschlagen, diese unterschiedlichen Ergebnisse, die nationalkulturellen Verschiedenheiten in der Austragung eines gleichartigen Wechsels in den Arbeitsbedingungen selbst als praktische und aufklärende Kritik an der herkömmlichen Arbeitswissenschaft zu fassen. Die Ergebnisse zwingen dazu, über den ergonomischen Ansatz hinauszugehen und Bildschirmarbeit – und so alle Arbeitstätigkeit – als gesellschaftliche Frage zu erforschen und dabei die Dimensionen der Kultur und des Geschlechts in die Forschung aufzunehmen.
Unsere Forschungsfrage im solcherart vorgegebenen Feld (Bildschirmarbeit) lautet zunächst: Welche Veränderung bringt denn der Computer (als dazugehöriges Arbeitsmittel) in den Arbeitsprozess und warum melden insbesondere Frauen Arbeitsschäden?
Dazu vorweg: In der Bundesrepublik Deutschland stieg der Anteil der Frauen in der Computerarbeit von 1970 bis 1982 um 64 %; seit 1982 sinkt er langsam, während der der Männer im gleichen Zeitraum zunimmt. – Die Dimension der kulturellen Unterschiede oder gar die der unterschiedenen Produktionsverhältnisse