Die Vier-in-einem-Perspektive. Frigga Haug

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Die Vier-in-einem-Perspektive - Frigga Haug

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durch den unsere bisherigen perspektivischen Vorschläge und Kampfpunkte so einbezogen sind, dass eine linke Politik handeln muss und auf andere Weise als bisher auch kann? Die Frage kann bejaht werden. Das Ziel dieses Berichts ist nicht eine gute Gesellschaft, aber die drei Hauptachsen – die Halbierung der Erwerbsarbeitszeit, die Erweiterung des Arbeitsbegriffs, die Garantie eines existenzsichernden Einkommens und damit das Recht auf Arbeit und Leben in Gesellschaft – eröffnen neue Möglichkeiten, die wichtigen Fragen in großer Öffentlichkeit zu diskutieren. Sie sind ein Anfang, wie er in dieser Weise bislang nur in eher linken und vor allem feministischen Vorstellungen überlegt wurde. Dass diese Vorstellungen Mainstream werden, ist sicher auch eine Waffe gegen derzeitige gewerkschaftliche Diskussion und Vorschläge. Da die Autoren Realentwicklung aufnehmen und Lösungen vorschlagen, wo die Bedrohung schon offensichtlich ist – etwa bei Jugendlichen, Frauen, Alten –, wäre zynisch, wer hier bloß Ungenügen anmerkte. Wir müssen aus solchen Vorschlägen von oben eine Stärke von unten machen und das Projekt einer guten Gesellschaft unter Nutzung dieser Widersprüche vorantreiben.

      Revolution – dieses einmal kämpferische, mit Hoffnung und Schrecken besetzte Wort wurde längst weichgeklopft, breitgetreten, ins Beliebige verformt. Es kann ein neues Waschmittel ankündigen oder jede andere Ware bis hin zu Regierungshandeln: Ist die diskutierte Rentenreform nicht auch eine Revolution? Peter Hartz, ehemaliger Vorsitzender der gleichnamigen Kommission in der rot-grünen Regierung, legte in einem 2001 publizierten Buch den projektierten Arbeitsplätzen diesen Namen an: Job-Revolution. Obwohl das Buch im Verlag der FAZ erschien und von dort genügend Publicity bekam, sind die Vorhersagen, Methoden, Ziele kaum öffentlich diskutiert8. Da aber das Vorhaben weiterhin Grundlage von Regierungspolitik ist, legen wir es hier auf den Prüfstein. Das Buch spricht ganz offensichtlich im Zeitgeist. Es betreibt die ganz und gar ruchlose Verwandlung aller Worte in Waren, die im ständigen Ausverkauf noch um Marktvorherrschaft streiten. Das beginnt ja sogleich im Titel, den nicht zu beachten die Sache ins Halbbewusste schiebt. Revolution, gerade noch eine Metapher für Ausbruch und Aufbruch, Gewalt gegen zu lange ertragenes Unrecht, Blutbad und endlich Gerechtigkeit – in Begleitung eines Jobs rutscht die Auflehnung in die Niederungen von Arbeitssuche und Kräfteverbrauch, in die Verschiebung des Lebens auf die Zeit danach. Bei Hartz ist das Gegenteil gemeint. Die Verbindung von Job und Revolution veredelt den Job, er ist die Form, in der Arbeit unaufhörlich im Aufbruch ist, der Einzelne sich neu erfindet, Unternehmer ist. Die versprochene revolutionäre Dynamik setzt sich fort in Ausstattung, Kapitelüberschriften, farbig hervorgehobenen Versprechen und Tabellen noch und noch. Ohne Zweifel finden wir uns im Bereich der Werbung, des Buhlens um Kundschaft, die um ihr Begehren noch nicht weiß.

      Der Autor ist seit 1976 Arbeitsdirektor im Personalmanagement, ab 1993 Vorstandsmitglied der Volkswagen AG, auch hier Arbeitsdirektor. Er übernahm den Vorsitz in der nach ihm benannten Kommission im August 2002. Er spricht von oben und vom Standpunkt der Wirtschaft über Arbeitsplätze und ihre Vermehrung – insofern ist von vornherein klar, dass es sich weder um ein wissenschaftliches Sachbuch noch um ein Gutachten handelt, gleichwohl bringt die Lektüre eine doppelte Überraschung. Das Buch kommt aus der unverhüllten, Sprache missbrauchenden, redundanten und schreienden Werbung nicht heraus, und dennoch ist dies der Grundstein, das Zeugnis, die Legitimation und fachkundige Beratung für die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung Deutschland: das Hartzmodell. Insofern lesen wir das Buch nicht nur als Vorschlag für Arbeitsmarktpolitik, sondern auch als Aufbruch in eine neue politische Kultur.

      Das Fernsehen hat seine Zuschauer erzogen. Ein Film in einem Privatsender etwa wird von den sich stets wiederholenden Werbestücken unterbrochen, in denen einem suggestiv durch Farbenreichtum, Anmut, Exotik, Atmosphäre wie in einem Reiseprospekt und kurze Handlungsgags der Genuss einer bestimmten Kaffeemarke, eines Haarwaschmittels oder einer Fertignahrung geboten wird. Die untermalende Musik mischt sich mit den strahlenden Augen der schönen und jungen Menschen in der Werbehandlung – all dies ist lange schon Brauch und schon vielfach analysiert. Neu ist, dass es immer die gleichen Stücke sind, die durch solch einen Film ziehen wie ein Nummerngirl, sodass man in eine Art Trance gerät und das beleidigte und überdrüssige Bewusstsein anfangen muss, diese kleinen Handlungsstücke selbsttätig in den Film zu verweben und das Ganze als Unterhaltung zu verbrauchen, deren Informationen sich vielleicht zu Kaufentscheidungen sedimentieren. Dies ist Vorbild und Muster für unsere neue politische Kultur, wie sie im Buch von Peter Hartz vorgeführt ist.

      Prüfen wir die Konstruktion eines solchen rhetorischen ›Nummerngirls‹, das mit besonderer Suggestivkraft Zustimmung organisiert: die Berechnung der Arbeitszeiten. Man kennt die Rede von der Zwei-Drittel-Gesellschaft als Drohung einer strukturellen Arbeitslosigkeit und Aussonderung eines Drittels der Bevölkerung aus aktiver Teilhabe. Hartz rechnet mit der damit verbundenen Angsthaltung und baut auf ihr die Legitimation für seine Vorschläge. Aber er dreht den Spieß um: Wir leben in einer 10-Prozent-Gesellschaft. »Der Anteil der Lebensarbeitszeit am Leben ist bereits unter 10 Prozent gesunken« (20). Kein Wunder, wenn das System in Krise ist. Der Trick dieser überraschenden Berechnung steckt im Wort »Leben«. Hartz konzipiert den Menschen als eine Maschine, die rund um die Uhr und ihr ganzes Leben arbeiten könnte. Dann begibt er sich an die Berechnung der Stillstandszeiten und kann erkennen, dass diese Maschine nicht ausgelastet ist.

      »40 volle Jahre im Beruf mit durchschnittlich 1.400 Stunden effektiver Jahresarbeitszeit bei 80 Jahren Lebenserwartung (mal 8.760 Stunden pro Jahr) sind gerade einmal 8 Prozent des Lebens.« (20)

      Auf dieser Grundlage, die fortan durch das gesamte Buch geistert, kann Hartz Zumutbarkeiten diktieren, alternative Nutzung vorschlagen, Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit anmahnen. Bei 8 Prozent kann sich keine Arbeiterklasse mehr denken, keine Gewerkschaft auftrumpfen. Arbeit ist zur Nebensache geworden. Gegenargumente werden durch Unterbieten erstickt:

      »Zusammenfassend lässt sich kalkulieren, dass ein durchschnittlicher Arbeitnehmer faktisch nicht mehr als 5 % seines Lebens für den eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familie arbeitet« (48).

      Der Boden ist bereitet, das ganz Andere zu wollen. Hartz arbeitet mit den Gefühlen derer, die Veränderung vorhatten. Er übernimmt die Hoffnungsworte der sozialen Bewegungen und fügt aus ihnen das neue Angebot des »Unternehmers« zusammen, der ein jeder durch Wortzauber fortan sein kann:

      »Arbeitszeitsouveränität – das Ende der Arbeitszeiterfassung ist der erste Schritt zu einer neuen Mündigkeit: Zeiten selbst organisieren, statt Auftrag und Aufgabe abzuarbeiten. Vertrauensarbeit ist der zweite Schritt: Ziele setzen und Erfolg abfordern, statt Details zu planen. Die Revolution beginnt mit dem dritten Schritt: Arbeit wird neu definiert: Sie umfasst wieder ein ganzheitliches Stück Leben: lernen, produzieren, kommunizieren. Etwas bewegen! […] Die zukünftige Arbeit bekommt den Motivator: ›Beweg etwas – du kannst es!‹ Der Unternehmer vor Ort nimmt das Schicksal seiner Beschäftigung mit in die Hand. […] Diese Neudefinition der Arbeit wird ein beherrschendes Thema der Zukunft.« (21)

      Gramsci nennt solches Vorgehen eine »passive Revolution«. Die Utopie wird ins Diesseits geholt und erscheint genau dort, wo es uns an den Kragen geht. Diese Verwandlung, bei Hartz »Flucht nach vorn« genannt, verlangt Sportsgeist. Es gilt, die »Unbequemlichkeit der Zukunft sportlich auszuhalten« (25).

      Trotz seiner 5-bis-10-Prozent-Diagnose schließt sich Hartz nicht so ohne weiteres dem Chor der Verabschieder der Arbeitsgesellschaft an. Das Problem ist komplizierter. Was verschwunden ist, zumindest weitgehend, sei die Kopplung von Arbeit und Ausbeutung (ebd.). Und insofern die ›neue Arbeit‹ also ein begehrtes Gut ist, können von den Arbeitsplätzen her Forderungen gestellt werden. Dies scheint auf der einen Seite angemessen, ist aber zugleich der Beginn der Einsetzung der Arbeitsplätze als eigentliche Subjekte der Verhältnisse, denen sich die Arbeitenden unterzuordnen haben. Das ist das zweite Nummerngirl, das durch das gesamte Buch zieht: die Rede vom »Arbeitsplatz, der einen Kunden hat«. »Im erfolgreichen Unternehmen sitzt der Kunde im Bewusstsein mit am Tisch – von der Produktdefinition bis zur Tarifverhandlung.« (U. a. 30) –

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