Der undankbare Kontinent?. Группа авторов
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Es ist wichtig, die Vergangenheit »nachzubeten«, da wir den Anspruch erheben, unser Schicksal zu meistern, die Gegenwart zu lenken und die Zukunft zu bauen, sind doch die Vorboten einer Rekolonisierung Afrikas in unseren heutigen Beziehungen zu Europa manifest. Das immer schnellere Voranschreiten der Welt macht diesen Einsatz erforderlich. Unsere Lage zwingt uns dazu, sind wir doch rückständige Gesellschaften, traumatisiert durch das Verhalten unserer Regierenden und das Scheitern der von ihnen während bald fünf Jahrzehnten praktizierten Politik. Auch die Hellsicht und Ungeduld der jungen Generation lassen uns keine Wahl, ebenso wie die Gefahren, welche die Globalisierung für unsere brüchigen Volkswirtschaften bereithält.10
Mit einem solchen Auftakt ist das Signal des Übergangs vom Besonderen zum Allgemeinen, das sich in allen Beiträgen wiederfindet, bereits in aller Deutlichkeit gegeben. Ein erster Rundumschlag gegen europäische Vorurteile erfolgt in dem Aufsatz von Achille Mbembe, wo sogar ein Michel Leiris oder ein Pablo Picasso zu Objekten der Kritik werden. Bei Zohra Bouchentouf-Siagh öffnet sich die Diskursanalyse der Sarkozy-Rede zum Nachweis einer Geschichtsfälschung, die durch Ignoranz und Konformismus allein nicht zu erklären ist, sondern aus demagogischen, in der Geschichte mit tragischen Folgen erprobten Ideologien hervorzugehen scheint. Klarstellungen, wie sie z. B. Herbert Marcuse in diesem Zusammenhang vorgenommen hat, haben offenbar bei manchen Politikern der Gegenwart wenig gefruchtet. Festgestellt wird auch ein fahrlässiger Umgang des Redners mit Quellen, etwa den Werken von Albert Memmi und Léopold Sédar Senghor.
Mwatha Musanji Ngalasso konzentriert sich ebenfalls zunächst auf die Rede, die er besonders gründlich aus der Sicht des Linguisten untersucht, um alsbald das Problem der langue de bois aufzuwerfen und der »hölzernen« Sprache der Diktaturen in den exkommunistischen Ländern11 die »Kautschuksprache« Sarkozys gegenüberzustellen. Von hier aus kann der Autor ein europäisches Afrikabild als rein ideologische Konstruktion im Dienste neokolonialistischer Tendenzen in der Gegenwart offenlegen.
Im Zusammenhang mit dem genannten Afrikabild schlägt Odile Tobner eine argumentative Brücke von Sarkozys Rede zu diversen Äußerungen der anderen Präsidenten der Fünften Republik: de Gaulle, Pompidou, Giscard d’Estaing, Mitterrand und Chirac. Demba Moussa Dembélé eröffnet geradezu planetarische Perspektiven, wenn er die politischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Beziehungen zwischen den Ländern südlich der Sahara, der Europäischen Union und dem Gesamtbereich der industrialisierten Länder beleuchtet. Aus der Sicht des Politikwissenschaftlers zieht Mahamadou Siribié eine Bilanz hinsichtlich der Position Afrikas im Rahmen der Globalisierung und des Afrika gegenüber nicht immer fairen Spiels der internationalen Organisationen.
Umfassenden Zusammenhängen kulturpolitischer Art gilt der Beitrag von Lye Yoka über die Frankophonie, in der Sicht des offiziellen Frankreich ein interkontinentales Projekt, das auf geschwisterliche Zusammenarbeit im Geiste des französischen Zivilisationsideals wie auch auf die Abwehr anglo-amerikanischer Kulturimperialismen abzielt, für nicht wenige Afrikaner aber ein Hemmnis für autonome Entfaltung und geradezu ein Fluch.12
Mit den Beiträgen von Sall und Obenga treten kulturanthropologische Themen in den Vordergrund. Sall skizziert die Problematik des französischen Konzepts der Universalität, wobei auch ein Blick auf die unitaristische Überlagerung innerfranzösischer Vielfalt durch die Zentralisierung geworfen wird. Obenga liefert eine sehr breit angelegte (von den Herausgebern dieses Bandes leicht gekürzte) Darstellung der Diskussion rund um die Thesen von Cheikh Anta Diop, legt aber das Hauptgewicht auf die ethnozentrischen Voraussetzungen, welche tief in der Kulturgeschichte Europas wurzeln und heute für eine entspannte Auseinandersetzung mit dem Gedankengut des bedeutenden Gelehrten, dessen Namen die Universität Dakar trägt und der in Sarkozys Rede nicht vorkommt, ein Hindernis darstellen.
Die letzten beiden Beiträge thematisieren die psychologische Konditionierung der AfrikanerInnen in Vergangenheit und Gegenwart durch explizite wie auch implizite Schuldzuweisungen, die »der Westen« einst und jetzt (in der Rede Sarkozys) an die Kolonisierten richtet. Djibril Tamsir Niane erklärt, warum sich Afrika aus europäischer Sicht an seinem eigenen Unglück schuldig fühlen soll, und Kettly Mars bestätigt diese Diagnose durch die Darstellung der traumatisierenden Wirkung von Sklavenwirtschaft und Kolonialismus. Letzten Endes lässt sich sogar ein Verdienst Sarkozys ausmachen: jenes, das in der emanzipatorischen Mobilisierung der von dem französischen Präsidenten belehrten und beleidigten Jugend Afrikas besteht.
Über den »Kontinent der Kolonisatoren« und seine »Geburt aus dem Geist der Gewalt« haben Europäer immer wieder nachgedacht.13 Aber mehrere Beiträge zu den »Antworten auf Sarkozy« scheinen die von solcher Selbstkritik gesteckten Grenzen zu überschreiten, indem sie den großen Hegel oder den großen Voltaire nicht als Menschheitsphilosophen sehen, sondern ihre Gebundenheit an Eurozentrik und sogar Rassismus betonen, und dies noch dazu auf Distanz, mitunter ohne Bemühung um respektvoll-exaktes Zitieren und sorgfältiges Eingehen auf alle »wirklich wichtigen« Gedanken der Genies. Derlei kann wie eine kalte Dusche auf das Gemüt von romanistischen KulturwissenschaftlerInnen wirken, auch wenn sie sich selbst als weltoffen empfinden. Unsereiner ist es gewohnt, historische Relativierungen vorzunehmen und das Positive zu sehen, etwa wenn ein Leo Frobenius die Afrikaner vom Makel der Primitivität befreien will oder ein Senghor die gefühlsstarke Poesie afrikanischer Kultur als Komplement europäischer Rationalität feiert. Aber die Bereitschaft zu Verständnis und Nachsicht gerät an ihre Grenzen, wenn sich die virulentesten Kolonialmythen als so lebenskräftig erweisen, dass die Rede eines französischen Staatspräsidenten Anfang des 21. Jahrhunderts bis zum Rand von ihnen erfüllt ist. Das Buch ist wichtig, weil aus ihm Undankbarkeit spricht, die jegliche Zöglingsrolle ablehnt.
Vielleicht erwarten europäische LeserInnen immer noch, dass AfrikanerInnen entweder brav sind oder impulsiv-unüberlegt protestieren. Die LiteraturwissenschaftlerInnen haben immerhin den Vorteil, die Entfaltung der argumentativen Kraft der afrikanischen Literaturen und die geistige Autonomisierung des Kontinents aus der Nähe beobachten zu dürfen. Bei allen strittigen Detailfragen, die sich aus den Forschungen des Cheikh Anta Diop über das alte Ägypten und seine transsaharische Dimension ergeben mögen – das Bild des afrikanischen Beitrags zur Menschheitskultur hat sich durch diesen Ansatz zweifellos verändert. Es gibt afrikanische Philosophie, Soziologie, Kulturwissenschaft und Umweltforschung, und sie sind nicht einfach Ableger der europäischen Modelle. Das ist eine der wichtigsten Botschaften des vorliegenden Buches. Ist es übertrieben, epochenbedingte Irrwege des europäischen Denkens so massiv herauszustellen? Mittlerweile gibt es auch in Frankreich viele WissenschaftlerInnen, die postkoloniale Studien ohne Eurozentrik betreiben. Allerdings ist auch festzuhalten, dass noch im 20. Jahrhundert französische Intellektuelle Europa mit äußerst emotional vorgetragenen Argumenten gegen seine postkolonialen Kritiker in Schutz nehmen, wobei der polemische Impetus gegen die einheimischen »Linken« gerichtet ist, aber zugleich alle »undankbaren« Ex-Kolonisierten mit trifft. In einem in den 1980er Jahren publizierten Essay sah der französische Philosoph Pascal Bruckner die Sünden Europas, machte aber gerade diese Sünden zur Grundlage eines zivilisatorischen Höhenfluges, demzufolge der Kontinent der Kolonisatoren das Universalmodell schlechthin darstellt, dem alle Drittweltländer nacheifern, sofern sie nicht in purer Barbarei versinken.
Die Stärke Europas liegt in einem Paradox von extremer Ausprägung: Europa hat alles erfunden, die Unterdrückung ebenso wie die Demokratie, die Barbarei ebenso wie die Heiligkeit. Der Zusammenbruch des Feudalstaates hat den Staat auf rationaler Grundlage hervorgebracht, die monarchische Willkür hat die Demokratie gezeugt, aus dem mittelalterlichen Absolutismus erwuchs der Relativismus der Welt der Renaissance, aus der Zwangsherrschaft der Kirche die Gewissensfreiheit, aus den nationalen Gegensätzen